Stiftung Schloss Friedenstein Gotha: Die Rückkehr der verlorenen Meisterwerke

unbekannter Künstler nach Anthonis van Dyck, Selbstbildnis mit Sonnenblume, nach 1633, Öl auf Holz, Foto: MDR ; Rathgen Forschungslabor der Staatlichen Museen zu BerlinNach über 40 Jahren sind die fünf Gemälde aus dem „Gothaer Kunstraub" von 1979 wieder zurück in Gotha.

 In der Nacht zum 14. Dezember 1979 verschaffte sich ein Einbrecher vermutlich mittels Steigeisen über die Außenfassade Zutritt zu den Ausstellungsräumen im zweiten Obergeschoss von Schloss Friedenstein und stahl fünf Altmeistergemälde der niederländischen und altdeutschen Malerei. Die damaligen Ermittlungen mussten trotz intensivster Bemühungen sowohl der Kriminalpolizei als auch der Stasi nach wenigen Jahren ergebnislos eingestellt werden. Die Werke wurden seitdem als verschollen betrachtet und in internationalen Verlustkatalogen und Fahndungslisten geführt, ohne dass sich ein Hinweis auf ihren Verbleib ergeben hätte. Mit einem 1980 auf 5 Millionen Mark (West) geschätzten Wert der Werke gilt das Verbrechen als größter Kunstdiebstahl der DDR.

Zu den fünf Gemälden zählt die Darstellung der Heiligen Katharina von Hans Holbein dem Älteren – das einzige Werk des Meisters auf dem Gebiet der damaligen DDR –, ein Landschaftsbild aus der Werkstatt von Jan Brueghel d. Ä., ein Porträt von Frans Hals, ein Charakterbildnis eines alten Mannes aus der Rembrandtwerkstatt sowie eine zeitgenössische Kopie eines Selbstbildnisses von van Dyck. Im Sommer 2018 tauchten die Bilder überraschend wieder auf. Sie wurden dem Oberbürgermeister der Stadt Gotha Knut Kreuch von einem Anwalt, der von einer Erbengemeinschaft beauftragt wurde, zum Kauf angeboten und konnten durch die Vermittlung der Ernst von Siemens Kunststiftung nach langwierigen Verhandlungen für die Sammlungen der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha zurückgewonnen werden. Am Ende der Verhandlungen konnte glücklicherweise eine Einigung erzielt werden, die keine finanziellen Nebenforderungen beinhaltete. Zuvor wurden die Gemälde im Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen in Berlin hinsichtlich ihrer Authentizität überprüft, die zweifelsfrei bestätigt werden konnte.

Hans Holbein d. Ä., Heilige Katharina, um 1510, Öl auf Holz, Foto: MDR ; Rathgen Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin

Alle Gemälde haben für die kunsthistorische Forschung und für die Gothaer Sammlung eine große Bedeutung. Sie stammen teilweise noch aus dem historischen Kunstkammerbestand von Herzog Ernst dem Frommen, dem Bauherren des Schlosses Friedenstein, und lassen sich über Jahrhunderte in den Beständen nachweisen. Die kleinformatige Tafel mit der Darstellung der Heiligen Katharina im Dreiviertelporträt, entstanden um 1510, gilt als hervorragende Arbeit des altdeutschen Meisters Hans Holbein d. Ä., dessen Werk den Übergang zur Renaissance-Malerei nördlich der Alpen markiert. Holbein verzichtet in der Darstellung sowohl auf einen Heiligenschein als auch auf den noch im 15. Jahrhundert üblichen Goldgrund. Nur Rad und Schwert, welche die jugendlich erscheinende Katharina mit beiden Händen hält und die als Folterinstrumente auf ihr späteres Martyrium verweisen, ermöglichen dem Betrachter die Identifikation als Heilige. Die Unmittelbarkeit der Darstellung wird durch die starke Kontrastierung des hellen Inkarnats und der weißen Kleidung vor dem dunklen, monochromen Hintergrund zusätzlich gesteigert.

Jan Brueghel d. Ä., Werkstatt?, Landstraße mit Bauernwagen und Kühen, um 1610, Öl auf Holz, , Foto: MDR ; Rathgen Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin

Einer der produktivsten Maler der Brueghel-Dynastie war Jan Brueghel d. Ä., der ein umfangreiches Œuvre, vor allem von Landschaftsbildern, hinterlassen hat. Diese weisen eine bestechende Qualität auf und waren bereits zu Lebzeiten Brueghels in ganz Europa hoch begehrt. An die malerische Feinheit und den Detailreichtum eigenhändiger Werke reicht die Gothaer Darstellung nicht ganz heran, weshalb aktuell von einer Werkstattarbeit ausgegangen wird, die wahrscheinlich im unmittelbaren Umkreis des Meisters entstanden ist. Anders als zahlreiche andere Landschaftsbilder des Künstlers weist die Eichenholztafel ein repräsentativeres Format auf.

Frans Hals, Brustbild eines unbekannten Herrn mit Hut, um 1535, Öl auf Leinwand, Foto: MDR ; Rathgen Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin

Das Porträt von Frans Hals zeigt einen niederländischen Patrizier mit Schnurrbart im Dreiviertelprofil. Haltung und Mimik verleihen dem lächelnden Unbekannten eine große körperliche Präsenz: Wie in einem Fenster scheint er sich dem Betrachter zuzuwenden und den Blickkontakt aufzunehmen. Frans Hals, der sich auf die Anfertigung von Porträts spezialisiert hatte, gilt als einer der bedeutendsten Künstler des goldenen Zeitalters der niederländischen Malerei. Seit 1975 wurde das Gothaer Gemälde als Werkstattarbeit angesehen, doch weist es deutliche Parallelen zu eigenhändigen Werken, beispielsweise in Amsterdam oder Berlin, auf. Nach einer vorläufigen Neueinschätzung darf von einer qualitätsvollen Arbeit des Meisters selbst ausgegangen werden, deren Gesamteindruck allerdings aufgrund des Erhaltungszustandes gemindert wird.

Ferdinand Bol (?), Bildnis eines alten Mannes, nach 1632, Öl auf Holz, Foto: MDR ; Rathgen Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin

Rembrandts virtuose Bildnisse alter Männer oder Frauen waren bereits zu Lebzeiten legendär. In dem Gothaer Gemälde erstrahlt in diffusem Licht vor der Tiefe eines dunklen Raums ein Greisenkopf, der von der Seite beleuchtet wird. Bei dem Gemälde ging es nicht um die Wiedergabe einer konkreten Person, sondern um eine sogenannte „tronie", eine porträtähnliche Kopf- oder Charakterstudie. Diese präsentiert dem Betrachter allgemeine menschliche Eigenschaften wie das Altern und Verblühen des Lebens und führt das hohe künstlerische Können des Malers vor Augen. Spricht die Gothaer Verlustdokumentation der Stiftung noch von Jan Lievens als möglichem Maler, wird nun wieder eine ältere Zuschreibung an Ferdinand Bol ins Auge gefasst. Eine endgültige Identifikation des Künstlers steht allerdings noch aus. Sicher ist, dass das Gemälde einem Rembrandt-Bildnis von 1632 folgt, welches sich heute in Cambridge befindet. Insgesamt ist es deutlich restaurierungsbedürftig. An etlichen Stellen befinden sich tiefe Kratzer in der Malschicht, die teilweise bis auf den Bildträger reichen – Schäden, die mit dem Diebstahl von 1979 in Zusammenhang stehen.

Anthonis van Dyck war einer der erfolgreichsten Porträtisten seiner Epoche. Das berühmte Selbstporträt des Malers mit Sonnenblume hat zahlreiche Kopien erfahren und rasch besondere Aufmerksamkeit geweckt. Weitere Versionen befinden sich in den Sammlungen von Brüssel, London und Karlsruhe, die alle auf einem Vorbild basieren, welches sich im Besitz des Dukes of Westminster befindet. Für das Verständnis des Selbstporträts ist die goldene Kette von entscheidender Bedeutung. Sie war ein Geschenk des englischen Königs an den für ihn tätigen Hofkünstler. Die Sonnenblume, deren Blüte dem Verlauf der Sonne folgt, könnte symbolisch als Anspielung auf den Hofmann gedeutet werden, der dem König loyal ergeben ist. Das Gemälde veranschaulicht somit den Erfolg und die gesellschaftliche Bedeutung van Dycks auf dem Höhepunkt seines Erfolges. Der Blick über die Schulter bedient sich dabei einer alten Tradition der Selbstinszenierung von Malern und veranschaulicht das der Intuition folgende Künstlergenie.

Die fünf Gemälde wurden im Januar 2020 erstmals wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Bevor sie dauerhaft ausgestellt werden können, müssen sie umfangreich restauriert und mit neuen Rahmen versehen werden. Die Originalrahmen sind im Zusammenhang mit dem Diebstahl verloren gegangen. Ausgehend von dem spektakulären Verbrechen von 1979 plant die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha für das nächste Jahr eine große Sonderausstellung. Diese wird die wechselhafte Gothaer Sammlungsgeschichte des 20. Jahrhunderts beleuchten, die durch umfangreiche Verluste, aber auch durch Rückgaben geprägt war. Hier werden dann auch die fünf zurückgekehrten Gemälde zu sehen sein, bevor sie in die Dauerausstellung des Herzoglichen Museums integriert werden. Auch ist zu hoffen, dass bis dahin mehr über die Hintergründe des Diebstahls bekannt wird, zu dem im Zusammenhang mit der Rückgabe erneut ermittelt wurde. Erste Ergebnisse gehen davon aus, dass es sich damals höchstwahrscheinlich um einen Einzeltäter aus Südthüringen gehandelt hat, der in den 1980er-Jahren die Bilder in den Westen schmuggeln und erfolgreich verkaufen konnte.

Dr. Timo Trümper
Direktor Wissenschaft und Sammlungen
Stiftung Schloss Friedenstein Gotha


Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Wieder zurück in Gotha!
Die verlorenen Meisterwerke

30. Mai bis 29. August 2021
www.stiftung-friedenstein.de

Derzeit geschlossen
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog.

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2020

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