Museum für Sepulkralkultur, Kassel: MEMENTO – Im Kraftfeld der Erinnerungen

Kranzkasten, 1900, stilisierter Blütenkranz aus Haaren mit hinein gelegten geflochtenen Zöpfen Wem dieses Gedenkbild gewidmet wurde, ist unbekannt. Es wird vermutet, dass es sich um ein verstorbenes Kind der (Groß-)mutter der Stifterin handelt, Foto: Museum für Sepulkralkultur, Kassel

Eine Ausstellung zu individuellen Formen des Erinnerns und Gedenkens

Nachdem die Ausstellung „LAMENTO – Trauer und Tränen" im Museum für Sepulkralkultur dem Phänomen des Weinens und den unmittelbaren Affekten und Emotionen, die der Tod eines nahen Menschen auslöst, gewidmet war, widmet sich die inhaltlich anschließende Ausstellung „MEMENTO – Im Kraftfeld der Erinnerungen" mit einer Auswahl von internationalen zeitgenössischen Kunstwerken und kulturhistorischen Zeugnissen den unterschiedlichsten Formen des individuellen Erinnerns und Gedenkens an Verstorbene. Der Titel verweist zugleich auf die anziehende und abstoßende Wirkung von Erinnerungen an Menschen und Erlebnisse, die im Strom der Zeit verloren gingen.

Die Anziehungskraft von Gedanken an das Vergangene und von Erinnerungsbildern, die aufgrund ihres schmerzhaft psychischen und emotionalen Potenzials häufig auch mit inneren Abwehrmechanismen einhergehen können, lässt Menschen ihre präsente Gegenwart – das Hier und Jetzt – verlassen. Dies kann eine Flucht vor aktuellen Lebenssituationen sein, doch bietet es im Rahmen von Trauerarbeit zugleich einen Schlüssel, um

Lucy Powell, 2008, Schnurrhaare, Samt, Faden Die Künstlerin Lucy Powell fertigte aus den ausgefallenen Schnurrhaaren ihres verstorbenen Katers Eugene ein Gedenkemblem an, © Lucy Powell, Foto: Henrik Strömberg

nach einem schweren Verlust in ein bewusstes und präsentes Leben zurückkehren zu können.

Die Art und Weise, wie Menschen den Verlust von vertrauten und geliebten Personen verarbeiten und darin ihre emotionale Betroffenheit zum Ausdruck bringen, wird neben kulturellen Traditionen, ideologischen und gesellschaftlichen Werten oder kollektivem Geschichtsbewusstsein maßgeblich von individuellen Wesenszügen und von den jeweiligen Lebenssituationen geprägt. Erinnerungen unterliegen – je nach Situation und Lebensphase – einem stetigen Wandel, der ihre
Bedeutungen und auch ihren Sinn umfasst. Viele Menschen suchen daher eine persönliche Sprache und Form der Vergegenwärtigung des Vergangenen, indem sie Erinnerungen in sinnliche erlebbare Handlungen transformieren oder persönliche Hinterlassenschaften als plastische Erinnerungsträger sorgsam aufbewahren. Feierlich, trau-
rig, lamentierend und klagend, laut und extrovertiert, tänzerisch, im Stillen oder in Form von rituellen Handlungen erinnern und gedenken Angehörige und Freunde ihren Verstorbenen und reaktivieren über das Erinnern die Vergangenheit in der Gegenwart. Aktives Erinnern und Gedenken vergegenwärtigt wiederholt und dauerhaft, wer und was in einer familiären, sozialen, religiösen oder nationalen/ethnischen Gemeinschaft nicht in Vergessenheit geraten soll.

Der Tod eines vertrauten Menschen und die damit untrennbar verbundenen memorialen Praktiken waren und sind fortwährend Anlass kultureller Produktion in Form von individuellen Ritualen, wie etwa dem Besuch persönlicher Gedenkorte, dem Verwahren von Hinterlassenschaften oder dem jährlichen Erinnern an Todestagen. Individuelle memoriale Handlungen begleiten, animieren und ermöglichen den persönlichen Prozess des Erinnerns und integrieren diesen in unser Leben, das nach einer Verlusterfahrung wieder in ruhige Bahnen gelenkt werden möchte.

Gedenkbild, 1887 Überschrift: ‘Anna Kerstin/gebohren 1787 d. 2.Januaris / ist aber nach der Geburth gestorben‘, Foto: Museum für Sepulkralkultur, Kassel

Literatur, Musik und die Bildenden Künste können durch Bild- und Schriftwerke oder durch Kompositionen Erinnerungen in ästhetische Formate transformieren. Diese können einerseits selbst Erinnerungsarbeit sein und diese im Werk nachvollziehbar machen und andererseits das motivierende Potenzial in sich tragen, selbst persönliche memoriale Formen zu entwickeln.

Andrew Kötting, In the Wake of a Deadad, 2006, Filmstill Der britische Künstler Andrew Kötting begab sich mit zwei 4 Meter hohen aufblasbaren Figuren, die seinen verstorbenen Vater und Großvater abbilden, auf Weltreise, bei der er Orte bereiste, die für seine Familie von Bedeutung waren, Foto: Andrew Kötting

Die Dialoge zwischen internationalen künstlerischen Werken in den Medien Fotografie, Video/Film, Skulptur, Installation, Grafik und Performance und kulturhistorischen Objekten aus der Sammlung des Museums, entfalten einen kulturhistorischen Referenzraum für die zeitgenössische Kunst, die poetische Trägerin von subjektiven Erinnerungen ist. Neben historischen Zeugnissen/Objekten und künstlerischen Werken werden wir ausgewählte virtuelle Erinnerungsformate wie Trauerforen im Internet, Erinnerungsvideos auf YouTube und interaktive Webseiten, die individuelle Erinnerungsprozesse initiieren und begleiten, vorstellen.

 Dr. Dirk Pörschmann | Geschäftsführer Arbeits­gemeinschaft Friedhof und Denkmal e. V.
und Direktor Museum und Zentralinstitut für Sepulkralkultur


Museum für Sepul­kralkultur, Kassel
MEMENTO – Im Kraftfeld der Erinnerungen
17. Oktober 2020 – 28. Februar 2021
www.sepulkral-museum.de

AsKI kultur leben 1/2020

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