Max-Reger-Institut / Elsa-Reger-Stiftung, Karlsruhe: Zwei neue ‘Riesenbabys‘* für Max Reger - Reger-Werkausgabe und Reger-Werkverzeichnis

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Screenshot aus der DVD zum ersten Band der Reger-Werkausgabe (aus der Choralphantasie Freu dich sehr, o meine Seele! op. 30)

Im Schaffen von Max Reger (1873-1916), der die musikalischen Entwicklungen rund um die letzte Jahrhundertwende bedeutend mitgestaltete, verbinden sich Tradition und Moderne ebenso singulär wie wegweisend.

Die wissenschaftlich-kritische Ausgabe (RWA), die seit Januar 2008 als Langfristprojekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur im Max-Reger-Institut in Karlsruhe entsteht, präsentiert nun das vielgestaltige Werk des Komponisten in einer ähnlich multiperspektivischen Darstellung: Als erstes musikwissenschaftliches Editionsprojekt ist sie durchgehend als sogenannte hybride Ausgabe angelegt, d.h. zum gedruckten Notenband gehört substanziell auch eine DVD, auf welcher das jeweils verfügbare Quellenmaterial (Handschriften, Erstdrucke, erläuternde Briefe und Dokumente) in hochauflösenden Farbscans zur Verfügung gestellt und wissenschaftlich aufbereitet wird sowie zahlreiche notwendige Zusatzinformationen zu den edierten Werken mitgeliefert werden. In dieser Form möchte die RWA dem Benutzer einerseits eine auf komplettem Quellenvergleich fundierte, spielbare Werkgestalt an die Hand geben und andererseits im Sinne einer „offenen Ausgabe" Stadien der Werkentstehung und Werkkontexte durch die bildgestützte Darstellung offenlegen und kommentieren.

Die RWA ist als Auswahlausgabe in drei Abteilungen konzipiert, die folgende Schaffensbereiche Regers vollständig abdeckt: Den Anfang machen die Orgelwerke (7 Bände), es folgen Lieder und Chöre (9 Bände) sowie die Bearbeitungen Regers von Werken anderer Komponisten (11 Bände). Der erste Band der Orgelwerke mit Regers zwischen 1898 und 1900 komponierten sieben Choralphantasien ist im März 2010 erschienen. Ab April 2011 ist auch der zweite Band erhältlich: Phantasien und Fugen, Variationen, Sonaten, Suiten I (Inhalt: Suite e-moll op. 16, Phantasie und Fuge c-moll op. 29, I. Sonate fis-moll op. 33, Introduction und Passacaglia d-moll WoO IV/6, Phantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46, Variationen und Fuge über »Heil, unserm König Heil!« WoO IV/7 und Symphonische Phantasie und Fuge op. 57).

Das Konzept der RWA nutzt Verknüpfungen auf mehreren Ebenen: So kann der Nutzer mithilfe der am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn entwickelten Software Edirom Quellen taktweise miteinander vergleichen; die digitale Anzeige des Kritischen Berichts visualisiert editorische Entscheidungen und macht sie damit transparent. Immer ausgehend von den präsentierten Werken, werden im enzyklopädischen Bereich der DVD Spuren hinein in das historische Umfeld und die Lebenswelt Max Reg

ers gelegt: Historische Dispositionen von Reger-Orgeln, Informationen zu zeitgenössischen Reger-Interpreten und den Widmungsträgern sowie Briefe und weitere Dokumente mit erläuternden Hinweisen zu den Werken sind dort unter anderem zu finden, versehen mit reichlich Bildmaterial. Alle relevanten Informationen sind, wie von Internet-Seiten bekannt, miteinander durch Links vernetzt, wodurch sich immer neue Perspektiven ergeben und Zugänge öffnen: Verbindungen lassen sich ziehen und nachvollziehen, eigene Wege durch Regers Schaffen und Wirken beschreiten. Mittelfristig möchte die RWA nicht zuletzt auch den interdisziplinären Diskurs anregen und befördern - insbesondere mit der den Liedern und Chören gewidmeten zweiten Abteilung, bei der auch die zahlreichen Textdichter Regers in das Blickfeld gelangen, von denen einige weltberühmt sind (etwa Stefan Zweig und Novalis), andere jedoch nicht (mehr) zum Kanon der Literatur gehören.

Dr. Wolf-Dieter Seiffert (G. Henle Verlag) übergibt das erste Exemplar des Reger-Werkverzeichnisses an die Herausgeberin Prof. Dr. Susanne Popp, Foto: Henle VerlagEine wesentliche Grundlage für die Reger-Werkausgabe bildet das neue, von Professor Dr. Susanne Popp, der Leiterin des Max-Reger-Instituts, herausgegebene und im G. Henle erschienene Reger-Werk-Verzeichnis (RWV), das im Januar 2011 mit einem Festakt in der Bayerischen Staatsbibliothek / München der Öffentlichkeit vorgelegt werden konnte. Mit diesem steht nun erstmals ein Kompendium bereit, von dem Forscher, Interpreten und Liebhaber der Reger'schen Musik gleichermaßen profitieren können. Das neue RWV - entstanden in einem mehrjährigen Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft - ist weit mehr als eine Revision des 1953 von Fritz Stein vorgelegten, nach ihm benannten „Stein-Verzeichnis" der gedruckten Werke Regers; vielmehr wurden nun erstmals auch Manuskriptquellen mit detektivischem Spürsinn zusammengetragen und ausgewertet sowie die Entstehungsgeschichten aller Werke, von der riesigen Orchesterpartitur bis zum winzigen Albumblatt, detailliert beschrieben. Den Handbuchcharakter des RWV, das sich dem Schaffen eines im Musikleben - gemessen an seiner historischen Bedeutung - bislang zu wenig repräsentierten Komponisten widmet, unterstreichen auch viele für die musikalische Praxis nützliche Zusatzinformationen in den einzelnen Einträgen: etwa Angaben zu den Textdichtern und -vorlagen, zur Werkdauer, Notenincipits sowie umfangreiche Sekundärliteratur, die den Zugang zu Regers komplexem Œuvre noch weiter vertiefen kann. Stefan König und Stefanie Steiner

*Das Zitat stammt aus einem Brief von Max Reger an Reinhold Anschütz vom 25.6.1910.

AsKI KULTUR lebendig 1/2011

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