Winckelmann-Museum, Stendal: „Komm und siehe" – Das neueröffnete Winckelmann-Museum in Stendal

Neubau im Innenhof des Winckelmann-Museums, Foto: Archiv Winckelmann-Gesellschaft e.V. mit Winckelmann-Museum, Stendal

Kaum wiederzuerkennen ist das Winckelmann-Museum, das nach gut zweijähriger Bauzeit Besuchern wieder seine Türen öffnet. Mit völlig neuem, modernen Antlitz wird die ständige Ausstellung zu Leben und Werk Winckelmanns präsentiert.

Offiziell eröffnet wurde das neue Museumsquartier am 7. Dezember 2018 mit einem Festakt, zu dem auch Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra gekommen war. In seinem Grußwort würdigte er „Barrierefreiheit, Teilhabe und Besucherfreundlichkeit" als Merkmale des neuen Museums: „Ein Museum ist ein Lernort. Es muss historische Zusammenhänge deutlich machen, Forschungsergebnisse transparent vermitteln, und es soll gerade für junge Menschen eine Erlebniswelt sein, die ihr Interesse weckt und neugierig macht." Genau dies hat sich das neue Winckelmann-Museum auf die Fahnen geschrieben.

Die Herausforderung des Umbaus bestand vor allen Dingen darin, den inzwischen auf vier Gebäude angewachsenen Komplex zu einem überschaubaren Ganzen mit sinnvollen Raum- und Wegführungen zusammenzufassen: von der Winckelmann-Ausstellung am Ort seines Geburtshauses gelangt man in das Familienmuseum, von hier aus weiter in die Sonderausstellungen in der ersten Etage und das neue Mäzenaten-Museum in der zweiten Etage zweier Häuser. Um die historischen Gebäude zu verbinden, war ein – bewusst in moderner Architektur ausgeführter – Neubau im Innenhof notwendig. Im großzügigen Eingangsbereich erwarten den Besucher Kasse, Museumsshop und eine kindgerechte Garderobe. Der Neubau öffnet sich zum großen Außengelände des Museums, mit dem Winckelmann-Park, dem riesigen Trojanischen Pferd, Spielflächen für antike Spiele und einem Hörtheater. Er beherbergt zudem einen sichtbaren Lesesaal, in dem die einzigartigen Bestände der Forschungsbibliothek der Winckelmann-Gesellschaft und des Winckelmann-Mueums erstmal frei zugänglich sind. Finanziert hat die Neugestaltung das Land Sachsen-Anhalt, der Bund und die Stadt Stendal, ebenso die Winckelmann-Gesellschaft, die private Spenden in Höhe einer Viertelmillion Euro einsammelte.

Größter Wert wurde beim Umbau auf Barrierefreiheit gelegt: Die verschiedenen Etagen und Höhen der Häuser sind endlich durch einen Aufzug erschlossen, alle Verkehrsflächen der Besucher sind behindertengerecht umgebaut, Winckelmann-Ausstellung und Familienmuseum sind nun ebenerdig untergebracht. Für blinde und sehschwache Besucher gibt es ein taktiles Leit- und Raumplansystem, was auch für das Außengelände geplant ist. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich im Foyer ein ipad auszuleihen, Tastfiguren auf dem Skulpturenhof sprechen per Knopfdruck, es gibt ein Hörtheater im Kinderbereich. In der Winckelmann-Ausstellung sind Hörstationen eingerichtet, auch Audioguides speziell für blinde Besucher können ausgeliehen werden und schließlich können die Museumsinhalte anhand von elf taktilen Objekten buchstäblich ertastet werden – Anfassen ist hier ausdrücklich erlaubt!

Tast-Objekt und interaktives Terminal in der neuen Winckelmann-Ausstellung, Foto: Archiv Winckelmann-Gesellschaft e.V. mit Winckelmann-Museum, Stendal

Die neue Ausstellung möchte für ein möglichst breites Publikum attraktiv sein – vom „Winckelmann-Anfänger" bis zum ausgewiesenen Kenner. Ganz besonders wichtig ist es uns dabei, auch Kinder und Jugendliche einzubeziehen, die drei Viertel unserer Besucher ausmachen. Wie aber bringt man dem Besucher einen Archäologen nahe, der nicht wie Heinrich Schliemann selbst an Ausgrabungen beteiligt war, und dennoch die Archäologie begründet haben soll? Wie vermittelt man die von ihm angeregten Impulse für die Geschmacksveränderung, die zum Klassizismus führten? Und schließlich, wie geht man mit seinen Büchern um, Erstausgaben in Fraktur gesetzt, die die jüngere Generation kaum noch lesen kann?

Ein spannungsvoller Bogen um die Person Winckelmanns wurde konzipiert. Er beginnt dramatisch mit der Inszenierung seiner Ermordung in Triest, führt weiter in die Stendaler Lebenswelt, seinen harten und entbehrungsreichen Bildungsweg bis zu seiner Hauslehrerstelle in Seehausen. Die Enge dieses Lebensabschnitts ist räumlich spürbar gemacht, interaktive Karten erläutern Originale. Man steht vor seiner „Berufskleidung" als Kurrendesänger, als Student der Theologie oder Lehrer, der wie ein Pfarrer gekleidet war. Über Dresden geht es weiter nach Rom und Florenz mit den über dreitausend Abdrücken geschnittener Halbedelsteine, die zudem digital für den Besucher aufbereitet sind, der Entdeckung etruskische Kunst und der griechischen Vasenmalerei, dann weiter zu den Ausgrabungen in Herculaneum und Pompeji. Es ist der Versuch, die Inhalte seiner Texte durch originale antike Objekte oder qualitätsvolle Nachbildungen sinnlich wahrnehmbar zu machen, begleitet von zahlreichen Stichen und Porträts des 18. Jahrhunderts. Über Winckelmanns Hauptwerk, die „Geschichte der Kunst des Alterthums", gelangt man schließlich zu den drei berühmten Statuen des Vatikans, Abgüsse des Laokoons, des Torsos und des Apoll vom Belvedere. Statt Beschriftungen erläutert ein Direktor der Vatikanischen Museen auf einem kleinen Bildschirm die Auffindung und Geschichte dieser berühmten Kunstwerke. Durch mehrere Zugänge gelangt man schließlich in den Skulpturenhof mit antiker und moderner Plastik, im Sommer geeignet für Konzerte und Veranstaltungen.

Auch das zukünftige Familienmuseum „Unter dem Vulkan" hat auf spielerische Weise eine Auseinandersetzung mit Antike und Archäologie zum Hauptthema. Es kehrt das Museumsprinzip von „Hands off" ins Gegenteil: Alles kann angefasst werden, alle Sinne der Besucher werden gefordert, die Selbsterfahrung von antiker Geschichte steht im Vordergrund.

Abgüsse des Torsos, der Laokoon-Gruppe und des Apoll vom Belvedere, Foto: G. Draschowski

Die Sammlungen der Gesellschaft gehen seit ihrem Gründungsjahr 1940 auf Stifter zurück. In einem gesonderten Bereich „8000 Jahre Kunst – Mäzenaten Museum" wird an einige von ihnen erinnert. Das Engagement dieser ausgewählten Mitglieder der Winckelmann-Gesellschaft als Mäzene soll auf diese Weise eine angemessene öffentliche Würdigung erfahren. Einige der noch lebendenden Sammler, ihre Motivationen und die Sammlungsgeschichte sind in Videointerviews festgehalten, auf Touchscreens ist jede Sammlung erfasst.

„Komm und siehe", schrieb Winckelmann von Rom – das ist auch das Motto des neuen Museumsquartiers im altmärkischen Stendal.

Prof. Dr. Max Kunze
Präsident der Winckelmann-Gesellschaft e.V.

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2019

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