Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: Schillers Möbel im Konzentrationslager Buchenwald

Objektensemble in der Dauerausstellung ‘Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945‘, Behälter zum Transport von Leichnamen durch die SS ermordeter sowjetischer Kriegsgefangener in das Krematorium des Lagers Buchenwald, ca. 2 x 2,30 x 1m; Objektensemble in der Dauerausstellung ‘Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945‘, Gedenkstätte Buchenwald, Foto: Claus Bach

Zur Geschichte und Musealisierung von Häftlingsarbeiten
Etwa in der Mitte der 2016 eröffneten Dauerausstellung „Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" befindet sich ein bemerkenswertes Objektensemble: Im Vordergrund ein großer mit Blech ausgekleideter Behälter, dahinter grob gearbeitete Holzkisten sowie ein klassizistisch anmutender Schreibtisch, ein Schrank und ein Hammerklavier.

Ein besonderes Objektensemble

Bei aller Unterschiedlichkeit handelt es sich bei diesen Objekten um Arbeiten, die Häftlinge um 1942 im Auftrag der SS in den Werkstätten des KZ Buchenwald anfertigen mussten:

  • den ca. 2m x 2,30m x 1m großen Behälter zum Transport von Leichnamen durch die
    SS ermordeter sowjetischer Kriegsgefangener in das Krematorium des Lagers;
  • die Kisten zur Evakuierung von Kulturgut aus den sogenannten Klassischen Stätten
    Weimars vor alliierten Luftangriffen;
  • und aus demselben Grund die Möbel zur Ersetzung der Originale im Weimarer Schiller­haus, insbesondere im Arbeits- und Sterbezimmer Friedrich Schillers.

Behälter zum Transport von Leichnamen durch die SS ermordeter sowjetischer Kriegsgefangener in das Krematorium des Lagers Buchenwald, ca. 2 x 2,30 x 1m; Objektensemble in der Dauerausstellung ‘Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945‘, Gedenkstätte Buchenwald, Foto: Claus Bach

Was ist über die Geschichte dieser Objekte und insbesondere über die Kopien der Schillermöbel bekannt? Und wie gestaltet(e) sich der museologische Umgang mit ihnen seit 80 Jahren?

Aufträge aus Weimar an das KZ Buchenwald

Die Geschichte der Schillermöbel verweist exemplarisch auf die von der SS geschaffenen extremen Gegensätze und menschenverachtenden Verhältnisse in Buchenwald, wie auf die intensiven Verflechtungen des KZ mit seinem Umfeld, insbesondere mit Weimar. Die Stadt war bereits seit den 1920er-Jahren eine Hochburg der Nationalsozialisten. Zahlreiche Bürger und Bürgerinnen sowie auch Vertreter von Institutionen machten aus ihrer Ablehnung der Weimarer Republik und ihrer NS-Anhängerschaft keinen Hehl. Unter ihnen waren auch zwei der an ganz zentraler Stelle für das klassische Erbe Verantwortliche: Eduard Scheidemantel, Kustos des städtischen Schillerhauses, und Hans Wahl, Direktor des Goethe-Nationalmuseums. Angesichts hoher Besuchszahlen sowie um den Durchhaltewillen der Bevölkerung zu stärken, sollten beide Häuser möglichst auch während des Zweiten Weltkriegs offengehalten werden. Anfang 1942 erschienen angesichts zunehmender alliierter Luftangriffe auf deutsche Städte weitergehende Luftschutzmaßnahmen notwendig. Während einer Besprechung am 17. Februar bei Oberbürgermeister Otto Koch empfahl Polizeipräsident Paul Hennicke von wichtigen Möbelstücken Goethes und Schillers „Zweitstücke" anfertigen zu lassen – und zwar in der Niederlassung der SS-eigenen Deutschen Ausrüstungswerken (DAW) im KZ Buchenwald. Dort bestellte daraufhin am 13. April Koch in Abstimmung mit Hans Wahl 40 Kisten zur Verpackung von Möbeln und Büchern aus Schillers Wohnhaus sowie Möbelkopien, darunter von Schreibtisch, Schrank und Klavier aus dem Arbeits- und Sterbezimmer des Dichters. Kopien von Möbeln Goethes wurden nicht beauftragt – warum, geht aus den Unterlagen nicht hervor –, Ende 1943 aber 80 Holzkisten zur Auslagerung von Beständen aus seinem Wohnhaus. Die Lieferung der für das Schillerhaus bestimmten Kisten ging bereits Anfang Mai 1942 in Weimar ein; Mitte dieses Monats wurden dann die Schiller­möbel in das KZ gebracht, als Vorlagen für die Kopien sowie um punktuell Ausbesserungsarbeiten an den Originalen vornehmen zu lassen. Die Auftragsausführung zog sich über ein Jahr lang hin: Originale und Kopien wurden erst ab Sommer 1943 sukzessive nach Weimar gebracht, zuletzt Schreibtisch und Klavier im Herbst. Im Dezember 1943 dankte Stadtoberbaurat August Lehrmann für die „gediegenen Arbeiten und die Kopien der Möbel" und sprach „den Leistungen der Deutschen Ausrüstungswerke erste Anerkennung" aus.

Im Vordergrund das Gelände der Deutschen Ausrüstungswerke Buchenwald, in unmittelbarer Nähe dahinter Krematorium und Häftlingslager, Flugaufnahme Mai 1945,

Während die Überlieferung für die Vorgänge und ihre Protagonisten in Weimar dicht ist, gilt dies deutlich weniger für Buchenwald. Bekannt ist, dass die DAW in dem seit 1937 betriebenen KZ vorhandene Handwerkerkommandos und Werkstätten ab 1940 sukzessive übernahmen und ausbauten. Ein Großteil der Produktion fand auf einem innerhalb von Stacheldrahtzaun, Wachtürmen und Postenkette gelegenen Areal östlich des Häftlingslagers statt. Unmittelbar von dort durch ein Tor erreichbar, befand sich in direkter Nähe auch das Krematorium, aus dessen Schlot während der massenhaften Verbrennung von Leichnamen schwarzer Rauch quoll.

Verglichen mit anderen Arbeitsbereichen, etwa dem Steinbruch, waren in den DAW-Werkstätten die körperlichen Belastungen geringer und die Häftlinge waren tendenziell weniger Willkür und plötzlichen Gewaltausbrüchen von SS-Männern ausgesetzt. Zudem boten sich auch über den Kontakt zu Zivilarbeitern Möglichkeiten, zusätzliche Lebensmittel zu organisieren. Vor diesem Hintergrund war auch der organisierte kommunistische Widerstand bemüht, eigene Protagonisten und andere als wichtig eingeschätzte deutsche und ausländische Häftlinge an DAW-Arbeitsplätzen zu sammeln.

Sogenannte Sippenwiege für NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel im Album mit Arbeiten aus den Deutschen Ausrüstungswerken, 1942, Foto: Gedenkstätte Buchenwald

Wenngleich die SS Rüstungsaufträgen im Verlauf des Krieges zunehmende Bedeutung beimaß, blieb die Produktpalette der DAW breit: Sie reichte von Munitionskisten, aufgearbeiteten Metallhülsen für Flugabwehr-Geschosse und für Militärbedarfe umgerüsteten LKW über standardisierte Einrichtungen für SS-Mannschaftsunterkünfte, hochwertige Ausstattungen für Büros und Häuser von SS-Führern bis hin zu aufwändigen Einzelstücken, darunter eine sogenannte Sippenwiege für den Nachwuchs des Thüringer NSDAP-Gauleiters Fritz Sauckel. Da derartige kunsthandwerkliche Arbeiten andere Fähigkeiten voraussetzten, als der serielle Manufakturbetrieb, benötigten die DAW sehr unterschiedlich qualifizierte Häftlinge, ausgewiesene Spezialisten inbegriffen. Von den zunächst hunderten, später bis zu 2.000 Zwangsarbeitern war ein kleinerer Teil Facharbeiter, es überwogen An- und Ungelernte. Für die Tischlerei wurde die Zahl der Beschäftigten Mitte 1942 mit 576 und Ende 1943 mit 715 Häftlingen angegeben.

Am 26. August 1942 wurden der DAW-Tisch­lerei zwei auf kunsthandwerkliche Einzelstücke spezialisierte Häftlinge neu zugeteilt: Der Politische Häftling und Kommunist Bruno Apitz, später berühmt geworden durch seinen KZ-Roman „Nackt unter Wölfen", und der von der SS als sogenannter Berufsverbrecher geführte Wilhelm (Willy) Werth. Beide hatten zuvor in der Bildhauerwerkstatt gearbeitet, direkt dem ersten Buchenwald-Kommandanten Karl Otto Koch unterstellt, der die Häftlinge zu seinem persönlichen Nutzen ausbeutete. Die aufgrund der ihnen gewährten erheblichen Vorteile sowie außergewöhnlich guten Arbeits- und Lebensbedingungen brachte Apitz später auf die Formulierung: „Wir waren Luxussklaven". Mit der Absetzung Kochs Ende 1941 wegen seiner selbst für SS-Verhältnisse extremen Korruption und Selbstbereicherung wurde die Bildhauerwerkstatt aufgelöst und die Häftlinge auf andere Arbeitskommandos verteilt bzw. in andere Lager versetzt.

Zwei Schiffsmodelle im Album mit Arbeiten aus den Deutschen Ausrüstungswerken, 1942, Foto: Gedenkstätte Buchenwald

Apitz und Werth blieben in Buchenwald und waren bis zur Zuteilung an die DAW-Tischlerei zwischenzeitlich in verschiedenen Kommandos beschäftigt. Offenbar hielt der neue Lagerkommandant Hermann Pister die handwerklichen Fähigkeiten beider ebenfalls für nützlich; immerhin wies er persönlich am 5. Mai 1942 für sie „Schwerarbeiterzulage" an. Um dieselbe Zeit wurde im Auftrag der SS ein Produktalbum für die DAW zusammengestellt, mit zahlreichen individuellen Arbeiten von Häftlingen, darunter auch des auf Holzplastiken spezialisierten Apitz, sowie wahrscheinlich auch von Werth, dessen Spezialität der Bau filigraner Schiffsmodelle war. In zweien davon fand sich nach dem Krieg je ein Kassiber, die Werth 1939 bzw. 1940 geschrieben hatte, ein drittes signierte er sogar äußerlich sichtbar am Rupf mit „W. Werth 1943". Über ihn schrieb Nils M. Apeland, ein als Student aus Norwegen nach Buchenwald Deportierter, in sein Tagebuch, er sei „sehr geschickt darin, verschiedene Dinge aus Holz anzufertigen. Er schnitzt Zigarettenetuis u. a. Ab und zu baut er kleine Wikingerschiffe und andere kleine Modellboote. Das ist Willys Spezialität."

Von Willy Werth unterzeichneter Kassiber aus einem in Buchenwald gebauten Schiffsmodell. Text: ‘Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar i. Thüringen, Den 14. März 1939, O Buchenwald, ich kann Dich nie vergessen, weil Du mein Schicksal bist. Wir bauten das Schifflein in einer nie vergessenen Zeit. Es herrscht Tiefus [sic] im Lager. Willy Werth, Häftling No. 647 aus Essen-Ruhr, Willi Hering, Elster/Elbe [Zeile in Kurzschrift verfasst] Alfred Schellenberger, Leipzig-Möckern‘, Foto: Gedenkstätte Buchenwald

Gleichzeitig gehörte es ebenso zu den Verhältnissen des KZ Buchenwald, dass die SS die Lagerwerkstätten einbezog in die Vorbereitung und Umsetzung von Folter und Mord. So mussten Häftlingshandwerker beispielsweise einen Prügelbock und einen transportablen Galgen herstellen, im Oktober 1941 einen SS-Pferdestall für den Massenmord an 8.000 sowjetischen Kriegsgefangenen zur „Genickschussanlage" umrüsten und eben auch die abgedichteten Behälter zum Leichentransport bauen. Auch das DAW-Gelände selbst nutzte die SS für die Tötung sowjetischer Kriegsgefangener.

In diese Konstellation wurden im Frühjahr 1942 aus Weimar die originalen Schillermöbel nach Buchenwald geliefert. Der Auftrag zur Herstellung der 40 Transportkisten für das Schillerhaus war da bereits abgearbeitet, vermutlich in den Serienroutinen der DAW von namentlich nicht bekannten Häftlingen. Das Kopieren der Schillermöbel zog sich dagegen hin. Am 31. Juli 1942 begaben sich zwei städtische Angestellte persönlich auf das DAW-Gelände, um sich über den Fortgang der Arbeiten zu informieren, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen hatten. Die Originale seien aber „gut untergestellt", und zwar im Untergeschoss einer Tischlereibaracke. Dazu, wer im Verlauf der folgenden mehr als 12 Monate die Möbelkopien anfertigte, konnten bislang keine schriftlichen Informationen gefunden werden. Den einzigen konkreten Hinweis bietet die Schilderung von Sverre Sollum, einem weiteren aus Norwegen deportierten Studenten, im Jahr 1999. Er sei 55 Jahre zuvor in der Tischlerei Willy Werth zugeteilt gewesen, der zuvor wesentlich in die Arbeiten an den Schillermöbeln eingebunden gewesen sei. Auch wenn dazu von Werth keine Aussage bekannt ist, erscheint seine Beteiligung gut vorstellbar angesichts seiner ausgewiesenen handwerklichen Fähigkeiten. Und wenn dem tatsächlich so war, können mit ihm in Zusammenhang stehende Vorgänge im Lager evtl. auch Hinweise dafür liefern, warum sich die Anfertigung der Möbelkopien trotz der großen symbolischen Bedeutung so lange hinzog. So fiel der Auftrag zeitlich in die Umstrukturierungen nach der Absetzung Kochs als Lagerkommandant. Und dass ein knappes Jahr später, am 20. Juli 1943, der SS-Lagerarzt Werth „8 Wochen Arbeit im Freien" anwies, „damit er nach seinem Aufenthalt im Revier wieder soweit hergestellt wird, dass er an seinem bisherigen Arbeitsplatz voll eingesetzt werden kann" könnte für weitere Verzögerungen gesorgt haben.

Kopie von Schillers Schreibtisch in der ehemaligen Desinfektion des KZ Buchenwald, 1999, Foto: Gedenkstätte Buchenwald

Ausstellung der Möbelkopien

Nach der Lieferung der Schreibtischkopie aus dem KZ veranlasste OB Koch am 19. Oktober 1943 unmittelbar deren Aufstellung, versehen mit dem Hinweis: „Die Möbel in Schillers Arbeits- und Sterbezimmer sind getreue Nachbildungen der in Sicherheit gebrachten Originale." Dass Häftlinge die Kopien im KZ anfertigen mussten, blieb unerwähnt – was wenig überrascht.

Durch einen Luftangriff auf Weimar beschädigtes Schillerhaus, nach dem 9. Februar 1945, Foto: Günther Beyer, Lichtbildner Constantin Beyer, Weimar

Nach Kriegsende wurden die Möbelkopien zunächst auf dem Dachboden des Weimarer Rathauses abgestellt. 1953 gingen sie an die neu gegründeten Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur (die Vorläuferinstitution der Klassik Stiftung Weimar) über. Dass dann jahrzehntelang keinerlei Auseinandersetzung mit den „Zweitstücken" der Schillermöbel stattfand, passt in das dichotome und bewusst entflochtene Bild, das namhafte Weimarer Persönlichkeiten, unter ihnen Hans Wahl, seit der Befreiung 1945 mit Blick auf die Stadt und das Lager erfolgreich etablierten. Die Kopie von Schillers Klavier wurde sogar noch bis 1998 als „Original" im Wielandgut Oßmannstedt präsentiert. Erst seit 1999 befindet sich im Goethe-Nationalmuseum eine Installation mit im KZ gefertigten Evakuierungskisten. 2021/22 zeigte die Klassik Stiftung im Rahmen des Projektes „Möbel in Bewegung" im Schillerhaus einen der im KZ Buchenwald nachgebauten Stühle neben den Original-Möbeln in Schillers Arbeitszimmer.

Ebenfalls 1999 konnte die Gedenkstätte erstmals eine Auswahl der Möbelkopien ausstellen, direkt neben den Desinfektionskammern des Lagers und in Sichtweite des früheren Standorts der DAW-Tischlerei.

Eine weitere Ausstellung erfolgte dort 2008, nachdem die Klassik Stiftung einen Teil der Kopien als Dauerleihgabe übergeben hatte. Seit 2016 sind sie in Buchenwald dauerhaft öffentlich präsent. Wie ausgeführt steht das mit ihnen gebildete Objektensemble für die engen zeitlichen, räumlichen und personellen Zusammenhänge von Zwangsarbeit, Ausbeutung und Massenmord im KZ ebenso, wie für partielle Handlungsspielräume und eine erhebliche Besserstellung von Häftlingen, wenn dies im Interesse von SS-Verantwortlichen war. Hinzu kommen die engen Verflechtungen zwischen Buchenwald und Weimar, einschließlich der Tatsache, dass Vertreter der Stadt- und Kulturelite die nationalsozialistische Ideologie und Herrschaft beförderten und repräsentierten, bis hin zur vollkommen alltäglichen Vergabe von Aufträgen an das nahe KZ. Nicht zuletzt verweist das Objektensemble auf das systematische Vertuschen, Verdrängen und Vergessenwollen dieser Tatsachen in Weimar seit Kriegsende mit dem Ziel einer nachträglichen Entflechtung von Lager und Stadt, um die Reputation letzterer als Zentralort der Klassik und des Humanismus zu bewahren. Da sich einer solchen dichotomen Stilisierung gerade die in Buchenwald kopierten Schillermöbel verweigern, ist es wenig verwunderlich, dass auch ihre Geschichte ein halbes Jahrhundert lang im Verborgenen blieb.

Dr. Philipp Neumann-Thein | stellv. Direktor,
Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und
Mittelbau-Dora, Weimar

AsKI kultur leben 2/2022

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