Schwieriges Erbe. Die Schädelsammlung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Eintrag in den Museums­unterlagen: Cranium Homo Sapiens: Dayak, Auszug Journal Säugetiersammlung SSFG, Foto: © Claudia KleinDie Stiftung Schloss Friedenstein Gotha zählt mit ihren vier Museen und ihren reichen kunstgeschichtlichen, historischen und naturkundlichen Sammlungen zu den Universalmuseen. Die riesigen Sammlungsbestände halten jedoch auch Unerwartetes bereit: In einem Schrank im Depotgebäude der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha liegen Menschen­schädel, so genannte Human Remains: menschliche Überreste, die während der Kolonialzeit nach Europa gelangten.

Kolonialismus und Krieg

Ein Teil dieser Schädel stammt aus Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien – sowohl aus Batavia (heute Jakarta) als auch aus dem südlichen Teil der Insel Borneo. Die Bestandsunterlagen zeigen, dass die Schädel zwischen 1862 und 1880 nach Gotha gelangt sind, in einer Zeit von Aufständen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Kolonialherren und der einheimischen Bevölkerung.

Mindestens vier der Schädel scheinen von hingerichteten Rebellen zu stammen und wurden offenbar von einem deutschen Kartographen nach Gotha gebracht, der als Offizier im Dienst der niederländischen Kolonialherren stand. Doch wie die Köpfe in die Hand des Offiziers gelangten, warum sie in die herzogliche Sammlung kamen und vor allem wer die Hingerichteten waren, wie sie lebten und starben – all das ist bislang unbekannt.

Spurensuche Herkunftsgeschichte

Ein internationales Team von Ethnologen, Historikern und Anthropologen arbeitet nun an der Rekonstruktion der Herkunftsgeschichte der Schädel. Dafür hat die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird. Es soll die Verbringung der Schädel nach Europa untersuchen, die Identität der Verstorbenen und die Umstände ihres Todes klären – ein schwieriges Unterfangen, denn es geht um koloniale Unterdrückung, Rachefeldzüge und Massaker. „Als 1857 die Niederländer nach dem Tod des lokalen Machthabers einen unbeliebten Thronfolger ins Amt heben wollten, eskalierte die Situation und ein jahrzehntelanger Kolonialkrieg begann", erklärt Adrian Linder, der Projektleiter. Er ist Ethnologe, assoziierter Forscher am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern und befasst sich seit vielen Jahren intensiv mit Borneo und Indonesien. Nun ist er für die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha in europäischen Archiven unterwegs und rekonstruiert die Herkunftsgeschichten auf europäischer Seite. In Indonesien erforschen Kulturanthropologen und Lokalhistoriker unter der Leitung von Marko Mahin, Direktor des Instituts für Dayakstudien-21 in Palangka Raya, die damaligen Geschehnisse, von den historischen Quellen bis hin zu den mündlichen Überlieferungen. Denn die blutigen Auseinandersetzungen der Kolonialzeit liegen zwar gut 150 Jahre zurück, sie sind aber keineswegs vergessen. „Bis heute weisen Dorfbewohner auf Einschusslöcher in den Bäumen hin. Die Kugeln der Holländer befinden sich noch immer in ihrem Besitz", schildert Mahin die Situation. Dass die Schädel der unterlegenen Kämpfer einfach verschwunden sind, wird auch heute noch als großes Unrecht empfunden.

Freiheitshelden, Rebellen oder Mörder?

Dabei war es keine Seltenheit, dass die Kolonialherren die sterblichen Reste von Aufständischen als Kriegstrophäen oder Forschungsobjekte nach Europa brachten. Auch der Kopf des legendären Kriegers Demang Lehman befindet sich nicht mehr auf Borneo. Demang Lehman wurde 1864 gefangen genommen und hingerichtet, sein Kopf in die Niederlande verbracht. Auf Borneo wird er bis heute verehrt, sogar ein Sportstadion trägt mittlerweile seinen Namen. Alle Rückgabegesuche scheiterten bislang jedoch.

„Die Schädel in Gotha erinnern uns an den schmerzlich vermissten Kopf von Demang Lehman. Wir würden es gerne sehen, dass diese Schädel zurückkehrten, da der Totenkult hier eine wichtige Rolle spielt", unterstreicht Mahin.

Doch noch ist viel Forschungsarbeit zu leisten. Noch sind die Identitäten und Lebenswege der Verstorbenen nicht geklärt, wenngleich einige Einträge in den Inventaren von Schloss Friedenstein in eine klare Richtung weisen: „hingerichtet wegen Teilnahme an der Ermordung der Europäer 1859" oder: „spielte bei der Ermordung der Europäer eine Hauptrolle".

Kolonialmacht und lokale Guerillakämpfer – im sogenannten Banjar-Krieg setzten beide Seiten auf Abschreckung und die Macht der Symbolik. Der lokalen Sitte der Kopfjagd entsprechend, hängten die Dayak-Fürsten Köpfe der europäischen Gegner in ihren Langhäusern auf. Die Kolonialherren verschenkten die Schädel ihrer Gegner an europäische Landesfürsten.

Adrian Linder resümiert die bittere Ironie der Ereignisse: „Die Geschichte dieser Schädel ist eine Geschichte, die keine einfache Unterscheidung zwischen Guten und Bösen erlaubt. Hier scheinen alle Seiten in einer Spirale von Gewalt gefangen. Die niederländische Kolonialmacht hatte sich zwei ethische Hauptziele auf die Fahnen geschrieben: die Abschaffung der Kopfjagd und der Sklaverei. Letztendlich hat sie beide Missstände gefördert, selbst praktiziert und teilweise ‚perfektioniert'."

Nutznießer dieser Zustände dürften die europäischen Sammlungen gewesen sein. Als 1864 dem Direktor der Gothaer Sammlungen Expeditionsobjekte zum Kauf angeboten wurden, lehnte er ab: „Bei den directen Verbindungen, welche wir selbst haben, sind wir im Stande, Gegenstände dieser Art für einen weit geringeren Preis zu schaffen. Eine sehr schöne Sammlung von Racenschädeln ist uns vor 8 Tagen direkt aus Java über Rotterdam zugegangen, ohne daß wir andere als die Transportkosten dabei gehabt hätten."

Die Schädel kamen zunächst ins herzogliche Kunstkabinett und wurden später in die Bestände des Naturalienkabinetts überführt.Jetzt, anderthalb Jahrhunderte nach ihrer Ankunft, sollen sie ihre Geschichte erzählen.

Claudia Klein | Wissenschaftsvermittlung,
Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

 

AsKI kultur leben 1/2021

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