Günter Grass-Haus, Lübeck : Grass, Kehlmann und die Welt des Barocks

Ori Gersht, Time After Time, Untitled 22, Fotografie, 2006, © Ori Gersht

„Gestern wird sein, was morgen gewesen ist. Unsere Geschichten von heute müssen sich nicht jetzt zugetragen haben."
(Günter Grass)

„Der Krieg war bisher nicht zu uns gekommen."
(Daniel Kehlmann)

Ist tatsächlich vergangen, was vor Jahrhunderten geschah? Berühren uns Themen, mit denen sich Künstler und Autoren vor langer Zeit beschäftigt haben, heute nicht mehr? Das Günter Grass-Haus lässt die Welt des Barocks aufleben und fragt, was die Probleme und Gedanken von damals aktuell für uns bedeuten können. Die Ausstellung „Grass, Kehlmann und die Welt des Barocks" wagt einen Ritt durch die Jahrhunderte und führt die Besucher vom Dreißigjährigen Krieg, in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und weiter bis heute – in die Zeit des syrischen Bürgerkriegs.

Im Zentrum stehen die Erzählung „Das Treffen in Telgte" von Günter Grass aus dem Jahr 1979 und der 2017 erschienene Roman „Tyll" von Daniel Kehlmann. Beide Autoren blicken in ihren Werken zurück in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts, als in Europa ein verheerender Kampf um Glaube und Macht geführt wird. Günter Grass lässt Barockdichter wie Andreas Gryphius oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen im Jahr 1647 in einem kleinen Ort nahe Osnabrück zusammenkommen. Sie diskutieren, lesen, streiten, beklagen die Schrecken des Krieges – zugleich wird geschlemmt, gezecht und geliebt. Das fiktive Dichtertreffen spiegelt Themen und Mitglieder der Gruppe 47. Dieser Kreis von Autoren und Autorinnen, Kritikern und Verlegern, zu dem auch Grass zählte, prägte das literarische Leben in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich. Wie bereits 300 Jahre zuvor sehnte man sich nach Frieden und kulturellem Aufbruch. Wichtigste Aufgabe war – neben der Pflege der deutschen Sprache – die Förderung des kulturellen Austauschs über territoriale und religiöse Grenzen hinweg.

In Daniel Kehlmanns Roman „Tyll" zieht der bekannte Narr, Schausteller und Provokateur Tyll Ulenspiegel durch das vom Dreißigjährigen Krieg verwüstete Land. Er begegnet Figuren wie Friedrich V. von der Pfalz – dem exilierten „Winterkönig" von Böhmen, dem melancholischen Henker Tilman oder dem sprechenden Esel Origenes. Kehlmann beschwört ein schrecklich-schönes Welttheater, in dem das Leben eine Bühne ist, auf der jeder nur seine Rolle spielt – und das unserer heutigen Welt nicht unähnlich ist.


Günter Grass-Haus, Lübeck
Grass, Kehlmann und die Welt des Barocks
bis 3. Februar 2020
https://grass-haus.de/

 


AsKI KULTUR lebendig 2/2019

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