AsKI e.V. : Als die Synagogen brannten. Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. / 10. November 1938

Brennende Synagoge am Börneplatz, Foto: Institut für Stadtgeschichte der Stadt Frankfurt/Main

Es gebe Formen der Erinnerung und Trauer, die nicht eine Belastung darstellten, sondern eine Befreiung, aus der Kraft, Stärke und Verantwortung wachsen, sagte Bundestagspräsidentin a.D. Prof. Dr. Rita Süssmuth in ihrer Ansprache auf der Gedenkveranstaltung „Als die Synagogen brannten" zum 60. Jahrestag der Pogromnacht vom 9./10. November 1938.

Die Erinnerung wachzuhalten, nicht um in der Rückschau anzuklagen, sondern um für die Gegenwart und Zukunft zu lernen, war das Ziel der Feierstunde, die der AsKI mit seinen Mitgliedern Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Berlin und Fritz Bauer Institut in Zusammenarbeit mit dem Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V." am 9. November 1998 im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags (Wasserwerk) in Bonn veranstaltete. Rund 350 Gäste waren der Einladung gefolgt, darunter zahlreiche Bundestagsabgeordnete der verschiedenen Fraktionen und auch Oberstufen-Schüler mit Leistungskurs Geschichte.

Einladung des AsKI e.V. zur Gedenkveranstaltung am 9.11.1998

Den musikalischen Auftakt des Programms bildete der Satz „Abîme des oiseaux" aus dem „Quartett auf das Ende der Zeit" (Quatuor pour la Fin du Temps) von Olivier Messiaen, beeindruckend interpretiert von dem französischen Klarinettisten Olivier Voize. Messiaen hatte dieses Quartett in dem Kriegsgefangenenlager Görlitz, beeinflußt durch Kälte, körperliche Strapazen und Nahrungsentzug, komponiert und dort gemeinsam mit drei anderen inhaftierten Musikern am 15. Januar 1941 uraufgeführt.

In seinem Geleitwort rief Dr. Barthold C. Witte, Vorsitzender des AsKI, dazu auf, „über Schande und Scham hinaus die einzig mögliche Konsequenz zu erneuern: alles zu tun, daß nie wieder Rassenwahn und Völkermord über Menschenwürde und Menschenrecht obsiegen". Er zitierte ein Gedicht des Berliner Arztes und Poeten Martin Gumpert, der bereits sehr früh die Zeichen der Zeit erkannt und in seinem Gedicht „Euch fehlt die Phantasie..." verarbeitet hatte.

Prof. Dr. Rita Süssmuth,Schirmherrin der Veranstaltung und Vorsitzende des Beirats des Vereins „Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V"., betonte in ihrer Rede, daß es „lebenslanger Erziehung" bedürfe, um gegen den Antisemitismus zu wirken und Vorurteile sowie Feindbilder abzubauen.

„Erinnerung an den Terror" war der Titel einer von Dr. Bettina Hindemith zusammengestellten Toncollage aus den Beständen der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Berlin. In seiner Einführung in diese akustischen Dokumente aus der und über die Zeit des Terrors stellte Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, Vorstand der Stiftung, die Frage nach Macht und Möglichkeiten des Mediums Rundfunk.

Einer der Höhepunkte der Gedenkveranstaltung war der Vortrag des Germanisten Prof. Dr. Guy Stern von der Wayne State University, Detroit, der als Günther Stern fünfzehnjährig aus Deutschland emigrieren mußte (hier seine Rede). Unter dem Titel „Erinnerungen eines Zeitzeugen" berichtete er von seiner Kindheit und Jugend in Hildesheim und der, wie er sagte, „gegenseitigen selbstverständlichen Unbefangenheit". Stern sieht in dem Gedenktag nicht nur „einen Funken Hoffnung", wie Ernst Bloch meint, sondern die allmähliche Verwirklichung seines Traums von der Unbefangenheit des Umgangs.

„Sechzig Jahre danach - Unser Auftrag" überschrieb Freimut Duve, ehemaliger SPD-Abgeordneter und neuer Medienbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), seine Rede. Er verwies auf die Lage in Bosnien, wo heute wieder Menschen aufgrund ihres Glaubens und ihrer Volkszugehörigkeit vertrieben, gefoltert und getötet werden. Deshalb sehe er in dem Gedenken an den Holocaust keine „Pflichtübung" oder keinen „Gruppenzwang", wie Martin Walser es in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises ausdrückte, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit.

Der Videofilm „Visualisierung des Zerstörten" bildete den Abschluß der Veranstaltung. Studenten der Technischen Universität Darmstadt hatten im Rahmen eines Projektes zerstörte Frankfurter Synagogen mit Hilfe des Computers digital rekonstruiert. Prof. Manfred Koob von der TU Darmstadt betonte in seiner Einführung den hohen Stellenwert dieser Arbeit, erklärte aber auch, daß die Bilder in gewisser Weise leblos seien, da die Menschen fehlten. Menschen könne man eben nicht rekonstruieren, meinte dazu im Foyer eine sichtlich aufgewühlte Teilnehmerin der Veranstaltung.

Dr. Susanne Marx
freie Mitarbeiterin der AsKI-Geschäftsstelle, Bonn

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/1999

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