Kunsthalle Bremen: Wer war Milli? Eine Intervention von Natasha A. Kelly in der Sammlungsausstellung

Wer war Milli? Installationsaufnahme Kunsthalle Bremen 2022, Foto: Marcus Meyer Photography 2022Mit bald 200 Jahren Geschichte ist es eine besondere Herausforderung für die Kunsthalle Bremen und den Kunstverein in Bremen, ihre Traditionen mit dem Heute und damit auch mit einer sich grundsätzlich wandelnden Gesellschaft zu verbinden. Seit einigen Jahren befindet sich die Kunsthalle Bremen in einem bewussten Prozess der Öffnung, in dem diverse Themen und vielfältige Gruppen von Besuchern und Besucherinnen in den Blick genommen, Strukturen und Prozesse der Kunsthalle machtkritisch befragt und Barrieren für marginalisierte Gruppen abgebaut werden.

Bei der Vorbereitung der 2020 eröffneten Sammlungsausstellung „REMIX" stand daher u. a. zur Diskussion, wie mit Werken umzugehen sei, die nach aktuellem Wissen und heutiger Position neubewertet und kontextualisiert werden müssen und wer in einer Ausstellung über diese Inhalte sprechen kann.

Beispielhaft für diese Herangehensweise ist das Projekt „Wer war Milli?", das die Kunsthalle Bremen 2021/22 mit der Kommunikationswissenschaftlerin und Autorin Natasha A. Kelly realisierte und im Frühjahr 2022 als Intervention innerhalb der „REMIX"-Ausstellung eröffnete. Kelly setzte sich hierfür – anknüpfend an frühere Arbeiten – mit der Rolle Schwarzer Modelle in der Kunst des Expressionismus auseinander und erzählt dabei Schwarze deutsche Geschichte. Das Projekt geht von einem der Hauptwerke der Kunsthallen-Sammlung aus: dem Gemälde „Schlafende Milli"(1911) von Ernst Ludwig Kirchner, auf dem ein Schwarzes Aktmodell auf einem Bett in Kirchners Dresdner Atelier zu sehen ist. Das Gemälde ist nicht nur zentral für die Bremer Sammlung, sondern auch ein vielbeachtetes Werk in der Kirchner-Forschung. Die Identität von „Milli" – wie sie in Kirchners Atelier kam, welches Leben sie führte – ist in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Gemäldes jedoch weitgehend unhinterfragt geblieben. Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass über Kirchners weiße Modelle zahlreiche Informationen vorliegen und selbst die Einrichtungsgegenstände seiner Ateliers bis ins letzte Detail identifiziert und analysiert sind.

Neben dem Gemälde gibt es eine große Zahl weiterer Darstellungen, in denen Kirchner Schwarze Modelle porträtierte, aber auch Fotografien aus Kirchners und Erich Heckels Atelier, die „Milli" und die weiteren Modelle „Nelly" und „Sam" zeigen sollen. Diese Werke entstanden über mehrere Jahre von 1909 bis 1911. Es handelt sich also nicht um momenthafte, spontane Begegnungen, sondern um einen länger andauernden Kontakt. Und doch haben weder die Künstler noch ihr Umfeld Informationen über die Identitäten der Modelle festgehalten. Weitreichende Untersuchungen in Archiven und Nachlässen zeigten, dass keinerlei verlässliche Informationen über die dargestellten Personen zu finden sind. Diese eklatante Leerstelle ist kein Sonderfall. Die Ursache liegt in einem ideologisch verengten Interesse der herrschenden Gesellschaft an den Schwarzen Mitbürgern und Mitbürgerinnen, das nicht deren realer Lebenssituation galt und sie daher dem Vergessen preisgab. Die Kunstgeschichte hinterfragte diese Leerstellen nicht und schrieb sie stattdessen fest.

Um den blinden Flecken der Geschichte zu begegnen, trug Natasha A. Kelly zahlreiche Darstellungen von Schwarzen Modellen bei Kirchner zusammen, schuf inhaltliche Cluster und kommentierte diese. Ihre Intervention versteht sich als essayistische Auseinandersetzung mit den Werken von Kirchner – nicht mit dem Ziel ihn zu diskreditieren, sondern um der Person „Milli" ein Stück ihrer Identität zurück zu geben. Kirchner wird die Rolle des Helfershelfers zugewiesen, um einen diskursiven Handlungsraum zu öffnen, in dem Fragmente von „Millis" Realität rekonstruiert werden können.

Mit „Wer war Milli?" macht Kelly darauf aufmerksam, dass die Geschichte von „Milli" und damit auch aktiv vergessene deutsche Schwarze Geschichte allgemein noch nicht erzählt ist. Kelly macht hierfür einen entscheidenden Anfang.

Wer war Milli? Installationsaufnahme Kunsthalle Bremen 2022, Foto: Marcus Meyer Photography 2022

Die Intervention stellt für die Kunsthalle Bremen einen wichtigen Schritt dar in einem andauernden Prozess der kritischen Selbstbefragung. Das Nicht-Wissen über „Milli" steht symptomatisch für die Unterrepräsentanz von Schwarzen Künstlern undKünstlerinnen sowie Künstlern und Künstlerinnen of Colour in der Kunsthalle Bremen und deutschen Kunstinstitutionen allgemein. In Kellys Film „Millis Erwachen" (2018) berichten acht Schwarze Kunst- und Kulturschaffende über ihre Erfahrungen mit dem deutschen Kultursystem mit all seinen Hindernissen und Herausforderungen. Der Film kann als Aufruf an die Institutionen verstanden werden, ihre Entscheidungen fortwährend zu hinterfragen und aktiv daran zu arbeiten, die herrschenden strukturellen Ausschlüsse innerhalb der Kunstwelt abzubauen.

Mit „Wer war Milli?" hat die Kunsthalle Bremen das „Milli"-Gemälde als Anlass genommen, anderen Perspektiven im Museum eine Plattform zu geben und diese zugleich als gleichberechtigten Teil in den Ausstellungsrundgang zu integriert. Narrative, Themen und Identitäten, die gemeinhin von der Kunstgeschichte ausgeblendet werden, können so eingebunden werden und zum Dialog einladen.

Dr. Eva Fischer-Hausdorf | Kustodin für moderne
und zeitgenössische Kunst, Kunsthalle Bremen

 

 AsKI kultur leben 2/2022

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