Goethe-Museum Düsseldorf: Faust-Labor. Goethes Forschung und sein ‘Faust‘

Faust-Labor, Biologie, © Goethe-Museum DüsseldorfDie Aktualität der Faust-Dichtung
Im November 2018 geht eine Meldung über einen Tabubruch durch die Presse, die aufschrecken lässt: In China sollen die ersten genmanipulierten Babys der Welt geboren worden sein.

Zum Einsatz sei das noch sehr junge Verfahren „Crispr/Cas9", die sogenannte „Genschere" gekommen. Im Juli 2019 folgt die Nachricht, die Regierung Japans erlaube den Forschern der Universität Tokio, Mischwesen aus menschlichen und tierischen Zellen heranzuzüchten. Ziel sei es, für den Menschen Ersatzorgane herzustellen.

Tesla-Chef Elon Musk und andere Investoren arbeiten an Chips, die direkt ins Gehirn gepflanzt werden sollen. Gehirnströme werden als Datenströme gesehen, eine kommerzielle Nutzung mit eingeschlossen. Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde. Können wir nur mithalten, wenn es Updates für unser Gehirn gibt? Ab welchem Zeitpunkt der Entwicklung von KI sind wir Menschen – getreu Goethes „Zauberlehrling"-Ballade – dann lediglich die „Zauberlehrlinge" und nicht mehr die „Hexenmeister"? Was ist künstlich, was ist echt?

Diese Fragen führen mitten hinein ins „Faust-Labor"! Das im März 2019 eröffnete „Faust-Labor" ist der erste Raum der sich in Etappen entwickelnden neuen Dauerausstellung im Goethe-Museum Düsseldorf. Von den Zauberbüchern in der „Hexenküche", der modernen Magie im „Menschenstoff"-Labor bis hin zu den Stationen „Ein schöner Mann" und „Goethe im Labor der Natur" werden die Besucherinnen und Besucher angeregt, Goethes Forschung und sein Hauptwerk „Faust" im Hinblick auf Themen der Gegenwart neu zu lesen. Die Absicht ist es, mit dem „Faust-Labor" zum ersten Mal im Goethe-Museum einen partizipativen Raum zu schaffen, der sich in der Zusammenarbeit mit einzelnen Bürgern, Schulen, Universitäten und kulturellen Institutionen entwickelt.

Was ist das Lebendige?
Im Zentrum der Ausstellung steht der grundlegende Wunsch Fausts: „Daß ich erkenne, was die Welt/ Im Innersten zusammenhält". Das reine Bücherwissen hat er satt. Faust möchte die „Wirkenskraft" der Natur erkennen, die „Quellen alles Lebens", kurz, die inneren Gesetzmäßigkeiten der Welt. Im „Faust-Labor" wird der Forscher Goethe zum Wegweiser seiner Faust-Figur bei der Suche nach diesen Naturkräften. Goethe gehe „genetisch" vor, erbaue den Menschen aus den Materialien des ganzen Naturgebäudes – charakterisiert Friedrich von Schiller die Forschungsart seines Dichterfreundes. Bei dem Wort „genetisch" dachte Schiller nicht an Gene. Tatsächlich kommt dieser Begriff von Goethe selbst. Er meinte damit die Fähigkeit der Pflanzen zu entstehen, d.h. zu blühen und Blätter hervorzubringen. Die Biologen des 20. Jahrhunderts kannten die Texte Goethes und leiteten den Begriff „Gen" von dem Goetheschen Adjektiv „genetisch" ab.

Dynamische Naturbetrachtung
Für Goethe war der Mensch selbst der genaueste „physikalische Apparat" zur Erkenntnis, insofern er sich seiner gesunden Sinne bediene. Goethe gebraucht sie dazu, überall die Prozesshaftigkeit in der Natur zu sehen. Es ist eine dynamische Naturbetrachtung, die vermeidet, einen Zustand als fest und gegeben anzusehen; stets nimmt sie das Entstehen und Vergehen in den Blick. Dazu wird beispielhaft Goethes geologische Erforschung des Luisenburg-Felsenlabyrinths im Fichtelgebirge ausgestellt. Ein Schema zeigt, wie sich Goethe die verschiedenen Verwitterungs- und Erosionsformen der Felsen vorstellte.

Gleichmäßig fortschreitende Entwicklung ist auch für Goethes anatomische Forschung maßgebend. Den durch Goethe berühmt gewordenen Zwischenkieferknochen können die Besucherinnen und Besucher anhand einer Augmented-Reality-Animation in der App entdecken. Nachdem man sich mit der Besonderheit von Goethes Entdeckung bekannt gemacht hat, bleibt die Frage zurück: Was unterscheidet den Menschen vom Tier?

Homunculus und moderne Magie
Diese Frage führt zu den Genforschern zurück – und zu „Homunculus". Er ist das Stichwort, wenn wir an die künstliche Erschaffung eines Menschen im „Faust II" denken. Diese Homunculus-Figur steht in der Ausstellung symbolisch für das ambivalente Verhältnis von natürlichem Werden und künstlichem „Gemacht-Werden". Ganz aktuell erscheint uns heute ein Buch von Goethes Arzt, Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), mit dem Titel: „Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern."

Paul Struck (geb. 1928), Klassische Walpurgisnacht, Acryl, Foto: (1) © Goethe-Museum Düsseldorf

Können wir wie Faust in der Szene „Hexenküche" (die Goethe interessanterweise in seinem „Verjüngungsland" Italien, genauer gesagt in Rom, dichtete) einen Verjüngungstrank nehmen, um länger zu leben? Mit den Möglichkeiten der heutigen Gentechnik eröffnet sich eine biotechnische Jungbrunnen-Perspektive, die Faust sicher gefallen hätte.

Partizipation und Vermittlung: Werden Sie Teil des Labors!
Anlehnend an Goethes Vorstellung einer evolutionären Entwicklung der Natur wird das „Faust-Labor" partizipativ und stufenweise entwickelt. Stufe 1, eröffnet am 22. März 2019, bildete die Grundlage. Stufe 2, in Kooperation mit Studenten der Biotechnologie entwickelt, wurde gezeigt bis Ende September. Ab Oktober werden im „Faust-Labor" die Ergebnisse dieser Kooperation zu sehen sein, sowie die ständig stattfindenden Verbesserungen und Ergänzungen, die aufgrund der Besucheranregungen erfolgen. Aus allen Stufen werden einzelne Texte, Exponate, Vermittlungsideen in die Gestaltung des gesamten Labors mitgenommen.

Bevor die Gestaltung des Ausstellungsraums abgeschlossen sein wird, werden die zukünftigen Besucherinnen und Besucher in den Umbauprozess mit eingebunden. Am 12. November 2019 beginnt eine Reihe von Ausstellungsworkshops, bei denen der Kurator und Autor dieses Beitrages gemeinsam mit allen Interessierten das Labor weiterentwickeln wird (Termine s. Website des Museums). Analoge Methoden (Fragebögen) und digitale Plattformen (Twitter, Instagram, Facebook) werden genutzt, um Besuchermeinungen einzuholen und die Inhalte digital zu kuratieren. Das umfangreiche Vermittlungs- und Bildungsprogramm zum „Faust-Labor" beinhaltet regelmäßige Führungen, Workshops für Groß und Klein („Das Faust-Labor für kleine Forscher") und digitale Schnitzeljagden sowie Filme auf der neuen App des Goethe-Museums. Mit der Entwicklung des neuen Ausstellungsraums ist das Goethe-Museum Düsseldorf Teil der sogenannten „Kulturkooperation Düsseldorf", gefördert von der Beis­heim Stiftung.

Damian Mallepree
Wissenschaftlicher Mitarbeiter,
digitale Vermittlung und Kommunikation
Goethe-Museum Düsseldorf


Goethe-Museum Düsseldorf
„Faust-Labor" als Teil der neuen Dauerausstellung
Entwicklungszeit:
22. März 2019 bis September 2020
www.goethe-museum.de
Twitter/Instagram/Facebook: @goethemuseum

 

AsKI KULTUR lebendig 2/2019

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