Wilhelm-Busch-Museum Hannover / Deutsches Museum für Karikatur und kritische Grafik : Félicien Rops 1833 - 1898

Félicien Rops, Pornokratès, 1878, Aquarell und Pastell mit Gouache gehöht, auf Papier, Collection de la Communauté Française de Belgique, Musée Félicien Rops, Namur

„Wenn das Leiden überhand nimmt, sattle ich mein Pferd und verschwinde im Wald, ... sprachlos wie das Begehren, sprachlos wie ich, denn ich bin nicht der lustige Herr, den ihr kennt. ..."

"Meine Seele ist in meinem Körper eingesperrt wie ein ausgehungerter Tiger in einem eisernen Käfig, und meine schrecklichen Leidenschaften heulen wie er. Die Menschen kommen mir so klein und armselig vor, ohne jegliche Größe, Handlungsreisende in ihrer ärmlichen Sinnlichkeit. Ich wurde geboren mit einem Hang zu all dem, was auf eine mächtige Art mit den heidnischen Kulten zusammenhängt. ... Alles, wovor die Menschen mit ihrem kleinen körperlichen Verlangen und ihrer Angst vor unaussprechbaren Liebkosungen zurückschrecken, schien mir seit meiner frühesten Jugend einfach, natürlich und schön. Ein Mann, der dem Körper seiner Geliebten alle Entrückungen schenkt, die sein Mund nur zu erfinden vermag; zwei Frauen, die sich gegenseitig mit Küssen bedecken - ich hielt dies auf Erden schon immer für das Schönste, was eine Feder oder ein Bleistift zu feiern vermögen. Daher auch mein Haß auf die Dummköpfe und daher auch diese Kunst, die niemand mit mir zu realisieren wagte."
(Félicien Rops)

Der belgische Künstler Félicien Rops ist 1833 in Namur geboren und stirbt 1898 in der Nähe von Paris. Aus Anlaß des hundertsten Todestags zeigte das Wilhelm-Busch-Museum eine Ausstellung, in der mit 180 Exponaten ein Querschnitt seines Oeuvres präsentiert wurde. Die letzte vergleichbare Ausstellung in Deutschland fand vor zwanzig Jahren in der Düsseldorfer Kunsthalle statt. In Hannover waren zum ersten Mal umfassend die politischen Karikaturen zu sehen und - eine Premiere in Deutschland - seine „Hundert lockeren, unprätentiösen Skizzen zur Unterhaltung ehrbarer Leute" (Cent légers croquis sans prétention pour réjouir les honnêtes gens), die zwischen 1878 und 1881 entstanden sind. Es handelt sich um eine Comédie humaine in 114 Blättern, in der die Frau des 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt steht - la ropsienne - gerade so knapp gekleidet, daß ihre Nacktheit um so schärfer hervorsticht.

Epater les bourgeois

Rops beginnt in den 1850er Jahren als politischer Karikaturist. Seine bissigen Lithographien erscheinen im belgischen „Charivari", im „Uylenspiegel", den er mit seinem Freund Charles de Coster gegründet hat und den er selbst finanziert, und in anderen satirischen Blättern von Brüssel. Rops kritisiert die politische Allianz aus konservativen Liberalen und ultramontanen Katholiken. Er persifliert die verstaubte Salonkultur und Malerei der Hauptstadt. Aber Rops wirft sich nicht opportunistisch dem von Frankreich kommenden Realismus in die Arme. Brüssel ist der Zufluchtsort vieler bekannter Politiker und unbekannter Demokraten, die nach dem Scheitern der 1848er Revolutionen in Warschau und Wien, Berlin und Frankfurt und vor allem in Paris ihre Heimat verlassen. Rops trifft und hört sie alle, die Dichter Hugo und Baudelaire, den Maler Courbet und die Politiker von Proudhon bis Marx.

1864 schreibt Baudelaire in sein Arbeitsheft „Armes Belgien": „Die Kunst hat sich aus dem Land zurückgezogen. Es gibt keine Künstler, Rops ausgenommen. Komposition - unbekannt. Die ästhetischen Vorstellungen fallen sehr grob aus. Konzepte à la Courbet." Rops geht deutlich auf Distanz zu Courbet. Die Ausstellung zeigte seine Interpretation des berühmten „Begräbnisses von Ornans" in einer satirischen „wallonischen" Fassung. Rops kritisiert Proudhon, den prominentesten Vertreter des kleinbürgerlichen Sozialismus, in der Ausstellung war „Pornokratès" zu sehen, die berüchtigte nackte Frau mit dem Schwein am Band. Drei Jahre vor der Entstehung dieses Bildes thematisiert Proudhon den Zusammenhang von Kapitalismus und Prostitution in der Schrift „Über die Prostitution". Statt Moral zu predigen wie Proudhon, kitzelt Rops die Wollust des Voy-eurs und benennt dennoch die ehernen Bande, die Dirne und Freier zusammenhalten: Das Schwein lockt mit einem goldenen Schwänzchen.

Es gibt einen riesigen Skandal, als das Bild 1887 in Belgien ausgestellt wird. „Vielen Menschen machst Du Angst" schreibt ein Freund, dem Rops sinngemäß antwortet: „Das erfreut meine Gefühle. Da gerät eine vollgefressene, fette, reiche, befriedigte Bourgeoisie außer sich, weil sie mit ihren Ohren, die nicht hören wollen, das Grollen der kommenden Gewitter und der Stürme des Volkes hört. In zwanzig Jahren wird nichts mehr übrig sein von dieser Leichenschauhalle, von diesen Lastern und den Triumphen des Besitzes."

L'amour mouché

Rops trifft Baudelaire in Belgien. Der Pariser Dichter überarbeitet hier radikal seine „Blumen des Bösen", von dessen berauschendem Duft sich der zwölf Jahre jüngere Zeichner anstecken läßt. Rops zieht nach Paris, wo er die Bücher der berühmtesten Schriftsteller illustriert: neben Baudelaire sind Mallarmé, Verlaine, Barbey d´Aurevilly, Huysmans stellvertretend für viele andere zu nennen. Er ist der gefragteste Illustrator, weil er genial die Gedanken der Künstler zeichnerisch auf den Punkt bringt.

Félicien Rops, ‘L‘amour mouché‘, 1878-1881, Pastell, Gouache und Steinkreide, Musée Félicien Rops, Namur

Rops revolutioniert die grafische Kunst. Er entwickelt Techniken, die ihm erlauben, Vervielfältigung und Seltenheit, Reproduktion und Original, Radierung und Malerei zu verbinden. Nach seinem ersten Aufenthalt 1862 in Paris, wo er die besten Aquafortisten der Zeit kennenlernt, entwickelt er selbst die Ätztechnik in Form des Vernis-mou-Verfahrens weiter: Statt eines harten Grundes wird dabei ein weicher Decklack, eben der „weiche Grund" auf eine Metallplatte aufgetragen. Rops integriert neue, photomechanische Verfahren in seine Arbeit. Auf die bereits helio-gravierte Platte radiert er neu am Blattrand seine Assoziationen des Themas, die „Anmerkungen". Auf diese Weise produziert er nicht nur quali-tativ hochwertige und damit hohe, lukrative Auflagen, er zerschneidet auch immer wieder große Platten, um von Teilen eigenständige Blätter abzuziehen.

Satansbrut

Künstlerisch fühlt sich Rops den Symbolisten verbunden, einer vornehmlich literarischen Sammelbewegung von unabhängigen Künstlern, die erst nach der „Commune" stärker öffentlich auftritt. Durch die Betonung der Autonomie der Symbole problematisieren die Schriftsteller die in der Alltagssprache vorherrschende Eindeutigkeit der Sprache. In der Verschlüsselung der Sprache liegt für den Leser die Freiheit der Mehrdeutigkeit. Die Symbolisten wehren sich dagegen, nur zur Propagierung eines flachen bürgerlichen Fortschrittsoptimismus mißbraucht zu werden.

Vor allem der „Satanismus" bekämpft die vorherrschende Wissenschaftsgläubigkeit, den Szientismus, und den positivistischen Empirismus, der gleichsam zur „Staatsreligion" der Dritten Republik geworden ist. Für Huysmans bedeutet der Satanismus, sich von der Banalität und Mittelmäßigkeit der bürgerlichen Welt abzusetzen und eine Gegenwelt aufzubauen, die in verzerrender Negativprojektion positive Neuansätze vorstellt. Der Verlust des Unbewußten wird für Huysmans in dem problematischen Verhältnis der Geschlechter zueinander, in der Sexualität schlechthin offensichtlich. Sozialpsychologisch betrachtet sind der Satanskult und die Schwarze Messe - das per-vertierte Gegenstück zur christlichen Messe - Ausdruck des stark tabuisierten sexuellen Lebens im 19. Jahrhundert, aber auch ein Zeichen einer unbefriedigten Religiosität. In den poetischen Bildern Baudelaires finden die Ausgestoßenen der bürgerlichen Gesellschaft, die Armen, die Verbrecher und Dirnen, nur bei Satan Erlösung.

Schon bei der Abfassung der „Hundert lockeren Skizzen" hegt Rops den Plan, einen Kontrapunkt gegen das erotische Paradies zu setzen, das er bisher favorisierte. 1882 zeichnet er eine Serie, die den Kreuzweg Christi als Triumphzug Satans darstellt. Über die Aussaat der Hexenbrut (»Satan semant l´ivraie«) und die Entführung der Hexe (»L´enlèvement«) gelangt Rops zum Cal-varienberg (»Le Calvaire«), wo der Hexensabbat stattfindet. Souverän bedient sich der Künstler des gesamten Bildarchivs der abendländischen Kultur, um eine Welt zu komponieren, in der alle Tabus gebrochen werden. Satan tritt an die Stelle des Gekreuzigten, und Maria Magdalena, die Büßerin, verfällt mit Wonne wieder der Fleischeslust. Die Ur-Instinkte, die im modernen Leben verdrängt werden, sind frei.

Die Satanisten

Das Ausgangsbild der Serie, die in Hannover vollständig zu sehen war, zeigt den Grund der satanischen Handlung. Rops hat das Motiv des teuflischen Sämanns schon 1867 dargestellt - ohne die Stadtansicht von Paris. 1882 ist diese deutlich erkennbar. Joris-Karl Huysmans beschreibt ihre Topographie genau: „In der Nacht über dem schlafenden Paris nimmt ein ungeheurer Sämann den Himmel ein. Seine Füße in schweren Holzschuhen treten auf die Dächer des rechten Seine-Ufers und die Turmspitzen von Notre-Dame. Unter dem Bogen, den seine mageren Beine bilden, fließt die Seine weiß wie Reiswasser, das der Mond glasiert, und seine Scheibe scheint wundgerieben vom Wolkennebel."

Rops zeichnet das neue Paris - das sich nach 1855 und 1878 wieder auf eine Weltausstellung vorbereitet, auf der der Eiffelturm als Kathedrale des technischen Fortschritts gen Himmel ragen wird - als tote Stadt, über die der Mond sein fahles Leichentuch ausbreitet. 1881/82 stellt der Republikaner Jules Ferry stolz die neueste Errungenschaft der Dritten Republik vor: das Gesetz über „die allgemeine, freie, laizistische Schulpflicht". Die katholische Kirche unter dem mächtigen Bischof von Paris, Louis Vuillot, entfacht einen wahren Religionskrieg. Beinahe täglich ruft »La Croix«, die katholische Tageszeitung, zu neuen Aktionen gegen »La loi Ferry« auf. Buß-prozessionen erregen die Gemüter der Menschen.

Bewußt provoziert Rops die ultramontane Kirche, um gleichzeitig zum herrschenden Positivismus der Dritten Republik auf Distanz zu gehen. Das »Système de politique positive« von Au-guste Comte ist die Bibel, mit deren Lehre gläubige Politiker meinen, die gesellschaftlichen Probleme lösen zu können. So fordert Léon Bourgeois (nomen est omen): „Laßt uns politisch und sozial die Gesellschaft nach den Gesetzen der Vernunft organisieren."

Conclusio

Man mußt ihn nicht politisch interpretieren. Rops selbst will niemanden agitieren: „Ich verabscheue das ganze große Publikum" schreibt er 1887 an einen Freund, „die Kunst hat nicht demokratisch, sozial, sozialistisch oder populär zu sein. Im Gegensatz zu den Leuten, die glauben, daß ein Roman oder eine Skizze die Rettung der Gesellschaft zur Mission hat oder „die Aufklärung der Massen" meine ich, daß die Kunst bei Strafe des Untergangs immer das eine war und sein wird: ein Druidismus. Man müßte für zweihundert ausgewählte Augen in Europa ausstellen."

Rops folgt der Auffassung seines Freundes Mallarmé, daß der Künstler elitär sein muß, aber er teilt auch dessen politische Motivation, die scheinbar den künstlerischen Mitteln zuwiderläuft: „Der Mensch kann Demokrat sein, der Künstler sondert sich ab und muß Aristokrat sein" schreibt Mallarmé bereits 1862 in seiner Schrift „Die Kunst für alle" (L´art pour tous). „Die Stunde, die jetzt schlägt, ist ernst: die Bildung kommt ins Volk, große Doktrinen werden um sich greifen. Macht, daß, wenn Popularisierung sein muß, eine der irdischen Güter kommt und nicht eine Popularisierung der Kunst."

Ihn nicht politisch zu interpretieren setzt Rops gröbsten Verleumdungen aus. Davor warnt man ihn schon zu Lebzeiten: „Ach! bester Freund, sie müssen sich darein fügen: für das Vulgum pecus, das in seinem Ungeschick Ihre machtvolle und grausame Kunst kaum durchschaut, laufen Sie wohl Gefahr, niemals etwas anderes als ein Pornograph zu sein, und ich rate Ihnen, dies ebenso fröhlich hinzunehmen wie wenn man Sie Fély, den Infamen nennt..."

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog bei Hatje/Cantz erschienen: „Félicien Rops. 1833-1898" (224 S., 121 überwiegend farbige Abb., 58 DM)

Dr. Hans Joachim Neyer
Direktor des Wilhelm-Busch-Museums, Hannover

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/1999

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