Kunsthalle Bremen: Rückkehr verschollener Kunstwerke - Das Ende einer Odyssee: Dürers "Frauenbad" zurück

Der Kunstverein in Bremen - als Träger der Kunsthalle Bremen - nahm im Juli 2001 aus den Händen des Finanzministers der USA, Paul O'Neill, in den Räumen der New Yorker Obersten Zollbehörde nach dreieinhalbjährigen Verhandlungen zwölf wertvolle Zeichnungen in Empfang.


Die Zeichnungen gehören zu den mehr als 1.520 Kunstwerken, die 1943 aus Sicherheitsgründen aus der Kunsthalle Bremen in das Schloss Karnzow (Mark Brandenburg) ausgelagert wurden, bei Kriegsende in die Hände einzelner sowjetischer Soldaten, aber auch der dortigen Zivilbevölkerung fielen und seitdem als verschollen galten.

 

Albrecht Dürer (1471-1528), Das Frauenbad, 1496, Feder in Schwarz, Monogrammiert und datiert unten Mitte Vermächtnis Klugkist 1851, © Foto: Kunsthalle Bremen Erste Nachrichten über die hier angesprochenen Zeichnungen erhielt der Kunstverein bereits 1993, als die Blätter in einer Ausstellung im Nationalmuseum von Baku, Aserbeidschan, auffielen. War es hier die deutsche Botschaft, die in Kenntnis der 1991 publizierten und weltweit verschickten "Dokumentation der durch Auslagerung im 2. Weltkrieg vermissten Kunstwerke der Kunsthalle Bremen" auf die Bremer Zeichnungen aufmerksam machte, so wenig später das Auktionshaus Sotheby's in New York, dem die inzwischen aus dem Museum in Baku als gestohlen gemeldeten Zeichnungen angeboten worden waren (der Versuch, den russischen Anbieter mitsamt den Zeichnungen mithilfe des FBI festzunehmen, misslang damals).

 

Im Frühsommer 1997 kam, diesmal über die deutsche Botschaft in Tokio, ein Kontakt zu einem Japaner zu Stande, der zusammen mit einem russischen Partner diese Zeichnungen aus angeblichem Familienbesitz verkaufen wollte. Nach einem Besuch in Bremen im Juli 1997 hatte der Anbieter zwar seine erste Preisvorstellung von 12 Mio. US$ bereits auf die Hälfte reduziert, wollte sich jedoch nicht mit dem für gestohlenes und zudem weltweit als solches und als Eigentum des Kunstvereins publiziertes Kunstgut üblichen Finderlohn begnügen.

 

Da der Kunstverein vor allen weiteren Verhandlungen auf einer Besichtigung der Originale bestand (bisher waren nur Photographien vorgelegt worden), kam Anfang September 1997 ein Treffen des Japaners mit Vertretern des Kunstvereins in New York zu Stande, wo die Zeichnungen angeblich in einem Banksafe liegen sollten. Zuvor hatte der Kunstverein den für ihn in den USA tätigen Anwalt in Washington sowie die Zollfahndung in New York über diesen Fall informiert in der Annahme, dass die Kunstwerke illegal ohne Papiere in die USA eingeführt worden seien. In New York selbst fanden sodann ausführliche Gespräche der Zollfahndung, der Staatsanwaltschaft und der Vertreter des Kunstvereins über Herkunft, Geschichte und Wert der Blätter sowie über die Strategie einer geplanten Beschlagnahmung der Werke und Verhaftung des Anbieters statt. Derart vorbereitet konnten nach zwei misslungenen Versuchen tatsächlich - unter z. T. dramatischen Umständen und unter Mithilfe der Kustodin der Kunsthalle - sechs der Zeichnungen im Hotel des Japaners beschlagnahmt werden. Wenig später wurden die restlichen sechs Zeichnungen durch Mittelsmänner des russischen Partners bei der Zollbehörde abgeliefert. Einige Wochen danach konnte auch die Partnerin des Japaners, eine Staatsanwältin aus Baku, bei der Einreise in die USA verhaftet werden.

Rembrandt (1606-1669), Stehende Frau mit erhobenen Händen (Saskia?), Feder in Braun, stellenweise laviert, Deckweiss Alter Bestand vor 1900, © Foto: Kunsthalle Bremen Es folgten gründlichste Recherchen der New Yorker Staatsanwaltschaft zu einwandfreien Provenienzen der Bremer Zeichnungen, zur Geschichte der Auslagerung und der Verluste, zum Diebstahl in Baku, zu den eventuellen Eigentumsansprüchen des Staates Aserbeidschan (endend in dessen offizieller Verzichtserklärung) und zu allen beteiligten Personen, diese immer erschwert und verzögert durch die Bemühungen der Verteidigung, die Echtheit und den Wert der Zeichnungen zu bezweifeln, um das Strafmaß der aserbeidschanischen Angeklagten zu mildern (der japanische Partner war inzwischen verstorben). In der Zwischenzeit hatte am 19. November 1999 auch der Präsident Aserbeidschans, Alijew, an Bundeskanzler Schröder zwei Zeichnungen aus dem Konvolut in Baku übergeben, die dem Diebstahl entgangen waren.

Die Verhandlungen der New Yorker Straf- und Zivilprozesse fanden schließlich ihren für Bremen guten Ausgang. Den richterlichen Entscheidungen kommt darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung zu, da dies der erste Strafprozess in Amerika um in Kriegen verschollenes und gestohlenes Kunstgut ist. Umso dankbarer ist der Kunstverein in Bremen den offiziellen New Yorker Stellen dafür, dass sie die Rückführung der Zeichnungen durchgefochten haben.

Mit diesen zwölf Zeichnungen nun kehren Werke in die Kunsthalle Bremen zurück, die - vom späten 15. bis ins 19. Jahrhundert zu datieren - von deutschen, italienischen, niederländischen und französischen Künstlern stammen, in Feder oder Pinsel, in schwarzer oder roter Kreide, zum Teil mit Deckweiß ausgeführt sind, die weltliche und religiöse Themen, Einzelfiguren und Landschaften zeigen - kurz, die das weite Spektrum europäischer Zeichenkunst reflektieren, zudem auch die Sammlungsgeschichte des 1823 gegründeten Bremer Kunstvereins. Denn mehr als die Hälfte der Zeichnungen, zumal die wichtigsten von Dürer, Ruisdael und Rembrandt, wurden bereits nachweislich in den 1820er- bis 1850er Jahren erworben und werden seitdem in der älteren Literatur immer wieder erwähnt.

Weitaus das wichtigste Werk ist Albrecht Dürers Federzeichnung "Das Frauenbad", monogrammiert und datiert 1496. Obwohl der Künstler die sechs nackten Frauen und zwei Kinder sicher nicht "vor Ort", also in einer der zu Dürers Zeiten noch sehr beliebten Badestuben beobachtet und gezeichnet, sondern aus Einzelstudien nach Vorbildern und nach der Natur zu dieser Komposition zusammengefügt hat, markiert die Zeichnung den Schritt des größten deutschen Künstlers aus der kirchlich gebundenen in die freie und persönliche Darstellung des Menschen der Neuzeit.

Eine zweite Zeichnung Dürers ist eigenhändig 1514 datiert, eine am Boden sitzende "Maria mit dem Kind", wie Dürer sie des Öfteren in seinen Kupferstichen verwendete. Während der untere Teil der Figur sorgfältig wie eine Draperiestudie ausgeführt ist, blieb der obere Teil skizzenhaft nur in den Umrissen angelegt.Zeitgleich mit Dürers Blättern - um 1500 - dürfte die Rötelzeichnung mit "Zwei Priestern vor einem antiken Grabmal" entstanden sein. Die alte Zuschreibung an Andrea Mantegna muss allerdings, bei aller Qualität, zurückhaltend und kritisch in eine wohl zeitgenössische Kopie nach einem Gemälde Mantegnas (heute in der National Gallery, London) verändert werden.
Ähnlich vorsichtig müssen vier Blätter nach genauer Prüfung bewertet werden, die ehemals Annibale Carracci (zwei Blatt), Nicolas Poussin und Anthony van Dyck zugeschrieben wurden, aber doch wohl eher bisher noch unbekannten italienischen bzw. flämischen und holländischen Zeichnern zuzuweisen sind.

Eine Umbenennung erfuhr bereits die Federzeichnung "Haman vor Esther und Ahasver", die - ehemals als Rembrandt benannt - heute überzeugend seinem Schüler Jan Victors zugeschrieben wird.Dagegen dürfte sich, trotz mancher Kritik an einigen für Rembrandt fremd und unlogisch scheinenden Schnörkeln, Zickzacklinien und dicken Umrisslinien, die großartige Studie einer "Stehenden Frau, vielleicht Saskia" als eigenhändige, für die Mitte der 1630er-Jahre typische Federzeichnung Rembrandts behaupten.

Von kunsthistorisch großer Bedeutung und Qualität sind auch die beiden Kreidezeichnungen Jacob van Ruisdaels, zum einen die um 1648/50 flüchtig vor der Natur skizzierte "Windmühle", die er wenig später, um 1655/60, in einem Gemälde als Hauptmotiv verwendete, zum anderen die ebenfalls vor Ort gezeichnete, im Atelier aber mit Feder und Pinsel ausgeführte "Ruine von Schloß Egmont". Das Blatt gehört zu einer Gruppe von bisher sieben bekannten, eigenhändigen Zeichnungen Ruisdaels, in denen er diese für das nationale Bewusstsein Hollands so gewichtige Ruine aus dem Befreiungskrieg gegen das spanische Habsburg (1573/74) als bildhaftes, in sich selbständiges Werk formulierte.

Die jüngste Zeichnung ist als Werk des französischen Malers Jean-François Millet ausgewiesen, eine thematisch und stilistisch typische Studie eines "Grabenden Bauern", vermutlich um 1855 in Barbizon und im Kontext ähnlicher, bäuerlicher Figurenstudien entstanden.

 

Anne Röver-Kann

Dr. Anne Röver-Kann ist Kustodin des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle Bremen

 

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/2004

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