Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf: Luthers Norden – Kulturwirkungen der Reformation (Teil 1)

Ansicht der Stadt Schleswig mit Schloss Gottorf, kolorierte  Radierung, 1584, Foto: Stiftung Schleswig Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf

Unter dem Titel „Luthers Norden" steht ein interdisziplinäres Verbundprojekt zur Lutherdekade, das unter dem Dach der evangelisch-lutherischen Kirche in Nord­deutsch­land / Nordkirche von der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf in Kooperation mit weiteren Partnern und Institutionen verantwortet wird.

Unter dem Titel „Luthers Norden" steht ein interdisziplinäres Verbundprojekt zur Lutherdekade, das unter dem Dach der evangelisch-lutherischen Kirche in Nord­deutsch­land / Nordkirche von der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf in Kooperation mit weiteren Partnern und Institutionen verantwortet wird.

Das aus etlichen Einzelaktivitäten bestehende Projekt spürt den vielfältigen kulturellen Nachwirkungen der Reformation in Nordeuropa – neben Norddeutschland vor allem in Skandinavien und im Ostseeraum – nach. Mit seinen öffentlich wirksamen Aktivitäten begann es 2012, im Themenjahr „Reformation und Musik", doch waren die wissenschaftlichen Grundlagen schon in den Jahren zuvor gelegt worden.

Ziel des Projektes ist es, die religiösen, konfessionellen und politischen Folgen und Wirkungen der Reformation in Nordeuropa auf den Feldern der Musik, Bildenden Kunst, Literatur und Glaubenskultur im 16. und 17. Jahrhundert zu erforschen und in Veranstaltungen wie Konzerten, Ausstellungen und Tagungen einem breiteren Publikum nahe zu bringen. Parallel dazu entstehen Publikationen, CD-Einspielungen und Noteneditionen als Zeugnisse dieser Kulturwirkungen, die damit allen Interessierten nachhaltig zugänglich sind.

Die bisher geleisteten Forschungen – vor allem von Professor Konrad Küster vom Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Freiburg sowie von Professor Johann Anselm Steiger vom Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Hamburg – machen deutlich, wie sehr die norddeutschen Ereignisse der Reformation im größeren historischen Zusammenhang des gesamten nördlichen Europas stehen, weshalb auch der baltische und skandinavische Raum im Blickfeld des Projektes liegen. So ist der zentrale Leitgedanke aller Einzelsegmente und Veranstaltungen, die Rolle Norddeutschlands mit seinen Verbindungen zu Dänemark, Schweden, dem Baltikum und Russland in der reformatorisch geprägten Kultur der Frühen Neuzeit neu zu bestimmen und darzustellen.

Dank der großzügigen Förderung des Bundesbeauftragen für Kultur und Medien, der Unterstützung der Nordkirche sowie weiterer Förderer wie des Freundeskreises Schloss Gottorf oder der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, konnte das Projekt 2012 zum Jahr „Reformation und Musik" mit dem Festival Gottorfer Hofmusik starten. Dies war Bestandteil des ersten Projektsegments „Lied – Hofmusik – Orgelspiel. Wie die norddeutsche Musik das Luthertum prägte". In einer ganzen Reihe von Veranstaltungen wie auch Editionen wurden elementare Aspekte der lutherischen Kultur in Szene gesetzt. Ein besonderer Akzent lag bei dieser ersten Projektphase auf der Musik, die sich im Norden nach der Reformation entwickelt hatte. Denn die Reformation legte einen Grundstein der europäischen Musikkultur und Nordwestdeutschland leistete dabei einen Schlüsselbeitrag.

Was sind nun diese Kulturwirkungen konkret, und wie lassen sich die nordeuro­päischen Ereignisse in Folge der Reformation umreißen? Bereits im 16., besonders aber im 17. Jahrhundert bildete sich aus der Reformation eine neuartige und multimedial ausgerichtete Glaubenskultur heraus. Norddeutsch­land kam dabei nicht nur die Rolle des Empfangenden zu: Vielmehr gingen von hier vielfältige kulturelle Impulse aus, die besonders vom heutigen Schleswig-Holstein in die übrigen Territorien des deutschen Sprachraumes wie auch nach Skandinavien hineinwirkten. Diese facettenreichen kulturellen und religiösen Entwicklungen, die die europäische Geschichte prägten, sind bisher kaum angemessen wahrgenommen und beleuchtet worden.

Schloss Gottorf, Hofkapelle, Foto: Stiftung Schleswig Holsteinische Landesmuseen Schloss GottorfDie Reformation in Nordeuropa ist untrennbar mit König Christian III. von Dänemark verbunden, der 1503 auf Schloss Gottorf geboren wurde: Er war ein begeisterter Anhänger und Förderer der von Luther initiierten Reformation, hatte er doch den Reformator auf dem Reichstag zu Worms 1521 selbst erlebt. 1524 übernahm Christian die Herrschaft in einem Teil des Herzogtums Schleswig und leitete sofort energische Kirchenreformen ein. Mit den „Haders­lebener Artikeln" von 1528 erließ er die erste lutherische Kirchen­ordnung und errichtete die erste „Landeskirche" im Königreich Dänemark bzw. Herzogtum Schleswig. Nachdem er 1534 dänischer König wurde, fasste die reformatorische Bewegung im ganzen Norden schnell Fuß. Johannes Bugenhagens Kirchenordnung für Schleswig-Holstein setzte 1542 den Schlussstein eines reformatorischen Gebäudes für das gesamte heutige Nordwestdeutschland und Dänemark. 25 Jahre nach dem Thesenanschlag war damit eine Grundlage geschaffen, die sich als weitaus stabiler als die mitteldeutsche Situation erweisen sollte. In der Folge waren es auch dynastischen Verbindungen zwischen Sachsen und Schleswig-Holstein bzw. Dänemark (Herzog Friedrich III. heiratete 1630 Maria Elisabeth von Sachsen), die für den Erfolg der Ideen Luthers in Europa bedeutsam wurden.

Das damalige Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf spielte im Hinblick auf die Kulturwirkungen der Reformation in mehrerlei Hinsicht eine besondere Rolle: Anders als in den meisten deutschen Landschaften waren hier die von der Reformation ausgehenden kulturellen Entwicklungen nicht von den katastrophalen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges überschattet oder unterbrochen worden. Zudem gab es im Herzogtum Schleswig-Holstein seit der Durchsetzung der Reformation unter König Christian III. von Dänemark eine konfessionelle Kontinuität und ungebrochene lutherische Tradition wie andernorts kaum. Die daraus hervorgehende, ausgeprägte kulturelle Kontinuität im Norden des Reiches bot für viele deutsche Regionen, auch und besonders für die schwer vom Dreißigjährigen Krieg betroffenen Kernländer der Reformation nach dessen Ende zahlreiche Anknüpfungspunkte, vor allem im Bereich der Musik.

Zu den bedeutendsten Protagonisten dieser neuen Glaubenskultur gehörte der Theologe und Poet Johann Rist (1607–1667). Ab 1635 wirkte er als Pastor in Wedel; seine bis heute wirksame Lebensleistung liegt in seinem dichterischen Wirken. Beginnend mit der Publikation der „Himmlischen Lieder" (1641/42), noch mitten im 30-jährigen Krieg, entfaltete er ein in mehrfacher Hinsicht außerordentlich ausstrahlungsreiches Wirken auf dem Gebiet der geistlichen Dichtung und gab, in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Musikern, vorwiegend Organisten norddeutscher Prägung, den Anstoß für die große Zeit des „deutschen evangelischen Kirchenliedes. Damit fand er im gesamten deutschen Sprachraum Nachfolger. Ausgangspunkt seines dichterischen Wirkens waren die poetischen Reformen von Martin Opitz in dessen „Buch von der deutschen Poeterey" von 1624. Einer der ersten, die Rists Ideen übernahmen, war Paul Gerhardt. Ohne Rists Anstöße ist die lutherische Liedkultur nicht denkbar.

Diese von Rist geprägte lutherische Lied- und Meditationskultur wird wahrnehmbar durch die wissenschaftliche Edition seiner „Himmlischen Lieder" und „Neuen Himmlischen Lieder", die Professor Johann Anselm Steiger von der Universität Hamburg und Professor Konrad Küster von der Universität Freiburg i. Br. besorgt haben. Passend zum ersten Festival „Gottorfer Hofmusik" 2012 lagen die „Himmlischen Lieder", erschienen im Akademie Verlag, vor und wurden im Rahmen eines musikalischen Festvortrages vorgestellt. Den musikalischen Part übernahm das Ensemble "Voces", das Rists Lieder sehr lebendig vortrug. Die Edition „Johann Rist, Neue Himmlische Lieder" erschien zum Festival Gottorfer Hofmusik 2013, bei dem Rists „Himmlischer Musik" ein eigenes Konzert des Ensemble "Voces" gewidmet war. Beim Hamburger Kirchentag wurde die Edition mit einem Symposium und einer zweiten Aufführung des Konzerts präsentiert.

Für die kommenden Jahre sind weitere Editionen, u. a. der Passionsdichtungen von Johann Rist oder auch Philipp Nicolais „Theoria vitae aeternae" geplant sowie Publikationen und Ausstellungen zu Daniel Cramers Bildtheologie.


Zu den weiteren Aktivitäten lesen Sie die Fortsetzung in Kultur lebendig 1/2014

Uta Kuhl

AsKI KULTUR lebendig 2/2013

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