Kunsthalle Emden: Welt aus den Fugen. Scharl, Katz, Radziwill

Hanns Ludwig Katz (1892 Karlsruhe – 1940 Johannesburg), Selbstbildnis, um 1918, Öl auf Sperrholz, Kunsthalle Emden

Die historischen Knotenpunkte, an denen sich die Künstlerleben von Josef Scharl (1896–1954), Hanns Ludwig Katz (1892–1940) und Franz Radziwill (1895–1983) entfalten, sind für viele Kunstschaffende ihrer Generation einschneidende und lebensverändernde Ereignisse.

 Von den Geschehnissen des Ersten Weltkrieges geprägt, in einem neuen Staatssystem, durch Wirtschaftskrisen zerrüttet und geradewegs in eine Diktatur gleitend, sind die 1920er-Jahre historisch gesehen nicht ausschließlich glänzend. Es sind jedoch jene Jahre, die für die Kultur in der Weimarer Republik Umbruch und Aufbruch bedeuten. So auch für die drei Künstler, deren Lebenswege sich trotz kollektiver Erfahrungen und mancher Gemeinsamkeiten so unterschiedlich gestalteten. Geboren in den 1890er-Jahren, erlebten sie den Zusammenfall des Deutschen Kaiserreichs und sowohl den Beginn als auch das Ende der Weimarer Republik. Alle drei erlernten handwerkliche Berufe, hatten kleine und große Erfolge in den nationalen und internationalen Kunstzentren, erhielten Inspirationen aus dem Expressionismus wie der Neuen Sachlichkeit. Dennoch entfalten sie höchst verschiedene Lebenswege und Stilentwicklungen. Sie brechen mit Konventionen und Traditionen, doch auf höchst unterschiedliche Weise.

Franz Radziwill, Das (karierte) Handtuch, 1933, Öl auf Leinwand auf Holz, Kunsthalle Emden – Dauerleihgabe der Claus Hüppe-Stiftung © VG Bild-Kunst

Radziwill und Scharl waren im Ersten Weltkrieg an der Front, während Katz erst wegen seines Studiums, dann wegen eines Lungenleidens vom Dienst zurückgestellt wurde. Ihre Bekanntschaften mit George Grosz, Otto Dix, Richard Hamann, Lotte und Ruth Jacobi, Albert Einstein, Otto und Eduard Fucker, Georg Schrimpf, Karl Nierendworf, Kurt Wolff, Wolfgang Sauerländer, Oskar Maria Graf, Harry Graf Kessler, Hanna Stirnemann, Alfred Neumeyer, Benno Elkan, Richard Krautheimer, Paul und Rudolf Hindemith, Siegfried und Elisabeth Kracauer, Edgar Ende, Hans Eckstein, Rosa Shapire, Wilhelm Niemeyer und vielen anderen lassen erahnen, dass sie nicht nur am Rand der Gesellschaft agierten, sondern mitten im Zeitgeschehen der Avantgarden.

Franz Radziwill (1895 Strohausen bei Rodenkirchen – 1983 WIlhelmshaven), Selbstbildnis, 1944, Öl auf Leinwand auf Sperrholz, Kunsthalle Emden – Dauerleihgabe der Claus Hüppe-Stiftung © VG Bild-Kunst

Jeder von ihnen war von der Kulturpolitik der Nationalsozialisten betroffen, doch während Radziwill 1933 der NSDAP beitrat und mit seiner überwiegend naturalistischen Malweise trotz gelegentlicher Angriffe weitestgehend unbehelligt künstlerisch weiterarbeiten konnte, erhielten Scharl und Katz Mal- und Ausstellungsverbote und waren akut gefährdet. Letzterer musste nicht nur sein Geschäft aufgeben, sondern sein ganzes Leben in seinem Heimatland zurücklassen und 1936 fliehen.

Hanns Ludwig Katz, Eye Operation, 1929/30, Öl auf Sperrholz, Kunsthalle Emden

Im nationalsozialistischen Staat wurden seine Werke öffentlichen Sammlungen entzogen und in der Ausstellung „Entartete Kunst" zur Schau gestellt. Katz' jüdische Herkunft, seine linkspolitische Haltung und sein post-expressionistischer, abstrahierender Malstil wurden für ihn gleich in vielfacher Weise zur Gefahr. Im Exil in Südafrika wandte sich Katz vor allem der Aquarellmalerei zu und publizierte mehrere Aufsätze, die sein kunsttheoretisches Denken veranschaulichen. Doch bereits 1940 starb Katz mit 48 Jahren an Krebs und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Johannesburg begraben. Sein Werk ist bis heute nur punktuell in deutschen Museen vertreten und hat erst seit einer vom Jüdischen Museum Frankfurt am Main initiierten Retrospektive zu seinem 100. Geburtstag wieder mehr Bekanntheit erlangt.

Josef Scharl, Gala-Uniform, 1935, Öl auf Leinwand, Foto: Kunsthalle Emden © Susanne Scharl

Von der Diffamierung in der Ausstellung „Entartete Kunst" blieb Josef Scharl verschont. Doch darin mit keinem Werk vertreten zu sein, obwohl einige Arbeiten von ihm in der Vorauswahl gewesen waren, empfand der Künstler als Kränkung. Schon 1935 hatte Josef Scharl vom Museum of Modern Art in New York eine Einladung erhalten, gemeinsam mit Max Beckmann, Georg Scholz, Erich Heckel und Karl Hofer auszustellen – die Ausstellung wurde jedoch nie realisiert. Wenngleich Scharl sich durch treue Förderinnen und Förderer auch nach seiner Immigration 1938 und Einbürgerung in die USA 1952 finanziell über Wasser halten konnte, so blieb der Erfolg für den in Übersee unbekannten Maler lange aus – in den USA kennen viele nur sein grafisches Werk, vor allem die Illustrationen zur US-amerikanischen Übersetzung der Märchen der Gebrüder Grimm und Adalbert Stifters „Bergkristall". Und obgleich Franz Radziwill zunächst von der Entlassungswelle an den Kunsthochschulen profitiert und Paul Klees Professur an der Kunstakademie Düsseldorf geerbt hatte, wurde 1935 auch Radziwill seinerseits entlassen, da man sein expressionistisches Frühwerk als Beweis seiner „Unfähigkeit" zur Anleitung heranwachsender Künstlergenera­tionen betrachtete. Einige dieser Arbeiten wurden wiederum bei der Ausstellung „Entartete Kunst" gezeigt. Fritz Kaiser, der Verfasser des gleichnamigen Ausstellungsführers – in dem neben einem Werk von Radziwill auch das Dix'sche Porträt von ihm abgedruckt war –, bot Radziwill an, einen schriftlichen Widerruf in der Ausstellung zum Aushang zu bringen, in dem sich der Künstler von den Werken, die er durch seine Signatur als Teil seines Œuvres anerkannt habe, distanzieren könne. Radziwill antwortete nicht; seine Werke blieben weiterhin in der Berliner Ausstellung hängen und sind damit gewissermaßen ein Bekenntnis zu den damaligen Weggefährtinnen und Weggefährten und zu seiner eigenen künstlerischen Entwicklung.

Josef Scharl (1896 München – 1954 New York), Selbstbildnis, 1954, Öl auf Jute, Foto: Kunsthalle Emden © Susanne Scharl

Die Kunsthalle Emden verfügt dank großzügiger Schenkungen und Dauerleihgaben über große Konvolute von Scharl, Katz und Radziwill, die in dieser Form noch nie gemeinsam gezeigt wurden. Im Falle der beiden Künstler der sogenannten Verlorenen Generation, Scharl und Katz, handelt es sich um die jeweils größten ihrer Bestände in Deutschland, die bereits durch bedeutende Retrospektiven als wertvolle Wiederentdeckungen in die Kunstgeschichtsschreibung zurückgefunden haben. Anhand der Ausstellung „Welt aus den Fugen. Scharl, Katz, Radziwill" werden ab Herbst 2021 nicht nur die Personen und ihr Schaffen in den Fokus gerückt, sondern mithilfe der Gegenüberstellung der drei Künstlerpositionen verschiedene, gleichzeitig verlaufende Entwicklungen beleuchtet. Ambivalenzen in einem turbulenten Kapitel der Historie werden anhand der Ausstellung visualisiert und miteinander in Kontext gesetzt, sodass Zeit- und Kunstgeschichte als ganzheitliches, dicht verwobenes Netz individueller Schicksale und kollektiver Erfahrungen begreifbar werden.

 Samira Kleinschmidt | Assistenzkuratorin,
Kunsthalle Emden

AsKI kultur leben 2/2021

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