Museum Casa di Goethe: Berichten, Zeichnen, Forschen. Gefunden: Friedrich Noack (1858–1930)

Friedrich Noack, Altes Portal in der Villa Borghese, 1892, Aquarell; Museum Casa di Goethe (Privatbesitz, aus dem Nachlass von Friedrich Noack)

Auf der Fährte eines Mannes, der selbst ein unermüdlicher Spurensucher war: Das nächste Ausstellungsprojekt der Casa di Goethe (Herbst 2021) beleuchtet die bisher unerforschte Persönlichkeit des von 1891 bis 1915 in Rom lebenden Italienkorrespondenten, Kulturhistorikers und Hobbykünstlers Friedrich Noack.

Sein Lebenswerk war die systematische Erforschung der Geschichte der Deutschen in Rom: Jeder Kunst- und Kulturhistoriker mit römischen und italienischen Schwerpunkten kennt das 1927 erschienene zweibändige Standardwerk „Das Deutschtum in Rom seit dem Ausgang des Mittelalters". Seit fast hundert Jahren wird diese bibliographische Rarität als zuverlässige Quelle für Angaben zum deutsch-römischen Künstlerleben genutzt. Neben weiteren Monographien wie „Deutsches Leben in Rom 1700 bis 1900" von 1907 verfasste Noack, der in Deutschland als Gymnasiallehrer gearbeitet hatte, auch für zahlreiche Kunstzeitschriften, Jahrbücher und das Künstlerlexikon Thieme-Becker unzählige Beiträge. Eine außergewöhnliche Hinterlassenschaft befindet sich im Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte/Bibliotheca Hertziana in Rom: das sogenannte „Schedarium Noack". Die systematisch angelegte Zettelkartei zu ausländischen Künstlern und Besuchern in Rom in der heute nicht mehr geläufigen „Gabelsberger Kurzschrift" wurde 2006 digitalisiert und nach Künstlernamen erschlossen (18 829 Scans mit über 11 000 Einträgen!). Nicht zu Unrecht bezeichnete der Kunsthändler Ludwig Pollak in seinen „Römischen Memoiren" Noack als den „fleißigsten aller deutschrömischen Journalisten".

Friedrich Noack, Foto vom Journalistenausweis, um 1895; Museum Casa di Goethe (Privatbesitz, aus dem Nachlass von Friedrich Noack)

Auch für das Goethe-Gedenken in der römischen Via del Corso 18, wo sich heute die Casa di Goethe befindet, spielte der promovierte Germanist und Historiker Noack eine wichtige Rolle. Mit mehreren Aufsätzen unter dem Obertitel "Aus Goethes römischem Kreise" war der Korrespondent der „Kölnischen Zeitung" im Goethe-Jahrbuch 1903–1909 vertreten. Darin veröffentlichte er u. a. zum ersten Mal die Quellen, die den Aufenthalt des Dichters im ersten Stock des Hauses eindeutig belegen. Außerdem publizierte er in seinem 1912 erschienenen „Das deutsche Rom" von ihm in Auftrag gegebene Fotografien des Gebäudes und postulierte: „Das Haus am Corso, Ecke der Via Fontanella, ist als dauernde Wohnung des Dichters die wichtigste Goethestätte in Rom." Die Originalfotos schickte er 1901 an die „Hoch­löbliche Direction des Goethe-Schiller Archivs" in Weimar, wo sie noch heute verwahrt werden. Eine weitere Verbindung zwischen dem römischen Goethemuseum und Noack sind das Archiv und die Bibliothek des Deutschen Künstlervereins, die Noack damals intensiv für seine Forschungen nutzte, und die seit seit 2012 in der Casa di Goethe verwahrt werden. Dort finden sich zahlreiche Hinweise auf eine aktive Vereinstätigkeit um 1900 (Einladungen zu seinen Vorträgen, Visitenkarten, Buchschenkungen).Friedrich Noack hat als solider Quellenforscher in Fachkreisen einen Namen, dessen guter Ruf bis heute andauert, aber über sein (Privat-)Leben gab es bis heute nur sehr wenige Informationen; Fotografien oder Porträts waren nicht bekannt. Im Register des zweiten Bandes des Deutschtums hat sich der Verfasser zwar auch selbst mit den Daten und Wohnstätten seines Romaufenthalts kurz aufgeführt, eine "Scheda" zur eigenen Person hat er jedoch nicht verfasst. Auch der Verbleib des Privatnachlasses und seiner Aquarelle, von denen einige kleinformatig u. a. in seinem Buch „Die Römische Campagna" (1910) abgebildet wurden, war unbekannt.

Da mir „F.N." im Laufe meiner jahrzehntelangen Tätigkeit für die Casa di Goethe immer wieder begegnet war, habe ich mich auf Spurensuche begeben und konnte z.B. einen kleineren, ebenfalls zum Großteil in Gabelsberger Kurzschrift verfassten Teilnachlass im Stadtarchiv von Freiburg im Breisgau, wo Noack 1930 verstorben ist, ermitteln, sowie vereinzelte Handschriften in deutschen Archiven, mit denen sich aber nur Bruchstücke einer reichen Lebenstätigkeit nachweisen ließen. Bis es mir dann 2013 gelang, durch glückliche Umstände direkte Nachkommen (Enkel seiner Tochter Gisela Stadelhofer) in Deutschland ausfindig zu machen und persönlich kennen zu lernen.

Friedrich Noack, Ischia, 1896, Aquarell; Museum Casa di Goethe (Privatbesitz, aus dem Nachlass von Friedrich Noack)

Die Überraschung bei der ersten Sichtung des erhaltenen Nachlasses war groß: Hunderte von schönen Aquarellen und Skizzenbüchern, Manuskripte, stenographische, handschriftliche und maschinengeschriebene Auf­zeichnungen, Briefe, Zeitungsausschnitte, zeitgenössische Fotografien, persönliche Dokumente, Malutensilien, Schulzeugnisse, italienische Journalistenausweise – alles von der Familie sorgsam gehütet und durch beide Weltkriege gerettet. Besonders beeindruckten mich die über 1000 Seiten maschinengeschriebenen „Lebenserinnerungen" in 17 schwarzen Kladden – eigentlich ein druckreifes Manuskript, jedoch von Noack „zunächst nur für die Familie Noack bestimmt". Von der hessischen Kindheit bis zu den letzten römischen Jahren: die stilistisch virtuosen Memoiren zeugen von einem unglaublichen Langzeitgedächtnis für Details, von Lebensfreude und lebenslangem Studium.

Wie sich außerdem herausstellte, hatte der talentierte Hobbyzeichner in allen Lebensphasen skizziert, aber in Rom und auf den zahlreichen Reisen durch Italien – auch durch damals wenig erschlossene Regionen wie Sardinien – intensivierte sich diese Leidenschaft für die Darstellung von Land und Leuten, wofür nicht alle Mitreisenden Verständnis zeigten: „Andere konnten diese „verrückte" Liebhaberei nicht begreifen und hielten es für eine törichte Anstrengung, wenn ich mit Staffelei, Malschirm, Feldstuhl, Mappe und Farbkasten beladen auszog. Je kürzer der Aufenthalt an einem schönen Ort war, desto eifriger war ich dahinter her, um keine Stunde zu verlieren und eine sichtbare Erinnerung in meinen Skizzenbüchern mitzunehmen".

Die Ausstellung in der Casa di Goethe stellt das Leben und die vielseitigen Talente eines Mannes, der sein Gastland Italien und die damals noch junge Hauptstadt wie kaum ein anderer verstanden und geliebt hat, mit den großzügigen Leihgaben von Noacks Nachfahren vor. Gezeigt werden neben einer Auswahl von italienischen Aquarellen, Skizzenbüchern und persönliche Objekten zahlreiche Dokumente und Fotografien zu seinen Tätigkeiten als Journalist, Forscher und führender Persönlichkeit im Deutschen Künstlerverein. Ein Blickfang ist das Originalstehpult, an dem er in Rom seine Studien betrieb, und eine kurze Filmsequenz, in dem der zeichnende Pensionär um 1929 im Schwarzwald zu sehen ist. Auszüge aus den nicht publizierten „Lebenserinnerungen" beleuchten u. a. Vereinsintrigen und Missstimmungen in der damaligen deutschen Gemeinschaft und Diplomatenwelt in Rom, die der Autor in seinem offiziellen Werk verschwiegen hat – kulturhistorisch hoch interessante Texte, die einer Veröffentlichung harren.

Beim Auspacken des Nachlasses, 2020, v.l.n.r. Maria Gazzetti, Dorothee Hock, Claudia Nordhoff, Foto: Museum Casa di Goethe

Die Ausstellung ist nach „Quellen der Inspiration. Deutsche Künstlerbibliotheken in Rom 1795-1915" die zweite Initiative der Casa di Goethe, die sich der Geschichte des Deutschen Künstlervereins und seiner Mitglieder widmet.

Dorothee Hock | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Museum Casa di Goethe


Museum Casa di Goethe, Rom

Berichten, Forschen, Zeichnen –
Italienkorrespondent Friedrich Noack (1858–1930)

10. Oktober 2020 bis 24. Januar 2021

www.casadigoethe.it

Zur Ausstellung erscheint eine Begleitpublikation mit Beiträgen von Dorothee Hock, Andreas
Kloner, Claudia Nordhoff und der Familie Grell-Stadelhofer und einem Vorwort von Maria Gazzetti

 

 

AsKI kultur leben 1/2021

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