Museum für Sepulkralkultur, Kassel: Suizid – Let‘s talk about it!

In der Ausstellung ‘Suizid – Let’s talk about it!‘, © Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Foto: Anja Köhne

Wie konzipiert man eine Ausstellung zu einem Thema, zu dem traditionell lieber geschwiegen wird und bei dem Bilder und Hinterlassenschaften entweder etwa durch die Medien schmerzhaft sensationalisiert oder angstvoll verborgen werden? Was bleibt da noch zu zeigen, und welche Themen und Gruppen sollen angesprochen werden?

Konzept

Dass der Suizid eine Triggergefahr enthält, dass die Berichterstattung darüber bei unsachgemäßer Handhabe auch Suizide forcieren kann, ist der schmale Grat, auf dem sich auch die Ausstellung bewegte. Das Wissen darum und gleichzeitig um die suizidpräventive Wirkung des Informierens und Sprechens darüber hat eine lange und intensive Vorbereitung erforderlich gemacht.

Mit unserer vielfältigen Unterstützung und vor allem einem Zugehen auf diverse Vertreter und Vertreterinnen der Gesellschaft, sei es aus Forschung, Hilfe- oder Selbsthilfegruppen oder gefährdeten, weil diskriminierten Gruppen wurde es erst möglich, langsam zu erahnen, was präsentabel, was hilfreich und was verletzend ist. In diesem Prozess zeigte sich, dass es in der Ausstellung keine reine Kulturgeschichte des Suizids braucht, sondern einen Blick auf das, was aktuell in unserer Gesellschaft geschieht.

In der Ausstellung ‘Suizid – Let’s talk about it!‘, © Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Foto: Maja Wirkus

Neben Statistiken, Fakten, aber auch Vorurteilen rund um den Suizid konfrontierten wir die Besucher und Besucherinnen zunächst mit dem Status quo. Die Präsenz des Suizids in der Gesellschaft wird durch eine verringerte Repräsentation in den Medien und eine nicht immer, aber leider nicht selten verzerrte Darstellung in Film und Literatur verdeckt. Eine Ausstellung kann sich jedoch nicht nur auf Text und Statistik stützen, zumal eine Ausstellung zu einem Thema, welchem eine emotionale Annäherung unausweichlich ist und der es entsprechend Raum zu geben gilt. Hier kam die zeitgenössische Kunst ins Spiel.

Die künstlerischen Beiträge sollten jenen Raum einer ästhetischen Erfahrung öffnen, auf den sich die Besucher und Besucherinnen mit ihren Sinnen einlassen können. Als Leitfaden dienten lediglich Schlagworte, die wir unserem Diskurs abgerungen hatten. Schlagworte, die so universell wie bedeutsam im Kontext des Suizids werden und für Angehörige, suizidale Menschen und die Gesellschaft als Austragungsort und Akteurin von unterschiedlicher Färbung werden können: Schwindel und Starre, Trauer, Verlust, Schweigen, Ambivalenz oder Sprechen sind die Kapitel, die letztlich durch die Ausstellung geleitet haben. Die Auswahl der Kunstwerke stellte uns vor eine weitere Herausforderung. Vieles wiederholt den Suizid als romantisches, verklärtes Moment oder aber kommt zu laut, explizit oder zu gewaltvoll daher.

Die Arbeiten, die letztlich gezeigt wurden, bedürfen wohl fast alle einer näheren Betrachtung, bis überhaupt die Verbindung zum Suizid erfahrbar wird. Sie erhalten erst im Kontext des Suizids ihre Dringlichkeit und Aussagekraft. So haben wir die Werke nach jenen physischen und psychischen Phänomenen zusammengetragen, die erfahrbar werden können, wenn wir mit dem Thema konfrontiert werden, und nicht nach der Frage, ob Künstler und Künstlerinnen das Sujet explizit bearbeiten.

Austausch!

Dass Museen über die Präsentation von Objekten hinausgehen möchten, wird an vielen Orten sichtbar. Wie weit darüber hinaus wir gehen können oder müssen, hängt stets vom Thema und von seiner Präsenz in der Gesellschaft ab. Uns wurde schnell klar: Anstatt eines klassischen Ausstellungskataloges braucht es ein eigenständiges Lese- und Nachschlagebuch. Ein breites Feld an Menschen ist darin zu Wort gekommen, und es wurden vielfältige Arbeits- und Denkräume sowie Sichtweisen zusammengebracht.

Neben einer Publikation muss es gerade im Angesicht von Tabu und Stigma auch das Gespräch geben, auch um dem Untertitel der Ausstellung seine Rechtfertigung zu verleihen. Es entstand eine Veranstaltungsreihe über sieben Monate: jede Woche, gleiche Zeit, gleicher Ort. Doch es brauchte noch mehr an Möglichkeiten der Kommunikation. Mitten in den Ausstellungsräumen, zu wöchentlichen, festgelegten Uhrzeiten, kostenfrei, anonym, niederschwellig wurde eine Beratungsstelle eingerichtet. Das Ausstellungsprojekt fand in Form zahlreicher Kooperationen mannigfaltige Unterstützung, denn viele, die sich mit dem Suizid ehrenamtlich, hauptberuflich oder auch privat beschäftigen, waren schnell bereit, ihre Expertise und Zeit mit uns zu teilen. Die Beratungseinheit selbst wurde schließlich von der Universität Kassel, Institut für Sozialwesen, in Zusammenarbeit mit der TelefonSeelsorge Nordhessen e. V. entwickelt, durchgeführt, betreut und zuletzt evaluiert.

Die Studierenden profitierten von der Erfahrung praktischer Arbeit während des sonst seminarraum- bzw. online-meeting-lastigen Studiums. Und wir konnten denen, die durch das Thema emotional angefasst wurden, einen Ort anbieten, wo es ‚weiter ging', hin zu einer konkreten Hilfe in Form einer Erstberatung.

Zum Abschluss des Ausstellungsprojektes war die Frage unerlässlich, was hätte besser laufen, was noch wirksamer gestaltet werden können. Vielleicht kommen am Ende immer die zu kurz, die ganz selbstverständlich den Betrieb mittragen: Unser Aufsichtenteam, vor allem Studierende, hat stets direkten Kontakt mit den Besuchern und Besucherinnen und so einen großen Teil der Verantwortung zu tragen, das Museum als einen guten Ort zu gestalten. Unterstützend gab es inhaltliche Einführungen und Supervision, doch diese setzen aus heutiger Sicht zu spät an. Eine engere Zusammenarbeit mit dem Team wäre bereits im Vorfeld der Ausstellung sinnvoll gewesen.

Netzwerk

Es war von Beginn an klar, dass die Expertise der Museumsmitarbeiter und Museumsmitarbeiterinnen bei weitem nicht ausreichte, um das Thema Suizid umfassend zu behandeln. Die AGUS (Angehörige um Suizid)-Ortsgruppe Kassel sowie weitere Präventions-, Hilfs- und Beratungsstellen haben dem breiten Netzwerk der Mitwirkenden die wichtige Komponente der eigenen Erfahrung hinzugefügt.

Bereits in der allerersten Projektphase war zudem der Suizidologe und Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), Prof. Dr. Reinhard Lindner als wissenschaftlicher Leiter Teil des Projektteams. Darüber hinaus wurde ein wissenschaftlicher Beirat aus Vertretern und Vertreterinnen der Psychologie, Humanmedizin, Kultur-, Rechts- und Medienwissenschaft einberufen. Ebenso wurden weitere Kulturinstitutionen und die Universität Kassel als wichtige Kooperationspartner gewonnen.

Schwierige Themen wie der Suizid berühren sehr viele Lebensbereiche, betreffen Menschen weltweit in allen sozialen Milieus und gesellschaftlichen Dimensionen. Eine wirksame Auseinandersetzung, die nicht bloß historisieren, erzählen und erklären möchte, sondern auch den wissenschaftlichen Diskurs mitgestalten und eine Fokussierung auf ein gesellschaftlich relevantes Thema und Problem lenken will, muss sich besonders um Eines bemühen: Umsichtig Klartext sprechen und die Fachdisziplinen, das Private, die Kunst gleichermaßen und gleichwertig in einen Austausch bringen.

Mehr:
www.sepulkralmuseum.de/suizid

Tatjana Ahle-Rosental, M.F.A. | B.A. |
Kuratorin der Ausstellung „Suizid – Let's talk about it!"

Dr. Dirk Pörschmann | Direktor Museum und
Zentralinstitut für Sepulkralkultur sowie
Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft
Friedhof und Denkmal e. V., Kassel, Kurator der Ausstellung
„Suizid – Let's talk about it!"

 

AsKI kultur leben 2/2022

.

xxnoxx_zaehler