Stiftung Weimarer Klassik - Das Goethe-Nationalmuseum Weimar

Goethehaus, Christianenzimmer, Goethe-Nationalmuseum Weimar Stiftung Weimarer Klassik, Foto: Sigrid Geske

Die Gründung des Goethe-Nationalmuseums im Jahr 1885 ergab sich aus der testamentarischen Verfügung des letzten Goethe-Enkels, die Liegenschaften und Sammlungen des Dichters dem Großherzoglichen Haus zu übereignen.

In der von Carl Alexander strukturierten Museumslandschaft Weimars und Thüringens nimmt das Haus einen besonderen Platz ein. Es wurde nicht nur in den darauf folgenden Jahrzehnten bis heute zum organisatorischen Mittelpunkt einer ständig wachsenden Anzahl von Dichterhäusern, Gedenkstätten und Schlössern. Es verfügt auch über einen Sammlungsauftrag, der - ausgehend vom Kern des Goethe'schen Bestandes (rund 50.000 Objekte zur Kunst und zu den Naturwissenschaften) - diesen beständigen Erweiterungen folgt. Das vom Goethe-Nationalmuseum verwaltete Ensemble von heute rund 22 Liegenschaften innerhalb und außerhalb Weimars bestimmt das Sammlungsprofil. Zu den jeweils übernommenen Hausinventaren (z. B. Dornburg, Kochberg usw.) gehören umfangreiche Bestände, deren Erschließung in den letzten sieben Jahren ihren Reichtum und die oft in Vergessenheit geratenen historischen Zusammenhänge erst eigentlich vor Augen geführt hat. 

Umgekehrt ist die Geschichte des Hauses in den letzten vier Jahrzehnten vor der Wende geprägt von einer (in jedem Sinne) zentralisierenden Politik der so genannten "Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar" (NFG), deren Befolgung eines volkspädagogischen Vermittlungsauftrags die Gedenkstätten zwar denkmalpflegerisch erhielt, den "nicht ausgestellten" Sammlungsbestand aber programmatisch vernachlässigte. Daraus resultierende konservatorische Probleme teilt das Haus mit allen Institutionen, die der Mangelwirtschaft ausgeliefert waren. Der sehr ernste Scherz vom "VEB Goethe" zeigt das Ausmaß der erzwungenen Einpassung als Anpassung an ein weimarzentristisches, vor allem auf die Vermittlung Goethes und Schillers aufbauendes Konzept der Klammerinstitution (mit Ausnahme des Lebenswerkes von Gerhard Femmel), was die Abtrennung von der fachlichen Diskussion selbst innerhalb der Museen der ehemaligen DDR zur Konsequenz hatte. 

Fernrohr und Kompass (von Herder), Halsschmuck (Geschenk an Caroline Flachsland), Goethe-Nationalmuseum Weimar, Foto: Sigrid Geske

Die bis heute spürbaren Spätfolgen sind nur schrittweise und nach Maßgabe der behutsam zu steigernden wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit des Hauses überwindbar. Diese vor dem Hintergrund einer (noch zu schreibenden) Gesamtgeschichte der Sachsen-Weimarischen Museumslandschaft beruhigend episodisch anmutende Phase belegt, wie ein Zentralismus, der Archive, Bibliotheken und Museen zusammenzwingt, ohne ihre Eigendynamik und die jeweilige Fachwelt zu überblicken, letztlich den autistischen Moloch schafft und jede traditionsgestützte Profilschärfung eines Hauses und seine internationale Außenwirkung verhindert, die nur in der Spezialisierung liegen kann. Auch die nach wie vor imponierende Besucherstatistik (ca. 1000 Gäste pro Tag allein in Goethes Wohnhaus) kann den Mangel an intellektuellem Diskurs nicht ersetzen, der dem Haus jenseits seiner von Staatsbesuchen frequentierten auratischen Andachtswinkel eine wissenschaftliche Zukunft sichern muss.

Die Sammlungen des Goethe-Nationalmuseums sind heute durch einen weit beachteten EDV-gestützten Gesamtkatalog als Bilddatenbank größtenteils erschlossen, wenn auch noch nicht in allen Teilen zureichend kritisch bestimmt und gültig erforscht. Nachgewiesen werden derzeit rund 100.000 Objekte aus den Gattungen Gemälde, Skulptur, Mobiliar, Druckgraphik, Handzeichnungen, Münzen und Medaillen, Kunstgewerbe (als Sammelbegriff), historische Photographie. Im Haus wird neben der Bewältigung der durch Bau und Sanierung geprägten Tagesaufgaben (Neukonzeptionen ganzer Schlosseinrichtungen wie Dornburg 2000-2002) und der umfassenden konservatorischen und restauratorischen Maßnahmen zur Bergung und Rettung der Bestände sowohl an einer gattungsparallel organisierten Bestandserschließung als auch an Forschungsprojekten gearbeitet (u. a. Internationaler Porträtkatalog 1600-1900, Inventar der Sammlungen Goethes, Neuausgabe des Corpus der Goethe-Zeichnungen, Ikonographia Saxonia, Ikonographie der deutschen Klassik, monographische Künstlerbestände aus Klassik und Romantik). Ein Verbundkatalog des in Weimar befindlichen Gemäldebestandes aller Institutionen von 1500 bis 2000 ist im Aufbau. 

Johann Wolfgang von Goethe, Peterskirche in Rom, Aquarell, 1788, Corpus II, 263, Goethe-Nationalmuseum Weimar, Foto: Sigrid Geske

Der weitgezogene Interessenkreis der Goethe'schen Sammlungen hat auch den Sammlungsgrundriss des Hauses bestimmt. Nur die Kollektion zur Naturwissenschaft geht über den Goethe'schen Fundus kaum hinaus. Alle anderen Bestände werden nach Maßgabe von Ange bot und Haushaltsmitteln, zunehmend durch Schenkungen und Spenden, konsequent erweitert. Der 1885 mit Museumsgründung begonnene "kustodische Bestand" hat seinen Schwerpunkt zwischen 1750 und 1850 und sichert dem Haus auf dem Kunstmarkt und bei Nachlasserwerbungen einen festen Platz. Ein Augenmerk bei der Ankaufspolitik der letzten Jahre gilt Objekten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, soweit sie mit der Kulturgeschichte Weimars korrespondieren. Die rezeptionsgeschichtliche Sammlung mit Schwerpunkten beim literarischen Quartett der Klassiker reicht bis in die moderne Kunst, kann - und will - jedoch nicht im Bereich des Theaters z. B. mit anderen Sammlungen konkurrieren. Die Zugehörigkeit des Liszt-Hauses und des Nietzsche-Archivs (mit einem Interieur von Henry van de Velde) zum Museumsensemble begünstigt eine Weiterführung der dort vorhandenen Bestände.

Bei all dem ist zu berücksichtigen, dass die von den "NFG" verfügte Zernierung der Bestände in einen bibliothekarischen, einen archivarischen und einen "musealen" Teil sich auf die Nachlässe von Künstlern und Gelehrten zum großen Teil durch konsequente Ignorierung des Provenienzprinzips zerstörerisch ausgewirkt hat. Hinzu kommt, dass das Haus heute durch willkürlich zugewiesene Objekte aus der Phase der "Bodenreform" nur unter größten Schwierigkeiten historische Zusammenhänge wieder herstellen und tatsächliche Besitzverhältnisse rekonstruieren kann. Nach über Generationen gewachsenen Haustraditionen hat die "Verschiebung" von Beständen innerhalb Weimars seit 1953 ganze Bereiche wie z. B. die Graphische Sammlung der Großherzoglichen Bibliothek (heute Herzogin Anna Amalia Bibliothek) durch schubweise Überführung in das Goethe-Nationalmuseum als Sammlungskontext vorsätzlich zerstört, ohne dass umgekehrt das Haus am Frauenplan für diesen Bestandszuwachs fachlich und konservatorisch gerüstet gewesen wäre.

In Weiterführung von z.T. jahrzehntelangen Vorhaben erscheinen seit 1996 regelmäßig jährlich mehrere Hausmonographien, Bestandsverzeichnisse und ausstellungsbezogene Publikationen; mit dem Gesamtverzeichnis des Gemäldebestandes (ca. 1700 Nummern) wird erstmals das Modell einer künftigen CD-Rom-Veröffentlichung der "Bestandsverzeichnisse des Goethe-Nationalmuseums" (hrsg. von Gerhard Schuster und Hans Zimmermann) vorgelegt. Nach Fertigstellung des durch Goethe-Jubiläum und Kulturstadtjahr ermöglichten Umbaus des Stammhauses mit neuer Ständiger Ausstellung, sammlungsbezogenen Benutzerräumlichkeiten und gestraffter Geschäftsverteilung kann der Bereich von Sonderaustellungen in und außerhalb Weimars künftig ebenso aktiv betrieben werden wie die Öffnung des Hauses für Fachkongresse und museumsspezifische Veranstaltungen. Leihgaben zu international beachteten Ausstellungen sind inzwischen die Regel; umgekehrt ist das Haus Gastgeber für befreundete Institutionen (Schiller-Nationalmuseum Marbach) und präsentiert seine Bestände außerhalb der Stadt (u. a. in der Casa di Goethe in Rom, wie Marbach Mitglied im AsKI). Im Vorfeld einer Fusion mit den Kunstsammlungen zu Weimar ist die Direktion gleichzeitig auch mit den entsprechenden bestandsbezogenen Untersuchungen betraut.

Das Goethe-Nationalmuseum wird unterstützt von einem eigenen Förderverein, dem "Freundeskreis des Goethe-Nationalmuseums e.V.", der mit beträchtlichem Finanzvolumen, eigenem Stipendienprogramm, Veranstaltungen, Museumsfesten, Sponsorenbindung und Großprojekten (s. den Aufruf zur Sanierung des Wielandgutes Oßmannstedt) u. a. die Arbeit des Hauses im Sinne seines Gründers Großherzog Carl Alexander vor allem in der Szene des literarischen und Kunstmuseums weit über Thüringen und Deutschland hinaus bekannt macht.

Prof. Dr. Gerhard Schuster,
stellvertretender amtierender Direktor
des Goethe-Nationalmuseums,
Stiftung Weimarer Klassik

 AsKI KULTURBERICHTE 2/2000

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