Städel Museum: Hexenlust und Sündenfall - Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien

Hans Baldung genannt Grien (1484/85-1545) war einer der bedeutendsten deutschen Maler des 16. Jahrhunderts und der wohl talentierteste Zeitgenosse und Schüler Albrecht Dürers. Er stammte aus einer Gelehrtenfamilie und trat vermutlich 1503 als bereits ausgebildeter Geselle in die Werkstatt Dürers in Nürnberg ein. Aus dieser Zeit scheint jedenfalls sein Rufname Grien herzurühren, der auf eine Vorliebe für diese Farbe oder auf ein grünes Festtagskleid des Malers anspielen könnte.

Noch in der Dürerwerkstatt fertigte er 1506/ 1507 für den Magdeburger Erzbischof Ernst von Sachsen in Halle einen Dreikönigsaltar und einen Sebastiansaltar. Im Frühjahr 1509 übersiedelte Baldung nach Straßburg, erwarb dort das Bürgerrecht und heiratete Margarete Herlin, die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns. In der ersten Zeit befasste er sich - vermutlich in Ermangelung großer Gemäldeprojekte - vor allem mit dem Holzschnitt und experimentierte mit Tonplatten. Von 1512 bis etwa 1516 fertigte er in Freiburg im Breisgau den Hochaltar des dortigen Münsters, die Krönung seines frühen Schaffens.

Nach der Rückkehr Baldungs nach Straßburg und seinem erneuten Erwerb des Bürgerrechts betrieb das Ehepaar ab den 1520er Jahren gemeinsam Geld- und Immobiliengeschäfte. Neben steigendem Wohlstand brachte es Baldung Grien in Straßburg zu hohem gesellschaftlichen Ansehen und Einfluss: Seit 1533 vertrat er seine Zunft als Schöffe und kurz vor seinem Tod wurde er Ratsherr.

Seine merkantilen und gesellschaftlichen Aktivitäten traten aber keineswegs an die Stelle des künstlerischen Werkstattbetriebs. Baldung blieb ein gefragter Maler. Zwar wurden die kirchlichen Aufträge nach der Reformation zunehmend weniger, dafür arbeitete Baldung nun verstärkt für vermögende private Kunstliebhaber, was sich auf die Thematik seiner Bilder auswirkte. Er schuf Zyklen großer Aktgemälde und Serien zur antiken Geschichte und Mythologie. Auch malte er weiterhin Madonnen, offenbar für altgläubige Auftraggeber, einzelne Andachtsbilder und eine beachtliche Anzahl an Porträts. Dabei passte er seinen Stil schrittweise und je nach dem Charakter des Auftrags dem Zeitgeschmack an und bereitete damit dem Manierismus in Deutschland den Boden. Seine gelegentlichen Kopien nach Erfolg versprechenden Vorbildern, wie z. B. Jan Gossaerts oder Lucas Cranach, verraten Kalkül.

Hans Baldung Grien (1484/85-1545), Der Tod und die Frau, Öl und Tempera auf Lindenholz, Kunstmuseum Basel, © Kunstmuseum Basel

Dennoch war Baldung alles andere als ein Eklektiker. Seine Kunst profitiert von einem hohen Grad an Selbstreflexion und Reflexion der Werke anderer, vor allem von einer lebenslangen kritischen Stellungnahme zum Schaffen seines Lehrers Albrecht Dürer: In seinen besten Werken brachte Baldung immer auch Kunst über Kunst hervor und war darin seiner Zeit erstaunlich weit voraus. Nach Dürers Tod wurde Baldung dessen Locke überbracht; als den wahren und eigentlichen Nachfolger des großen Nürnbergers schätzten ihn bereits die Zeitgenossen ein.

Während seiner gesamten Schaffensphase wandte sich Baldung immer wieder seinem Lieblingssujet zu: dem Frauenkörper. Er war fasziniert, ja geradezu besessen vom nackten weiblichen Körper, dem er immer wieder neue Interpretationen abgewann, so z. B. als sündige Eva oder blutjunge, vom Tode bedrohte Schönheit. Vor allem aber dienten ihm die weiblichen Akte zur Gestaltung eines Themas, das in jener Zeit die Gemüter bewegte und an das sich vor ihm kaum ein Künstler gewagt hatte: die Darstellung von Hexen. Wiederholt hat Baldung die Hexen und ihre mysteriösen Rituale in Zeichnungen und Drucken geschildert; ein einziges Mal hat er sie auch gemalt. Sein Frankfurter Gemälde "Die zwei Hexen" steht im Mittelpunkt der Ausstellung, die noch bis zum 13. Mai 2007 im Städel Museum, Graphische Sammlung, zu sehen ist. Es bietet nicht nur einen Ausflug in die Welt der schwarzen Magie; der zeitgenössische Betrachter wurde vielmehr durch das Bild zu Reflexionen über die unterschiedlichsten Themen angeregt: über die erotische Ausstrahlung der Frau, über käufliche Liebe und ihre möglichen Folgen wie die Syphilis, über die Gesetzmäßigkeiten körperlicher Schönheit und den Versuch, ihnen im Maleratelier auf die Schliche zu kommen. Ironisch kommentiert Baldung in seinem Bild nicht nur zeitgenössische Ansichten zum Hexenwesen; er spielt auch auf die kunsttheoretischen Lehren des Meisters Dürer an.

Die Ausstellung präsentiert sämtliche Hexendarstellungen Hans Baldung Griens: delikate, mit dem Betrachter als lüsternem Voyeur kalkulierende Hell-Dunkel-Zeichnungen auf getönten Papieren ebenso wie Holzschnitte, die zu den allerersten Experimenten mit dem Farbdruck gehören. In den neun verschiedenen Stationen der Ausstellung werden insgesamt über 40 Exponate von Baldung und weiteren Künstlern das einzigartige Tafelbild in den Kontext zeitgenössischer Anschauungen und in Baldungs Gesamtwerk einordnen. Damit wird dem Besucher ein Erfahrungshorizont eröffnet, den auch ein zeitgenössischer Betrachter des Bildes um die Mitte des 16. Jahrhunderts gehabt haben könnte.

Die Verführung durch die weibliche Sexualität, auf die Baldung in vielen seiner Werke anspielte, hatte für ihn auch eine ernste, ja, tragische Komponente: Wie kein zweiter Künstler seiner Zeit identifizierte er die Ursünde mit dem Geschlechtsakt. Dies wird in Werken wie "Der Sündenfall" und "Adam und Eva" deutlich. Der Preis der irdischen Wonnen ist die Sterblichkeit. Und weil Eva die Schuld an der Ursünde trägt, sind es junge, sich entblößende Frauen, die der Tod verfolgt ("Der Tod verfolgt ein Mädchen") und sogar mit einem Kuss oder zärtlichen Liebesbiss bedrängt ("Der Tod und die Frau"). So verbindet Hans Baldung in seinen Werken Liebe, Sünde und Tod zu einem geheimnisvollen Dreiklang. Der Verlust des Paradieses ist für ihn auf verhängnisvolle Weise an die menschliche Sexualität gekoppelt. Und um die düstere Seite der Sexualität drastisch schildern zu können, bedient sich der Künstler schließlich sogar der Tierfabel: Seine berühmte Holzschnittfolge "Wilde Pferde" und sein "Behexter Stallknecht" sind Beispiele des hilf- und hoffnungslosen Ausgeliefertseins an den Geschlechtstrieb.

Die Ausstellung wird gefördert von der Hessischen Kulturstiftung und der Ernst von Siemens Kunststiftung.

 

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 1/2007

.

xxnoxx_zaehler