Winckelmann-Museum, Stendal: Anmut und Aufklärung. Eine Sammlung von Druckgraphik nach Werken von Angelika Kauffmann

Von London bis Rom und Neapel, von Paris bis Warschau und St. Petersburg, von Weimar bis Wien, ja sogar bis in die ‚Neue Welt' Nordamerikas wurde „Miss Angel" bewundert und als „weiblicher Raffael der Kunst" umschwärmt. Sie hatte ein Doppeltalent für die Musik und die Malerei, war eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit einem klugen Marketing und war als begnadete Netzwerkerin mit zahlreichen Geistesgrößen ihrer Zeit befreundet.

Johann Wolfgang von Goethe, mit dem sie in Rom bald eine innige Freundschaft pflegte, nannte sie „das beste Wesen von der Welt. Man hat keinen Begriff von einem solchen Talent". Johann Gottfried Herder, der als Reisebegleiter von Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar und Eisenach, nach Rom kam und die Künstlerin schätzen lernte, lobte sie als „die vielleicht cultivierteste Frau in Europa".

Angelika Kauffmann, Selbstbildnis im antiken Gewand mit Zeichengriffel und Zeichenbrett, 1787, Kupferstich von Pierre Audouin, © Archiv Winckelmann-Gesellschaft, StendalSchon früh wurde ihr Talent entdeckt und von wichtigen Künstlern gefördert, u. a. von Pompeo Batoni, der ab den 1760er Jahren als führender Porträtist der Grand Tour Reisenden galt, aber auch von Sir Joshua Reynolds, der als zukünftiger Direktor der Royal Academy die junge Malerin 1766 zum Gründungsmitglied ernannte. Mit der Stilllebenmalerin Mary Moser blieb sie für die nächsten 200 Jahre das einzige weibliche Mitglied der Londoner Akademie. Eine Korona der Berühmten, Reichen und Mächtigen in ganz Europa zählte zu ihren Auftraggebern, darunter Kaiser und Könige wie Katharina II. von Russland, Joseph II. von Österreich, Maria Karoline von Neapel und Beider Sizilien, Stanislaus II. Poniatowski von Polen oder Ludwig I. von Bayern.

Angelika Kauffmann hinterließ ein Œuvre von ca. 800 Ölgemälden auf Leinwand oder auf Kupferplatten, dreizehn Fresken, ca. 400 Zeichnungen, wenige frühe Pastelle sowie 41 eigenhändige Radierungen. Viele Wand-, Decken- oder Kamindekorationen in englischen ‚Historic Houses' sind ihr allerdings irrtümlich zugeschrieben, ebenso zahllose Werke auf Holz, Elfenbein oder Porzellan.

Nach ihren Motiven entstanden mehr als 600 Reproduktionsstiche, gefertigt von den besten Kupferstechern ihrer Zeit in der neu entwickelten Punktiermanier, aber auch in der als ‚englische Manier' bezeichneten Technik der Schabkunst, oder auch der Radierung und des Kupferstichs. Im 19. Jahrhundert wurden ihre Motive auch in den neuen Drucktechniken wie der Lithographie, dem Holzstich, der Heliogravüre oder in fotografischen Verfahren wie dem Lichtdruck massenhaft vervielfältigt. Diese international weit verbreiteten Nachstiche sorgten für ihren Ruhm, sie dienen bis heute unzähligen Kopisten, Nachahmern und Fälschern als Vorlage, sicherlich ein Indiz der nicht nachlassenden Popularität ihrer Kunst. Allerdings ging mit deren weitreichenden Verwertung bis in den Bereich von Billigporzellan und Nippes auch die Verkitschung ihrer Motive einher, was zu einem falschen Eindruck von ihrer Kunst geführt hat.

Die Ausstellung in Stendal widmet sich diesem interessanten Aspekt der Vervielfältigung von Kauffmanns Kunst im ‚Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit' – um es mit Walter Benjamin zu sagen. Den Anlass bietet eine Sammlung von rund 50 Druckgraphiken der Münchner Klassizismus-Enthusiasten Sven Kielgas und Falk Morten Weber, die erstmals im Winckelmann-Museum vorgestellt wird. Die Sammlung wurde von der Autorin genauer untersucht, wissenschaftlich katalogisiert und gedeutet. Der reich bebilderte Katalog enthält zudem eine grundlegende Einführung zum Thema der Reproduktionsgraphik nach A. Kauffmann. Dabei wird sowohl das Verhältnis von Original und Imitation beleuchtet, als auch das Copyright und Stecher-Privileg im 18. Jahrhundert sowie die Beziehung zwischen der Künstlerin, ihren Nachstechern und Verlegern untersucht. Die Ausstellung profitiert von den neuesten Forschungsergebnissen, welche die Autorin über die Jahre für das kritische Werkverzeichnis von Angelika Kauffmann zusammengetragen hat.

Das zweite Kapitel der Ausstellung widmet sich gleichsam am Genius Loci dem Bildnis des bedeutenden Gelehrten und Altertumsforschers Johann Joachim Winckelmann, das die 22-Jährige 1764 in Rom malte. Dieses Meisterstück machte die junge Malerin schlagartig bekannt, es wurde zu einem Türöffner. Es war also naheliegend, sich in der ehemaligen Heimstätte Winckelmanns einem Porträt intensiver zuzuwenden, das bis heute unsere Vorstellung von dem Gelehrten maßgeblich prägt. Im Vergleich mit Kauffmanns Urfassung verraten die Nachfolgewerke ihre spezifische zeitbedingte Sichtweise auf den Altertumsforscher. Die Reproduktionsgraphiken sind somit Zeugen einer sich wandelnden Winckelmann-Rezeption. Die Ausstellung bietet die einmalige Gelegenheit, sich im Blick auf einige Öl-Kopien und Nachstichen den Wandlungsprozess der letzten 250 Jahre vom wertherisch-visionären über den genial-maskulinen bis zum antik-heroischen Winckelmann einmal vor Augen zu führen.

Die Autorin bitte um Hinweise auf Werke von Angelika Kauffmann zur Vervollständigung des Werkverzeichnisses von Angelika Kauffmann: www.angelika-kauffmann.de

Dr. Bettina Baumgärtel

Leiterin des internationalen Angelika Kauffmann Research Project (AKRP) und Kuratorin der Ausstellung

Anmut und Aufklärung. Eine Sammlung von Druckgraphik nach Werken von Angelika Kauffmann

Winckelmann-Museum, Stendal: Sonderausstellung bis 20. November 2016
Zur Ausstellung ist im Verlag Franz Philipp Rutzen der gleichnamige Katalog von Bettina Baumgärtel erschienen.
88 S. mit 88 Farbabb., Klappenbroschur, 30 €
ISBN 978-3-4471-0702

AsKI KULTUR lebendig 2/2016

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