Richard Wagner Museum, Bayreuth: Wehvolles Erbe. Das Haus Wahnfried und das Dritte Reich

Wahnfried-Saal, vor 1930, Foto: Richard Wagner Museum, Bayreuth

Bereits Richard Wagner hatte seinen obsessiven Antisemitismus in den Rang einer Kulturtheorie erhoben und bot mit seiner metapolitischen und parareligiösen Ästhetik des „Gesamtkunstwerks" vielfältige ideologische Anschlussmöglichkeiten vor allem für die völkische Bewegung.

Der sogenannte „Bayreuther Kreis" trieb dabei die Ideologisierung des Wagnerianismus maßgeblich voran. Durch die enge persönliche Freundschaft der Schwiegertochter Winifred Wagner mit dem Wagnerianer Adolf Hitler wurde das Haus Wahnfried nicht nur zum mythischen Ort der letzten bedeutungsvollen Lebensdekade Richard Wagners, sondern auch zum geistigen Zentrum und Inbegriff der nationalsozialistischen Kulturpropaganda und Schauplatz von Hitlers Wagner-Verehrung. Wagner-Geist und Hitler-Geist wurden demnach als nahezu identisch wahrgenommen.

Am 5. April 1945 wurde das Haus Wahnfried im Zuge eines Bombenangriffs auf Bayreuth zur Hälfte zerstört. Der historisch authentische Wohnort Richard Wagners existierte nicht mehr, sondern der geistige Sprengstoff, der nicht nur, aber auch hier entstand, war auf höchst symbolträchtige Weise auf einen seiner Ursprungsorte zurückgefallen.

1973 begann dann der originalgetreue Wiederaufbau des Hauses, sodass es heute zumindest äußerlich wieder in seiner ursprünglichen Gestalt erscheint. Die symbolträchtige Kriegszerstörung ist indessen von außen nicht mehr sichtbar, sodass der Eindruck entsteht, es habe diese nie gegeben. Dies entspricht durchaus dem Zeitgeist auch noch der 1970er-Jahre und der Tendenz zum Beschweigen und Verdrängen der deutschen Vergangenheit im „Dritten Reich", die sich ja gerade in diesen Ort besonders nachdrücklich und mit allen Konsequenzen – im wahrsten Sinne des Wortes – „eingeschrieben" hatte.

Seit 1976 dient das Haus als „Richard Wagner Museum". Original erhalten war nur die zentrale „Halle", Empfangs- und Repräsentationsraum des Hauses, allerdings ohne die nicht mehr vorhandene Möblierung. Im wiederaufgebauten „Saal" an der Südseite waren lediglich die aufwändige Kassettendecke und die Wände mit Seidentapete, Bildergalerie und Bibliotheksschränken originalgetreu rekonstruiert worden. Genutzt wurde der Raum mit einer Konzertbestuhlung als „Klingendes Museum" historischer Wagner-Aufnahmen. Die Seitenräume mit dem ehemaligen Speisezimmer und dem „Lila Salon" Cosima Wagners blieben neutrale „White Cubes" für kleine Wechselaus­stellungen.

Die Dauerausstellung in den Räumen des Obergeschosses mit den Privaträumen der Familie, von denen keinerlei Dokumente über deren ursprüngliche Gestaltung und Einrichtung existieren, bestand in einer materialreichen, positivistischen Dokumentation von Leben und Werk Richard Wagners und der Geschichte der Bayreuther Festspiele. Die ideologische Rezeptions- und Wirkungsgeschichte blieb ausgespart.

Nicht zuletzt aus diesem Grund erfolgte von 2010 bis 2015 u. a. die vollständige museale Neugestaltung. Der Zusammenhang von auratischem Künst­lerort und politischer Belastung stellt das Richard Wagner Museum dabei bei der Vermittlung nicht nur von Leben und Werk, sondern insbesondere auch der ideologischen Wirkungen Richard Wagners vor besondere Hausforderungen. Daher wurden Ausstellungsräume und Präsentationsarchitektur der Dauerausstellung betont sachlich, ja nüchtern gestaltet.

Die Dokumentation der Ideologiegeschichte erfolgt dabei in den Erdgeschossräumen des sogenannten „Siegfried-Wagner-Hauses", ein Anbau an der Ostseite des Hauses Wahnfried, der erst nach Richard Wagners Tod in den 1890er-Jahren entstanden war und von Winifred Wagner bis zu ihrem Tod 1980 bewohnt wurde. Nach dem Tod ihres Mannes, Richard Wagners Sohn Siegfried, nutzte sie es als Gästehaus, das als solches u. a. zwischen 1936 bis 1940 von Adolf Hitler bewohnt wurde. Diese historische Kontamination prädestiniert diesen Ort für die jetzige museale Nutzung. In den historisch überlieferten, ebenfalls leeren Räumen fungieren Blockmonitore auf dem Boden mit Kurzfilmen zu verschiedenen Aspekten der Ideologiegeschichte Wagners und seines Werks als Kommentarebene.

Wahnfried-Saal nach der Neugestaltung des Museums, 2015, Foto: Richard Wagner Museum, Bayreuth

Die Wohnumgebung Richard Wagners im Haus Wahnfried wurde ebenfalls nicht im Sinne eines „musée sentimentale" rekonstruiert und damit ein historistisches Disneyland geschaffen.

Vielmehr erfolgt die Darstellung und Vermittlung von Wagners Lebenswelt durch die Kombination der wenigen noch historisch authentischen Einrichtungsgegenstände mit Dummies, welche mit weißen Hussen überzogen sind und so gleichsam als dreidimensionale Schattenrisse des Verlustes fungieren. So wird keine falsche historische Authentizität simuliert, sondern lediglich eine Anmutung der ursprünglichen Wohnsituation geschaffen. Auf diese Weise erfolgt ein redlicher Umgang mit dem historisch höchst ambivalenten Schauplatz.

Dr. Sven Friedrich | Museums- und Archivdirektor
Richard Wagner Museum, Bayreuth

 

AsKI kultur leben 2/2022

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