Stiftung Weimarer Klassik - Herzogin Anna Amalia Bibliothek

Wieland-Büste, Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Stiftung Weimarer Klassik, Foto: Sigrid Geske, Weimar

Die Vorgeschichte der Bibliothek reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück; doch gilt als eigentlicher Gründungsakt die Anweisung des Herzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (1662-1728) aus dem Jahr 1691, die fürstliche Büchersammlung zu ordnen und zu verzeichnen.

Von da an wurde die Bibliothek, die zunächst im Weimarer Residenzschloss untergebracht war, zielgerichtet vermehrt und verwaltet. Eine größere öffentliche Wirkung konnte sie jedoch erst in einem eigenen Gebäude entfalten, das ab 1766 zur Verfügung stand: Herzogin Anna Amalia (1739-1807) ließ das "Grüne Schlößchen" aus dem 16. Jahrhundert als Bibliothek umbauen. Der Rokokosaal mit seinen Büchern und Landkarten, Büsten und Bildern bildet das Herzstück des Baus.

Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Rokokosaal, Stiftung Weimarer Klassik, Foto: Sigrid Geske

Von 1797 bis 1832 stand die Bibliothek unter Goethes Oberleitung. Er gab ihr eine moderne Bibliotheksordnung, sorgte für den systematischen Ausbau der Bestände und legte den Grund für den Aufschwung der Bibliothek, die mit einem Bestand von damals 80.000 Bänden zu den bedeutendsten Sammlungen in Deutschland zählte. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts setzte eine Phase der Musealisierung ein. Im Jahr 1919 erhielt die Großherzogliche Bibliothek den Namen Thüringische Landesbibliothek und sollte im neu gebildeten Freistaat auch volksbildnerische Aufgaben erfüllen. 1969 wurde sie mit der kleineren Institutsbibliothek der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten vereinigt und übernahm deren Namen: "Zentralbibliothek der deutschen Klassik". Von diesem Zeitpunkt an hat sie sich auf das Spezialgebiet Deutsche Literatur der Periode 1750 bis 1850 konzentriert und die Funktionen einer Regionalbibliothek allmählich aufgegeben. Seit 1991, dem 300-jährigen Bibliotheksjubiläum, nennt sie sich zu Ehren ihrer wichtigsten Patronin "Herzogin Anna Amalia Bibliothek". Die Bibliothek will als Forschungsbibliothek für Literatur- und Kulturgeschichte umfassend günstige Bedingungen für die Arbeit mit Quellenliteratur herstellen.

Johannes Schöner, Himmelsglobus (vor 1534), Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Stiftung Weimarer Klassik, , Foto: Sigrid Geske

Unter den historischen Beständen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek nehmen die Quellenbestände aus dem Zeitraum 1750 bis 1850 quantitativ und qualitativ einen besonderen Rang ein. Einen unersetzbaren Wert hat die Privatbibliothek Goethes (5.424 Bände), die von der Herzogin Anna Amalia Bibliothek verwaltet wird, aber im historischen Wohnhaus am Frauenplan aufgestellt bleibt. Dort werden auch die Reste der Privatbibliothek Schillers (486 Bände) aufbewahrt. Die Bibliothek der Familie von Arnim (4.800 Bände) bildet im Bibliotheksbereich des Stadtschlosses eine geschlossene Sammlung. Von den großen deutschen Autoren der Aufklärung, Klassik, Romantik und des Vormärz fehlt in den Beständen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek kaum eine Originalausgabe. Auch die ausländische Dichtung der Zeit ist an dem Ort, wo Goethe sein Konzept der "Weltliteratur" ausprägte, breit vertreten. Das gilt insbesondere für die französische Literatur. Darüber hinaus sind die Werke der Wissenschaften jener Zeit in repräsentativer Auswahl gesammelt worden: von den Künsten über die Rechtsgeschichte bis zur Botanik und Militärwissenschaft. Einen besonders dichten Bestand bilden die Almanache, Kalender und Taschenbücher der Zeit 1750 bis 1850, eine Literaturgattung, die nur von wenigen Bibliotheken systematisch gesammelt wurde, obwohl sie Publikationsort zahlreicher Erstveröffentlichungen literarischer Texte war.

In der Zeit der Oberaufsicht Goethes wurden insbesondere die mittelalterlichen Handschriften um wichtige Stücke ergänzt (z. B. durch die Biblia Pauperum aus dem Erfurter Petrikloster um 1340, orientalische Handschriften), die Schriften zur Reformationszeit und die Barockliteratur, die wertvolle Kartensammlung (z. B. um die beiden Weltkarten von Diego Ribeiro 1527 und 1529) sowie die Literatur aus und über Italien (vor allem durch den Nachlass Anna Amalias). An Quellenwerken aus der Zeit 1450 bis 1750 besitzt die Bibliothek mehr als 100.000 Drucke. Dieser "vorgoethesche" Bestand mit europäischem Profil hat die zusätzliche Bedeutung, dass er eine wichtige geistige Rüstkammer der Weimarer Autoren gewesen ist. Es sind die Druckwerke, mit denen Wieland, Goethe, Herder und Schiller gearbeitet haben und die Goethe verwaltet und ergänzt hat.

Aus dem Journal des Luxus der Moden, Bd. 14 (1799), Kupfertafe 14, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Stiftung Weimarer Klassik, , Foto: Sigrid Geske

Aus der Zeit nach 1850 sind die geschlossen aufgestellten (und um die internationale Forschungsliteratur ergänzten) Privatbibliotheken Liszts und Nietzsches hervorzuheben. Insbesondere die 775 aus dem Nachlass des Philosophen überlieferten Bücher stoßen auf großes Interesse der Wissenschaftler, weil Rezeptionsspuren Nietzsches (Anstreichungen, Randkommentare) vielfach nachweisbar sind und Aufschluss über die geistigen Quellen seines Werks geben. Die Sammlung Haar enthält bibliophile Drucke aus der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts (darunter fast alle Werke aus der Cranach-Presse, die Harry Graf Keßler zwischen 1903 und 1931 in Weimar geleitet hat). Besonders wertvoll sind außerdem die Buchbestände der Goethe-Gesellschaft und die Bibliothek der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Mit 13.000 Titeln beherbergt die Herzogin Anna Amalia Bibliothek auch die weltweit umfangreichste Sammlung zum Thema Faust. Breiter als in anderen wissenschaftlichen Bibliotheken wurde die schöne Literatur gesammelt, so dass sich z. B. die Erstausgaben expressionistischer Lyriker, die Romane Thomas Manns, die Dramen Heiner Müllers oder die Gedichte Durs Grünbeins im Bestand befinden.

Die Bibliothek verfügt heute über einen Benutzer-Lesesaal im Hauptgebäude und einen zweiten Arbeitsraum im Stadtschloss. Die Buchmagazine sind auf fünf Standorte in der Stadt verteilt. Im Hauptgebäude befindet sich nur noch 20 Prozent des Gesamtbestandes. Die Stiftung Weimarer Klassik plant, das Grüne Schloß, das dringend sanierungsbedürftig ist, zu restaurieren und an einem zweiten Standort, dem so genannten Gelben und Roten Schloß in unmittelbarer Nähe, die Buchbestände der Bibliothek zusammenzuführen und moderne Lesesäle für die wissenschaftlichen Benutzer einzurichten. Aufgrund eines europaweiten Wettbewerbs hat die Architektengemeinschaft Barz-Malfatti/Rittmannsperger/Schmitz aus Weimar/Erfurt im Mai 2000 den Planungsauftrag erhalten.

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist eine der wenigen aktiven Bibliotheken, die Denkmalwert haben und besichtigt werden können. Im Kulturstadtjahr 1999 wollten etwa 250.000 Menschen die Bibliothek besuchen, nur 10 Prozent jedoch fanden Einlass, weil eine strenge Limitierung der Besucherzahl aufgrund des gefährdeten baulichen Zustands nicht zu vermeiden war.

Legende der Heiligen Elisabeth, Franz Liszt, Titelblatt, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Stiftung Weimarer Klassik, Foto: Sigrid Geske
Dr. Michael Knoche,
Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek,
Stiftung Weimarer Klassik

 

 AsKI KULTURBERICHTE 2/2000

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