Stiftung Buchkunst, Frankfurt am Main / Leipzig: Ein Gefühl von Freiheit. Der Podcast „Leipzigs Neue Seiten" präsentiert die kreativen Akteurinnen und Akteure der Leipziger Buchlandschaft in Texten, Tönen und Bildern

Spector Books, Foto: © Gert MothesFällt in Leipzig das Wort „Buchstadt", schlagen die Emotionen hohe Wellen: Während die Stadt im letzten Jahrhundert in der Folge von Krieg und Teilung seine Stellung als Buchhandelszentralplatz verloren hat, sich nach der Euphorie der von hier ausgehenden friedlichen Revolution schon bald Ernüchterung und eine fatalistische Routine des Verlusts breitmachten, ist Leipzig noch immer eine quicklebendige Buch- und Lesestadt.

Das Spektrum reicht von der nach dreijähriger Corona-Zwangspause wieder durchstartenden Buchmesse über junge Independent-Verlage und Buchhandlungen bis zu Grafikdesignern, Buchkünstlern, Illustrierenden und Media Publishern, die aus den Biotopen der „Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) oder der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK)" herauswachsen und ihre eigenen kreativen Netzwerke etablieren. Statt alte Antworten zu konservieren, stellen sie neue Fragen.

Spector Books, Foto: © Gert Mothes

Diese Neugier war es auch, die beim Podcast-Projekt „Leipzigs Neue Seiten" der Stiftung Buchkunst Pate stand. Schon länger hatte man unter dem Dach der Stiftung, die als Schnittstelle zwischen Buch-Aficionados und Gestaltungs-Experten agiert und die Wettbewerbe um die „Schönsten deutschen Deutschen Bücher", den „Förderpreis für junge Buchgestaltung" und „Best Book Design from all over the World" organisiert, darüber nachgedacht, wie der Standort Leipzig mit mehr Leben zu füllen sei. Ein erster Ansatz ging von physischen Veranstaltungen aus, einer Art Jour fixe in Leipziger Büros, Ateliers und Werkstätten, mit kompaktem Abendprogramm und viel Zeit für freie Diskussion, zum Kennenlernen und Netzwerken. Kein Höhenkamm-Programm für Eingeweihte, bei denen unter Anleitung von Experten Leinenbände gestreichelt werden – sondern ein, ja doch: niederschwelliges Angebot. Idealerweise sollte so die klassische Zielgruppe der Stiftung in Leipzig erweitert, ein neuer informeller Gesprächsraum eröffnet werden. Die Pandemie bremste diese Pläne aus. Wieso sollten wir es nicht mit dem derzeitigen Hype-Medium schlechthin versuchen, dem Podcast?

Anke Schleper, Buchhändlerin, rotorbooks, Foto: © Gert Mothes

„Leipzigs Neue Seiten" ist der Titel unserer im März 2021, zu normalerweise bester Buchmessezeit, gestarteten Podcast-Serie. Statt rückwärtsgewandter Traditionspflege will die Reihe Akteure der Buchstadt vorstellen – unter Einbeziehung möglichst vieler der am Ökosystem Buch Beteiligten. In Gesprächen und Reportagen wird gezeigt, wie sich die alte Tante Buchstadt neu erfindet: Das reicht von den unmittelbaren Akteuren der Buchproduktion bis zu Buchhandlungen, Bibliotheken, Museen oder den Hochschulen. Ergänzt wird der enhanced Podcast durch Fotografien des Leipziger Fotografen Gert Mothes auf der Seite der Stiftung Buchkunst. Am Ende steht so eine Kartographierung der Leipziger Buchlandschaft in Texten, Tönen und Bildern.

Markus Färber, Comic-Zeichner, Foto: © Gert Mothes

„Wie viele Gespenster passen in ein Buch?" fragten wir in der ersten Folge Jan Wenzel, Anne König und Markus Dreßen. Vor mehr als 20 Jahren gründeten die drei „Spector". Gespensterhaft seine Bedeutung wechselnd, taucht der Name seitdem auf: Als Büro, Titel einer Zeitschrift, immer wieder als Buchlabor für renommierte Kunstverlage. Mit dem eigenen Verlag „Spector Books", der Bücher am Schnittpunkt von Kunst, Theorie und Design herausbringt, schließen sie 2008 die Lücke in der Wertschöpfungskette. Und erhalten zehn Jahre später, im Frühjahr 2018, den erstmals ausgelobten Sächsischen Verlagspreis. Viele Auszeichnungen sollten folgen, so gleich zwei Mal (2020 und 2022) den „Preis der Stiftung Buchkunst". Rund 50 Titel erscheinen pro Jahr bei „Spector Books", viele zweisprachig oder auf Englisch. Stets lotet der Verlag die Möglichkeiten eines lebendigen Austauschs zwischen allen an einer Produktion beteiligten aus: Zwischen Künstlern, Textautoren, Buchgestaltenden, Lithografieanstalten, Druckereien oder Buchbindereien. Weshalb wir für diese Folge auch einen Abstecher zur DZA nach Altenburg, in eine der besten Druckereien der Republik, gemacht haben. In nuce zeigt die Start-Episode, worum es auch immer geht: Ums Sichtbarmachen lebendiger Netzwerke und Arbeitsbeziehungen.

Gerda Raidt, Kinderbuchautorin und Illustratorin, Foto: © Gert Mothes

Schlag auf Schlag ging es weiter: Mit der Illustratorin Anna Haifisch und Comic-Künstler Max Baitinger, die fast zehn Jahre lang zu den Organisatoren des Independent-Festivals „Millionaires Club" gehörten, und der HGB-Absolventin Lina Ehrentraut, die seit 2021 mit dem Kunst-Kollektiv Squash die „Snail Eye – Cosmic Comic Convention" im Leipziger Kolonnadenviertel stemmt, tauchten wir in die Comic-Szene der Stadt ein. Wir besuchten Christoph Liepach, der 2019 nicht in New York oder London, sondern eben dort, im Kolonnaden-Viertel von Leipzig, seinen Architektur-Verlag „sphere publishers" gegründet hat. Wir sprachen mit Ondine Pannet, Lisa Petersen und David Voss vom „Bureau Est" (Leipzig/Paris) über die Gestaltung von Kommunikation im Kunst- und Kulturbereich und die Verwandlung von fünf Einzelkämpfern in Teamplayer. Wir besuchten „Rotorbooks", den tollen Laden, den Anke Schleper 2018 mit Daniel Niggemann in der Kolonnadenstraße gründete. Spannend auch der Besuch bei Florian Lamm und Jakob Kirch. Die Digitalisierung erlaubt den beiden die parallele Tätigkeit an Schreibtischen in Leipzig und Berlin-Neukölln, was nicht ohne Folgen für den Charakter der Arbeit und die Produktion bleibt.

Was Florian Lamm und Jakob Kirch vorleben, gilt ein Stück weit auch für „Leipzigs Neue Seiten": Im Gegensatz zu einer temporären (Offline-) Ausstellung bietet die Netzpräsenz ein dauerhaft nutz- und skalierbares Angebot. Die virtuelle Präsentation „Leipzigs Neue Seiten", die sich zunächst an ein allgemeines, kultur- und buchaffines Publikum wendet, die Profis aber durchaus auch anspricht, könnte dauerhaft in bestehende Netz-Offerten der Stadt integriert werden und ist auch als Ergänzung zum Angebot weiterer Buchinstitutionen – von der Buchmesse über Bibliotheken bis zu den Museen – geeignet. Auch Andockmöglichkeiten für Tourismus, Standortmarketing und die Buchbranche selbst sind reichlich vorhanden. Bei „Leipzigs Neue Seiten" lässt sich bereits jetzt Folge für Folge nachhören und anschauen, wie sich die alte Welthauptstadt des gedruckten Wortes neu erfindet. Die Zukunft des Buches, sie passiert hier und jetzt.

Nils Kahlefendt |
Repräsentant Stiftung Buchkunst in Leipzig,
freier Autor und Journalist


Leipzigs neue Seiten – Buchgestaltung zwischen Tradition und digitaler Zukunft,

das Podcast-Format der Stiftung Buchkunst, erscheint auf gängigen Plattformen wie Spotify oder Apple Podcast. Auf der Website der Stiftung Buchkunst gibt es zu jeder Folge einen Foto-Essay des Leipziger Fotografen Gert Mothes.

www.stiftung-buchkunst.de

AsKI kultur leben 1/2023

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