Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf: Luthers Norden – Kulturwirkungen der Reformation (Teil 2)

Logo Schloss Gottorf

Schloss Gottorf Schleswig, Foto: Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf

Wurden im letzten Heft von KULTUR lebendig die Ziele und Hintergründe des interdisziplinären Verbundprojektes „Luthers Norden" dargestellt, sollen nun konkrete Aktivitäten geschildert werden.

Unter dem Dach der evangelisch-lutherischen Kirche in Nord­deutsch­land / Nordkirche und getragen von der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf in Kooperation mit weiteren Partnern will das Verbundprojekt „Luthers Norden" die vielfältigen Wirkungen der Reformation in Nordeuropa auf den Feldern der Musik, Bildenden Kunst und Glaubenskultur in Veranstaltungen wie Konzerten, Ausstellungen und Tagungen einem breiteren Publikum bekannt machen.

Festival Gottorfer Hofmusik
2012, im Themenjahr „Reformation und Musik", fand auf Schloss Gottorf erstmals das Festival „Gottorfer Hofmusik" statt. Stars der Alten Musik wie das Ensemble Weser-Renaissance Bremen kamen zusammen, um die Musikkultur des herzoglichen Hofes im 17. Jahrhundert zu neuem Leben zu erwecken. Eine besondere Blüte erlebte die Gottorfer Hofmusik in der Regierungszeit von Herzog Christian Albrecht: Seine Hofkapellmeister schufen zwischen 1665 und 1700 eine neue Kirchenmusik, in der Kunstformen wie die „Bach-Kantate" entwickelt wurden. Ohne die Gottorfer Musikkultur ist die lutherische Kirchenkantate des 18. Jahrhunderts kaum denkbar.

Auf den Gottorfer Kapellmeister Georg Österreich (1664–1735) geht zudem eine umfang­reiche Notensammlung zurück, die neben der etwas älteren Sammlung des schwedischen Hofkapellmeisters Gustav Düben die einzige Quelle für die gesamte Überlieferung lutherischer Kirchenmusik um 1660/1700 ist. Ohne diese beiden Sammlungen wäre ein Zugang zur deutschsprachigen Musikkultur des 17. Jahrhunderts nicht möglich; die wissenschaftliche Aufarbeitung der Gottorfer Hofmusik ist deshalb eine Herausforderung mit weltweiter Bedeutung. Ihr widmet sich seit 2013 der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Konrad Küster im Rahmen des Projekts „Musik und Religion zwischen Rendsburg und Ribe / Musik og religion mellem Rendsburg og Ribe" und gefördert aus dem INTERREG 4 A-Programm Syddanmark-Schleswig-K.E.R.N. und dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung.

Während die „Sammlung Düben" seit 2006 in nahezu vollständiger Digitali­sierung online nutzbar ist, gilt dies für die Gottorfer Musikalien (heute in der Staatsbibliothek Berlin) nicht. Dabei spiegelt diese Sammlung die zeitgenössische mitteldeutsche Musikkultur umfassend, ja ist für diese der Hauptzugang: Wir kennen die Kirchenmusik der „Vor-Bach-Zeit" heute eigentlich nur, weil sie in den 1690er Jahren am Gottorfer Hof gesammelt wurde. Darüber hinaus wird in der Sammlung das musikalische Leben im damaligen Norddeutschland und Skandinavien erkennbar. Impulse, die von Gottorf aus international ausstrahlten, lagen in einer eigentümlichen Wechselbeziehung zwischen Oper und Kirche: So ist die 1673 gedruckte und dem Gottorfer Herzogspaar gewidmete Passionsmusik des Hofkapellmeisters Johann Theile ein Schlüsselwerk für die Entwicklung einer Gattung, deren berühmteste Vertreterin die Matthäuspassion Bachs wurde. Und nachdem Herzog Christian Albrecht und seine Hofmusiker 1678 bei der Gründung des Aufsehen erregenden Hamburger Opernhauses am Gänsemarkt eine entscheidende Rolle gespielt hatten, wurden Anregungen der Oper auch in der Gottorfer Kirchenmusik umgesetzt – mit unmittelbaren Folgen für die Kantatenkunst Bachs.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es umso mehr, dass sowohl die Rolle der Gottorfer Hofmusik als auch der in dieser Notensammlung verzeichnete Schatz und seine Bedeutung für die europäische Musikgeschichte bislang kaum wahrgenommen wurden. Erst durch die Fokussierung auf die für den Gottorfer Hof komponierte Musik durch Prof. Dr. Konrad Küster wurde die musikhistorische Bedeutung des Gottorfer Musiklebens und die von hier ausgehende innovative Wirkung erkennbar, kristallisierte sich Schloss Gottorf auch in musikalischer Hinsicht als ein Knotenpunkt zwischen Skandinavien und dem Reichsgebiet heraus – eine Erkenntnis, die wohl zu den wichtigsten Entdeckungen zur Musikgeschichte des 17. Jahrhunderts in Deutschland gezählt werden dürfte.

Auf der Grundlage dieser Forschung und den nun auch digital zugänglichen wissenschaftlichen Noteneditionen kann die Musik der Gottorfer Kapellmeister künftig in Konzerten an ihrem Ursprungsort auf Schloss Gottorf erlebt werden und ist in CD-Einspielungen auch weiteren Kreisen zugänglich. Dank der Partnerschaft mit dem NDR Kultur wurden 2012 und 2013 im Anschluss an die Konzerte durch das Ensemble Weser-Renaissance Bremen unter der Leitung von Prof. Dr. Manfred Cordes Einspielungen der „Gottorfer Hofmusik" für Rundfunksendungen sowie CD vorgenommen. 2012 wurden geistliche Kantaten von Augustin Pfleger eingespielt, dem ersten Hofkapellmeisters unter Herzog Christian Albrecht. Bei ihm finden die musikalischen Entwicklungen, die die lutherische Kirchenmusik so nachhaltig prägten, ihren Ausgangspunkt. Die seit Mai 2013 bei cpo vorliegende CD wurde von klassik heute mit einer hervorragenden Kritik und höchster Punktzahl in allen Kategorien gefeiert. 2013 wurden Kompositionen des Hofkapellmeisters Johann Philipp Förtsch eingespielt; die CD wird 2014 vorliegen. Für das Festival 2014 sind ein Konzert samt Einspielung zu Georg Österreich geplant, ihm und der von ihm begründeten Sammlung wird zudem eine Fachtagung gewidmet sein. Insgesamt ist das Projekt der Konzerte „Gottorfer Hofmusik" inklusive der CD-Einspielungen bis 2017 geplant.Die Gottorfer Orgel, Gehäuse von Johann von Groningen, 1567, Werk von Mads Kjersgaard, 1997 – 2003, Foto: Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf

Orgel
Eine weitere Säule von „Luthers Norden" bildet die multimediale Modul-Ausstellung „Orgeln an der Nordsee. Kultur der Marschen", die von Prof. Dr. Konrad Küster konzipiert und kuratiert wurde und im Rahmen des Kirchentages 2013 in Hamburg in Sankt Jacobi eröffnet wurde. Sie wird in den folgenden Jahren durch Kirchengemein­den an Nord- und Ostsee wandern, auch über den Wirkungskreis der Nordkirche hinaus. Dank des InterReg-Projektes „Musik und Religion zwischen Ribe und Rendsburg" konnte die Ausstellung auch ins Dänische übersetzt werden, um ab 2014 in dänischen Kirchen gezeigt zu werden. Den Startschuss hierfür gab eine Präsentation an der Kirchenmusikschule Lügumkloster, einem Kooperations­partner des InterReg-Projektes. Denn auch dänische Kirchen gehören in den Kulturkreis der Marschen, die für die Geschichte der Orgelkultur um 1500 eine höchst bedeutende Rolle spielten: Während die frühe lutherische Chormusik sich von Mitteldeutschland aus entwickelte, ist die große Tradition lutherischer Orgelmusik bis hin zu Johann Sebastian Bach nicht ohne die Orientierung an norddeutschen Vorbildern denkbar. Diese umfassenden Wirkungen der norddeutschen Orgelkunst werden in dieser multimedialen Ausstellung nun endlich ins rechte Licht gesetzt.

Bekannt ist Johann Sebastian Bachs Orientierung an norddeutscher Orgelkunst – u. a. an Dieterich Buxtehude; Bach verdankt seinen Ruhm als Orgelmeister den Eindrücken, die er in Norddeutschland gewonnen hat. Doch war dies lediglich der Schlusspunkt einer zweihundert­jährigen Erfolgsgeschichte norddeutscher Orgelkunst. Der Ausgangspunkt dieses Geschehens liegt in einer spezifischen Konstellation im südlichen Nordseeraum: Um 1450/1520 entwickelte dort die agrarische Bevölkerung eine ganz eigene Musikleidenschaft, bei der die Orgel eine Schlüsselrolle einnahm. Diese „norddeutsche Orgelkultur" ergab sich im Wechselspiel zwischen den großen Städten und den Marschen an der Nordsee, in denen sich – erstmals in der Geschichte der Menschheit – die Orgel zur „flächendeckenden Normalität" entwickelte. Die Orgel als notwendiges Inventarstück der Kirche: Dieser Gedanke wurde an der Nordsee realisiert. Er prägte bis 1700 das Denken aller Reformatoren und ihrer Nachfolger, als Frucht dieses weltweit ersten „Orgelvorkommens in der Fläche".
Während das erste Projektsegment „Lied – Hofmusik – Orgelkultur" zum Kirchentag in Hamburg im Mai 2013 sowie mit dem Festival „Gottorfer Hofmusik" zum Abschluss kam, wurden die Grundlagen für die folgenden Jahre schon gelegt. Das InterReg-Projekt „Musik und Religion zwischen Ribe und Rendsburg / Musik og religion mellem Rendsburg og Ribe" ermöglicht für weitere zwei Jahre wissenschaftliche Forschungen, die die Grundlage zukünftiger Aktivitäten in Deutschland und Dänemark bilden, darunter auf Gottorf des Festivals „Gottorfer Hofmusik"

Ausstellungen
Auch die weiteren geplanten Teilprojekte von „Luthers Norden" ab 2014 zielen darauf ab, bis zum Reformationsjubiläum 2017 weitere großartige Kulturleistungen, die aus dem nordelbischen Brückenland auf die nachreforma­torische Kultur ausstrahlten, in all ihrem Facettenreichtum darzustellen und in vielfältigen Aktivitäten wie Konzerten und Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So wie die von der Reformation ausgehende neue Kultur eine multimediale war, sollen auch die Vermittlungs­formen visuell wie auditiv sein; ebenso ist an medial unterschiedliche Publikationen gedacht.
Zum Reformationstag 2014 und bis in das Themenjahr „Bild und Bibel" 2015 hinein soll auf Gottorf eine Kabinettausstellung zu dem Rendsburger Exemplar der Gutenberg-Bibel gezeigt werden, das als Leihgabe der Kirche auf Schloss Gottorf ausgestellt ist.

Unter dem bisherigen Arbeitstitel „Im Ringen um den Glauben – der Norden wird evangelisch" ist für 2017 eine Ausstellung in Planung, die in Kooperation zwischen der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen und dem Pommerschen Landesmuseum Greifswald unter dem Dach der Nordkirche stattfinden soll, sofern die finanziellen Mittel bereitgestellt werden können. Sie soll den tiefgreifenden Kulturwandel anschaulich machen, der mit dem Konfessionswandel einherging. Fast alle Gebiete rings um die Ostsee schlossen sich der Reformation an. Damit entstand das größte konfessionell geschlossene Gebiet Europas. Die Ausstellung soll die Ausbreitung des neuen Glaubens von der Nordsee über Pommern bis nach Estland zeigen und die einschneidenden Änderungen, die dies nicht nur für die Kirchen der Länder, sondern auch für die Kultur, die Politik, die Wirtschaft und den Alltag der Menschen rund um die Ostsee mit sich brachte. Als weitere Partner sollen Kulturinstitute aus dem gesamten Ostseeraum einbezogen werden. Der internationale Kongress „Reformatio baltica. Kulturwirkungen der Reformation in den Metropolen des Ostseeraumes", der unter der Leitung von Prof. Dr. Johann Anselm Steiger 2015 in Vilnius stattfindet, wird dazu wesentliche Grundlagen beisteuern.

Uta Kuhl


Festival Gottorfer Hofmusik 2014

25. April bis 4. Mai
Schloss Gottorf, Schleswig

AsKI KULTUR lebendig 1/2014

.

xxnoxx_zaehler