Jahresausstellung des AsKI 2006: Visionäre und Realisten - Deutsche Verleger im 20. Jahrhundert

Bei einem Rundgang durch die Ausstellung "Visionäre und Realisten - Deutsche Verleger im 20. Jahrhundert" eröffnen sich dem Besucher im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg mit der Geschichte von Verlegern Einblicke in die deutsche Literaturgeschichte unter den jeweils gegebenen politischen und ökonomischen Bedingungen. Man begegnet großherzigen Mäzenen, sensiblen Ästheten und Visionären, souverän agierenden Patriarchen, keine Mühen scheuenden Enthusiasten, kühlen Rechnern sowie immer wieder kritischen und verlässlichen Freunden. All diese Eigenschaften charakterisieren Verleger des 20. Jahrhunderts und die ausgewählten Beispiele zeigen, dass jeder von ihnen diese Charakteristika in unterschiedlichen Dosierungen in sich vereint.

Sieben Mitgliedsinstitute des AsKI haben für die Jahresausstellung 2006 ihre Archive geöffnet, aus denen jeweils ein thematisch geschlossener Beitrag für diese Ausstellung entstand. Sie wirft Schlaglichter auf Verleger und von ihnen betreute Künstler, soweit ihre Nachlässe in AsKI-Instituten gesammelt und zugänglich sind, und beleuchtet auf diese Art und Weise einen aussagekräftigen Teil des gesamten Spektrums. Das Ergebnis ermöglicht Einblicke in die Beziehungen der Verleger zu ihren Schriftstellern, Komponisten und bildenden Künstlern und ihren Einsatz für ein literarisches Werk, eine Komposition oder einen Zyklus von Zeichnungen, wenn der Künstler seine eigentliche Arbeit getan hat. 

Anton Kippenberg (1874–1950), Kreidezeichnung von Walter Tiemann, 1944, © Goethemuseum Düsseldorf

Zunächst trifft der Besucher auf das Ehepaar Kippenberg. Das Goethe-Museum Düsseldorf stellt nicht nur Bücher und Briefe zu dieser Ausstellung zur Verfügung, sondern zeigt auch zwei große Porträts der Goethe-Sammler Anton und Katharina Kippenberg, die den Besucher in die Ausstellung hineinbegleiten. Anton Kippenbergs Mission, "einen Einzigen verehren", spiegelt sich in umfangreichen Katalogen seiner Goethesammlungen, die er in prachtvoller Ausstattung drucken ließ. Ein begeisterter Brief an seine Frau handelt vom Auffinden eines weiteren Manuskripts, ihm gewidmete Bücher weisen den Mitbegründer des Insel-Verlags als einen Freund und Förderer aus, dem sich viele Autoren, darunter auch Stefan Zweig und Thomas Mann, gerne anvertrauten.

Mit einem intensiven Blick auf das Verhältnis eines Musikverlegers zu einem Komponisten, auf den Gründer der Leipziger Edition Peters, Henri Hinrichsen, und Max Reger, beteiligt sich das Max-Reger-Institut Karlsruhe. Es zeigt Henri Hinrichsen als großzügigen Mäzen und in kritischen Momenten auch beherzt eingreifenden Freund Max Regers, dessen Werke als unspielbar galten und kommerziell wenig Erfolg versprachen. Regers rastloses Interpretenleben ließ Hinrichsen befürchten, dass Reger nicht seinem eigentlichen Talent des Komponierens folgte. Hinrichsen teilt ihm diese Bedenken mit und macht ihm ein großzügiges Angebot: "Wenn Sie (…) sich verpflichten können, vom 1. April 1907 bis 31. März 1908 höchstens zehn Konzerte zu geben, so wäre ich bereit, Ihnen einen Betrag von zehntausend Mark anzuweisen."

Der Buchkunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts widmet die Bremer Kunsthalle ihre Aufmerksamkeit. Sie stellte wertvolle Drucke aus der 1911 von Willy Wiegand und Ludwig Wolde gegründeten Bremer Presse, der "Königin der Deutschen Pressen" zur Verfügung. Beide Verleger bemühten sich um die Gestaltung neuer Schriften, arbeiteten mit Schriftkünstlern, Holzschneidern, Stempeldruckern und Buchbindern zusammen und druckten niedrige Auflagen mit größter Sorgfalt. Dazu gehört beispielsweise Dantes "Comedia", die in einer Übersetzung von Rudolf Borchardt erschien, oder eine Festschrift für Hugo von Hofmannsthal, die mit Lithographien von Max Liebermann 1924 veröffentlicht wurde. Hofmannsthal war für die beiden Verleger ein wichtiger Partner. Er ließ nicht nur einige seiner Texte von ihnen gestalten, sondern interessierte sich auch für die Entwicklung der Bremer Presse: "Ich will der Bremer Presse in a l l e m den Vorrang geben" schreibt er 1924 an Willy Wiegand und gibt seinem Verleger im gleichen Brief mit auf den Weg: "Im idealen Verhältnis muss der mit mir arbeitende Verleger, wo er meine Ideen zur Ausführung wert befunden hat, mich treiben, als Schwungrad wirken - nicht umgekehrt."

Samuel Fischer (1911), Foto: Rudolph Dürkoop, © Archiv S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main

Das Buddenbrookhaus Lübeck präsentiert einen Ausschnitt aus der Arbeit des für die Verlagszunft stilbildenden Verlegers Samuel Fischer und seines Lektors Moritz Heimann, die in ihrem Zusammenspiel mit Thomas Mann für die deutsche Literatur am Anfang des 20. Jahrhunderts von größter Bedeutung waren. Man kann anhand der Dokumente, die das Thomas Mann Archiv Zürich zur Verfügung stellte, nachlesen, wie sehr sich Samuel Fischer in schwungvoll geschriebenen Karten und Briefen um den jungen Thomas Mann bemühte und ihm nach der Veröffentlichung einer ersten Novelle sofort ans Herz legte, ein längeres Prosastück zu schreiben. Dass Thomas Mann daraufhin das Manuskript der "Buddenbrooks" vorlegte und Samuel Fischers Wunsch, "um die Hälfte zu kürzen", nicht entsprach, bewog Fischer dazu, zunächst eine zweibändige Ausgabe zu drucken. Dies zeigt auch das Talent der Verleger, Potentiale und Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Autoren sowie das Interesse des Lesepublikums aus verlegerischer Sicht ins ideale Verhältnis zu bringen.

George Grosz, Das neue Gesicht der herrschenden Klasse, Erstausgabe, Malik-Verlag, 1930, © Akademie der Künste Berlin Ein großes Kapitel deutscher Verlagsgeschichte des vergangenen Jahrhunderts wird auch in dem Beitrag der Akademie der Künste, Berlin, aufgeschlagen. Sie öffnete das Archiv Wieland Herzfeldes, der gemeinsam mit seinem Bruder John Heartfield 1916 in Berlin den Malik-Verlag gründete. Er verlegte unter vielen anderen auch Bertolt Brecht und das gesamte Frühwerk von George Grosz. Zu beiden pflegte Wieland Herzfelde über die Jahre und Kriegszeiten in Berlin, dann im Exil quer durch Europa, anschließend im amerikanischen Exil und ab 1949 wieder in (Ost-)Deutschland ein freundschaftliches Verhältnis. Es geht in den ausgebreiteten Briefen, Fotographien, Verlagsverträgen und Büchern um die Veröffentlichung von Bert Brechts Stück "Furcht und Elend des Dritten Reiches" sowie um den adäquaten Druck der Zeichnungen von George Grosz "Das Gesicht der herrschenden Klasse". Dass Herzfelde mit seinen Künstlern notfalls auch vor Gericht zog, belegen Dokumente zu dem "Gotteslästerungsprozess", der 1928 gegen Herzfelde und Grosz angestrengt wurde, als Grosz für die Piscatorbühne Illustrationen zu "Schwejk" anfertigte und den Gekreuzigten mit einer Gasmaske darstellte. Stefan Andres, Der Mann im Fisch, © Deutsches Literaturarchiv Marbach Das Deutsche Literaturarchiv Marbach öffnete das Piper-Verlagsarchiv und macht mit dem Verleger Klaus Piper und dem Autor Stefan Andres auf eine weitere Spielart der Beziehungen aufmerksam. "Eheschließung und frühes Glück" und "Krisen und Seitensprünge" heißen die Stationen der Geschichte des vielgelesenen und selbstbewussten Stefan Andres und seines "Eheherrn" Klaus Piper, die in ausgewählten Briefen, Notizen, Fotographien und Büchern dargestellt sind. Auch hier wird der Spagat deutlich, zwischen ökonomischen und inhaltlich-literarischen Gesichtspunkten einen Weg zu finden, der beide Seiten zufrieden stellt. Die teils humorvollen, teils auch verärgerten Reaktionen Klaus Pipers auf Stefan Andres Wünsche und "Seitensprünge" - er veröffentlichte im Ullstein-Verlag ein gut verkäufliches Sachbuch über "Die großen Weine Deutschlands "- belegen dies in anschaulicher Weise.

Das gastgebende Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg widmet seinen Beitrag zur Ausstellung der spannungsreichen, aber stets freundschaftlich bleibenden Beziehung Carl Hansers und seines Nachfolgers Michael Krüger zu den beiden Herausgebern der Literaturzeitschrift "Akzente", Walter Höllerer und Hans Bender. Auch in dieser Korrespondenz werden unterschiedliche Interessen deutlich, die Hanser jedoch in souveräner Haltung immer wieder so zu verbinden verstand, dass die Zeitschrift weiterhin im Carl Hanser Ver lag verlegt werden konnte: "Bei aller Anerkennung Ihrer Mühe und Arbeit […] muss ich mir die Anteilnahme an der Verwirklichung vorbehalten, die für jeden Verleger eine Selbstverständlichkeit ist" schreibt Carl Hanser an Walter Höllerer, der nur die "schärfsten ästhetisch-kritischen Grundsätze" gelten ließ. Michael Krüger, heutiger Herausgeber der "Akzente" und Leiter des Verlags, setzt diese Tradition fort, was sich in den Worten seines langjährigen Lektors Fritz Arnold spiegelt: "Sein Enthusiasmus hat uns alle mitgerissen und Dr. Hanser, den Patriarchen, verblüfft."

So wird zum Schluss der Ausstellung nochmals deutlich, was Thedel von Wallmoden, Leiter des Wallstein Verlags, in seinem vielbeachteten Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung formulierte: "Verlagsgeschichte ist immer auch Geschichte der Entstehung von Literatur, ist auch die Geschichte ihres Verstehens, die Geschichte des Umgangs mit Literatur und natürlich auch des Umgangs mit dem, der schreibt." Wallmoden schloss mit einem Zitat Samuel Fischers: "Dem Publikum Werte aufzudrängen, die es nicht will, ist die wichtigste und schönste Mission des Verlegers."

Barbara Baumann-Eisenack


Begleitprogramm zur Ausstellung
  • 07.12.06: Der Autor und sein Verleger, Burkhard Spinnen und Klaus Schöffling. Lesung und Gespräch. Moderation: Judith Heitkamp, Bayerischer Rundfunk, Abteilung Literaturkritik
  • 31.01.07: Der Autor und sein Verleger, Wilhelm Genazino und Michael Krüger

 

AsKI-Newsletter KULTUR lebendig 4/2006

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