Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: Macht, Fiktion und Raub. „Das Linzer Museum soll nur das beste enthalten"

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Arbeit am Original; DKA, NL Posse, Hans, I,B-2: Hans Posse, 1. Reisetagebuch, Seiten 0014 und 0015, Einträge vom 23. Juli 1939 in München, © Annette Kradisch

Das Deutsche Kunstarchiv (DKA) im Germanischen Nationalmuseum verwahrt im Teilnachlass von Hans Posse (1879–1942) fünf Reisetagebücher (1939–1942), die dieser als Sonderbeauftragter Adolf Hitlers anlegte. Ein von 2017 bis 2020 durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste gefördertes Projekt hat zum Ziel diese Quellen in Form einer digitalen Edition der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen.

Hans Posse und der "Sonderauftrag Linz"

Der Kunsthistoriker Hans Posse leitete von 1910 bis zu seinem Tod im Dezember 1942 die Dresdner Gemäldegalerie. Ab Juli 1939 war er zudem Sonderbeauftragter Adolf Hitlers: Als Kopf des „Sonderauftrags Linz" stand Posse einem Kreis von Fachleuten vor. Er war zuständig für die Vorbereitung und Umsetzung eines Verteilungsprogramms von NS-Raubkunst auf „ostmärkische" und weitere Museen im Deutschen Reich sowie für den Aufbau einer Kunstsammlung für das „Führermuseum".

Adolf Hitler, der sich als großer Kunstfreund und -mäzen verstand, plante für Linz, wo er seine Jugend verbracht hatte, einen repräsentativen Museumsbau. Dieser war Teil einer städtebaulichen Umstrukturierung, die Linz als Industrie- und Kulturzentrum etablieren sollte. Den Grundstock des Museumsbestandes bildeten Objekte aus Hitlers eigener Kunstsammlung. Diese Auswahl, die sich vorwiegend aus Werken deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts zusammensetzte, sollte zunächst durch Altmeister-Gemälde ergänzt werden, um die seiner Ansicht nach in diesen Kunstwerken dargestellten nationalsozialistischen Ideale den Betrachtern vor Augen zu führen.

Für diese Aufgabe hatte Hitler einen geeigneten Fachmann gesucht und ihn auf Empfehlung des Kunsthändlers Karl Haberstock (1878–1956) in Hans Posse gefunden. Von diesem ließ er sich am 18. Juni 1938 durch die Dresdner Gemäldegalerie führen. Dort schätzte er besonders die von Posse maßgeblich neu gestaltete und erweiterte Sammlung deutscher Maler des 19. Jahrhunderts. Der Kunsthistoriker war kurz zuvor mit Wirkung zu seinem 60. Geburtstag wegen (museums-)politischer Rangeleien in den vorzeitigen Ruhestand gedrängt worden, doch wurde er nun von Adolf Hitler persönlich rehabilitiert.

unbekannter Fotograf: Besuch Adolf Hitlers in der Dresdner Gemäldegalerie am 18. Juni 1938; aus DKA, NL Posse, Hans, I,B-1: Hans Posse, Diensttagebuch, © Annette Kradisch

Das geplante Linzer Museum sollte neben einer Gemäldegalerie auch Abteilungen zu Grafik, Skulptur und Kunsthandwerk, ein Münz- und Waffenkabinett sowie eine Fachbibliothek beherbergen. Posse wählte in seinen knapp dreieinhalb Jahren Tätigkeit für Hitler rund 2.000 bis 2.500 Objekte für das „Führermuseum" aus. Die ca. 1.100 Gemälde, die in 22 Fotoalben festgehalten wurden, stammten sowohl aus beschlagnahmtem oder sichergestelltem Besitz als auch aus Ankäufen, die Posse selbst oder mithilfe von Agenten durchführte. Ein Teil der insgesamt 31 Alben zum Bestand des „Führermuseums" ist verschollen – die erhaltenen 19 wurden 2004 in der Studie „Hitlers Museum. Die Fotoalben ‚Gemäldegalerie Linz': Dokumente zum Führermuseum" der Projektmitarbeiterin Birgit Schwarz publiziert. Nach Posses Tod übernahm Hermann Voss (1884–1969) ab März 1943 die Leitung des „Sonderauftrags Linz". Aufgrund des Krieges musste die Realisierung des Museums- sowie die Fertigstellung des Verteilungsprojekts immer wieder aufgeschoben werden. Das Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Herrschaft bedeuteten auch das Ende dieser Vorhaben. Doch bis heute beschäftigt sich die diesbezügliche Forschung mit der Aufarbeitung der Vorgänge; bis heute ist der komplexe internationale Restitutionsprozess nicht abgeschlossen.

Die Reisetagebücher im Deutschen Kunstarchiv

Neben anderen Dokumenten aus seinem Nachlass verwahrt das DKA fünf Reisetagebücher Hans Posses, die seine Tätigkeit für den „Sonderauftrag Linz" dokumentieren. Die kleinformatigen Notizhefte machen Posses gesamte Aktivitäten in seiner Position als Sonderbeauftragter von Juli 1939 bis zu seinem Tod im Dezember 1942 nachvollziehbar. Zeitliche Lücken bestehen für die Zeiträume Juni bis August 1940 und Januar bis März 1941. Die entsprechenden Kladden sind nicht erhalten.

Die Hefte belegen vor allem Hans Posses diverse Kunstbeschaffungsreisen nach Österreich, Polen, in die Niederlande und die Schweiz, nach Frankreich sowie Italien, weshalb trotz ihres ausschließlich dienstlichen Charakters der Begriff „Reisetagebuch" eingeführt wurde. Hans Posse trug die Kladden stets bei sich; sie waren allein für seinen Gebrauch bestimmt. Ihre Lesbarkeit wird durch mehrere Faktoren erschwert: Posse fertigte seine Notizen vornehmlich stichwortartig mit vielen Hervorhebungen, Einschüben, Ausstreichungen und etlichen teils von ihm selbst gebildeten Abkürzungen an. Das Schriftbild ist oft fahrig. Die Eintragungen nahm Posse hauptsächlich mit Bleistift vor, der inzwischen leicht verwischt bzw. verblasst ist. Auch die gänzlich fehlenden thematischen Zusammenhänge machen die Notizen schwer verständlich.

Die kommentierte Online-Edition

In der Online-Edition werden die fünf Reisetagebücher als Forschungsgrundlage erschlossen und somit zugänglich sowie leichter rezipierbar gemacht. Die Kladden werden seitenweise bearbeitet und in eine digitale Anwendung, basierend auf der virtuellen Forschungsumgebung WissKI (Wissenschaftliche Kommunikationsinfrastruktur), eingepflegt.

In der Standard-Einzelseitenansicht wird die buchstabengetreue Transkription direkt neben dem Digitalisat der Originalseite gezeigt, sodass ein direkter Vergleich stattfinden kann.

Sprachkommentare lösen nicht gängige Abkürzungen auf und erklären nicht mehr gebräuchliche oder missverständliche Begriffe. Sachkommentare dienen vor allem der nötigen Kontextualisierung zum Verständnis der Notizen. Annotiert werden Personen, Orte, Körperschaften und Kunstwerke über Verlinkung auf Datensätze, die jeweils vertiefende Informationen sowie Rückverweise auf die betreffenden Seiten der Reisetagebücher enthalten. So bietet die Edition den Nutzern diverse Zugriffsmöglichkeiten auf die Inhalte der Kladden, die eine zielgerichtete Recherche nach bestimmten Sachverhalten erleichtern.

Relevanz für die Forschung zum NS-Kunstraub

Die Reisetagebücher sind eine bedeutende Quelle zu Kunstraub und Museumspolitik des NS-Regimes sowie für die Provenienzforschung. Sie machen Hans Posses Netzwerk aus Kontakten zu NS-Organisationen, Kunsthändlern und -agenten sowie Privatsammlern sichtbar. Regelmäßig besuchte Posse Depots beschlagnahmter Bestände, begutachtete und bewertete Kunstwerke, die dabei meist konkret benannt und zum Teil mit Preisen und Ankaufs- bzw. Übernahmebedingungen gelistet werden. Der Prozess der gezielten Kunstauswahl sowie Posses Erwerbsstrategien sind somit rekonstruierbar. In den Reisetagebüchern hielt Posse zudem Informationen fest, die er für seine mündlichen und schriftlichen Berichte sowie für seine konzeptionelle und operative Arbeit im „Sonderauftrag Linz" benötigte. Damit zeigen die Reisetagebücher die gesamte Bandbreite von Hans Posses Tätigkeit als Chefeinkäufer für das „Führermuseum" und Hitlers wichtigster Kunstraubmanager.

https://editionhansposse.gnm.de

Juliane Hamisch
wissenschaftliche Mitarbeiterin/Doktorandin
Frederike Uhl
wissenschaftliche Hilfskraft im Posse-Editions-Projekt

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2020

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