Museum Brot und Kunst – Forum Welternährung, Ulm : Neu und Offen

Aufbau der neuen Dauerausstellung im Ulmer Salzstadel, Museum Brot und Kunst, © Bernhard Friese, Pforzheim

Neu und offen – so präsentiert sich das am 4. Juli 2019 nach einer rund neunmonatigen Umbauphase wiedereröffnete Ulmer Haus, mit neuem Namen und einer völlig neu gestalteten Dauerausstellung.

Die Umbenennung in „Museum Brot und Kunst" mit dem Zusatz „Forum Welternährung" kommt einer Positionsbestimmung gleich, die sich dem Charakter der Sammlung verpflichtet fühlt, sich jedoch zugleich dem aktuellen gesellschaftlichen Diskurs um die Produktion und den Konsum von Nahrung stellt.

Eine wichtige Voraussetzung für die umfassende Neukonzeption des thematisch einzigartigen Museums war ein zeitgemäßer Umgang mit der historischen Architektur des denkmalgeschützten Ulmer Salzstadels von 1595. Die besondere Atmosphäre des Speichergebäudes und seine Lage in der Altstadt sollten erfahrbar gemacht werden und zusammen mit der Ausstellungsgestaltung ein stimmiges Ganzes bilden. Leitgedanke war deshalb, das Haus zu öffnen. Konkret bedeutete das, dass viele bisher durch Wände verborgene Fenster wieder freigestellt wurden. Durch sie kann nun Tageslicht ins Innere der Räume gelangen, gleichzeitig bieten sie immer wieder wechselnde Ausblicke. Ebenso präsentiert sich das Foyer des Museums nun ohne Barrieren: Kassentheke und Museumsshop sind nach hinten gerückt. Der dadurch entstandene Freiraum in der charaktervollen Säulenhalle lädt Besucherinnen und Besucher zum Verweilen ein; auch dient er als Präsentationsfläche für Sonderausstellungen.

Die Ausstellung selbst hat nun zwei inhaltliche und gestalterische Dimensionen. Mit der Hängung an den Wänden in der Mitte des Raums hat die Kunstsammlung einen zentralen Stellenwert im Museum bekommen, ergänzt um Neuerwerbungen und bisher kaum gezeigte Schätze aus dem Depot. Die Bandbreite der Kunstwerke reicht vom 15. bis ins 21. Jahrhundert, von Brueghel über Chagall, Pechstein und Picasso bis zu Lüpertz und Jankowski. Und dennoch bilden sich thematische Schwerpunkte heraus. Durch die Epochen hinweg kreisen viele Werke um das Verhältnis von Mensch und Natur, um religiöse und ethische Fragen von Nahrung und Verteilung, um den Menschen als Teil einer Gesellschaft. Die Kunst vertritt jedoch nicht nur ihre eigenen Positionen, sondern steht auch im Dialog mit den verschiedenen Themeninstallationen, die in einer zweiten Ebene der Ausstellung kulturelle und globale Perspektiven von Brot und Nahrung aufzeigen.

Wie Inseln sind rund um die Kunstsammlung 19 Thementische angeordnet. Ihre Gestaltung ist nicht einheitlich, sondern passt sich dem jeweiligen Thema an. Am Anfang der Präsentation steht die Frage „Ist Brot nicht ein Wunder?" Auf einem Tisch befinden sich die schlichten Zutaten – Mehl, Wasser, etwas Salz und Hefe – aus denen der Mensch ein erstes Kunstprodukt, nämlich Brot herstellte. Kein Wunder, dass diese geniale Erfindung zum Sinnbild wunderbarer Verwandlungen wurde. An anderer Stelle finden sich fünf exemplarische Speichermodelle: Der erste überhaupt bekannte Speicher, zu einer Zeit gebaut, bevor Menschen sesshaft waren, aus Dhra im heutigen Jordanien, eine alt-ägyptische Speicheranlage, unser Salzstadel als reichsstädtischen Speicher, der nordamerikanische „Great Northern" (1897) an Eisenbahn und Schiffsverkehr angebunden und das Hochhaus der modernen Schapfenmühle (2005) bei Ulm, das ebenso hoch wie der Northern lang ist. Diese Gebäude erzählen Geschichten vom Aufbewahren, von Logistik, Verwaltung, Reichtum und Macht.

Selbstverständlich gehen wir heute davon aus, dass Brot nicht nur nahrhaft und geschmackvoll sein muss, sondern auch schön aussehen soll. Von dieser Formfrage erzählt das Thema „Brot und Stühle" und stellt ungewöhnliche Verknüpfungen her. Beispielsweise zwischen dem Stuhl Nr. 14 von Thonet und der Kaisersemmel, die beide auf der Pariser Weltausstellung 1867 prämiert wurden. Globale Perspektiven werden durch den Ausbruch eines Vulkans in Indonesien im Jahre 1815 deutlich, der in Württemberg ein „Jahr ohne Sommer" und als Folge eine schreckliche Hungersnot auslöste. Auch wenn das Ereignis in eine Zeit fiel, in der Erfinder, Wissenschaftler und Ökonomen die Grundlagen für unser modernes Weltbild und unsere heutige Lebensweise schufen, ahnte niemand den Grund, der erst 100 Jahre später klar wurde.

Aufbau der neuen Dauerausstellung im Ulmer Salzstadel, Museum Brot und Kunst, © Bernhard Friese, Pforzheim

In der Ausstellung werden solche Zusammenhänge und Entwicklungen dargestellt und ein Bogen bis in unsere Gegenwart gespannt. Verschiedene Hands-on-Stationen machen begreiflich, wie unsere Art zu leben die Ressourcen der Erde beansprucht. An drei „Spieltischen" können Besucherinnen und Besucher erfahren , wieviel Wasser in welchem Produkt steckt oder wieviel Kohle in ihrer Lebenszeit verbrannt wurde, und ausprobieren, was sie auf dem ihnen statistisch zustehenden Stück Land von 2.000 m² anbauen könnten. Dass trotz Technik, Wissenschaft und Handel immer noch über 800 Millionen Menschen auf der Welt hungern, ist zentrales Thema. Wir stellen uns die Fragen, was Hunger eigentlich ist, wie es sich anfühlt, mit Hunger zu leben und wie wir es ertragen, zu wissen, dass so viele Menschen hungern und manche sogar verhungern? Die Künstlerin Silke Schwarz hat aus diesen Fragen eine berührende Audiocollage entwickelt, die sich die Besucher in der konzentrierten Situation einer „Blackbox" anhören können.

Ergänzt und erweitert wird die neue Dauerausstellung durch die künstlerisch-dokumentarische Videodebatte von Clemens Stachel und Wolfgang Konrad zu Themen der Welternährung. Die Installation basiert auf der Vorstellung eines Gesprächs oder Forums. Auf acht kreisförmig angeordneten Bildschirmen kommen in kurzen Filmsequenzen unterschiedliche Haltungen, Meinungen und Erfahrungen zu Wort. Deutlich wird, dass Welternährung ein vielschichtiges Thema ist. Die interaktive Installation soll den Besuchern eine Fülle von Informationen bieten, die zum Nachdenken und Weiterdiskutieren anregen, jedoch keine fertigen Lösungen vorgeben.

Die neue Ausstellung erzählt also ganz unterschiedliche, überraschende und anregende Geschichten von Brot und Nahrung, die – und das ist ein zentraler Leitgedanke der gesamten Konzeption – unsere gemeinsame Kultur und Gesellschaft ein Stück weit verständlicher machen.

Dr. Marianne Honold
Programm und Pressearbeit
Museum Brot und Kunst


Museum Brot und Kunst
Forum Welternährung
Salzstadelgasse 10
89073 Ulm
Tel.: 0731-69 95 5
info@museumbrotundkunst.de
www.museumbrotundkunst.de

Xolotl, Mexiko, um 200 n. Chr., Museum Brot und Kunst, © Bernhard Friese, Pforzheim

AsKI KULTUR lebendig 2/2019

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