Gerhard-Marcks-Haus, Bremen: Elisabeth Frink - Man is an Animal

 Elisabeth Frink, Goggle Head, 1969, Bronze, Foto: The Ingram Collection of Modern British Art

Die Kunstgeschichte der Moderne hat mehr mit Kulturpolitik zu tun als gemeinhin angenommen. Das betrifft vor allem das Prädikat „international bekannt".

 Im 20. Jahrhundert konnten Bildhauer und Bildhauerinnen diesen Status eigentlich nur erreichen, wenn ihr Vaterland sich mit ihnen schmückte – und die Transporte und Zollabfertigung regelte. Und da jedes Land im Ausland besser dastehen wollte als die anderen, beflügelte dieser Mechanismus die Idee des ästhetischen Fortschritts. Demokratische Staaten nutzten progressive Kunst, um politische Freiheit zu symbolisieren. England, das in diesem Konkurrenzkampf den größten Aufwand betrieb, stand und steht skulpturhistorisch glänzend da.

In dieser vom Wettbewerb getriebenen Fortschrittsgeschichte war für gegenständliche Skulptur kein Platz. Sie schien rückwärtsgewandt. Verstärkt wurde diese Vorstellung durch die Existenz der sozialistischen Staaten und ihrer öffentlich zur Schau getragenen Vorliebe für „Realismus". Damit fehlt ein kunsthistorisch wichtiger Strang in der Kunstgeschichte nach 1945. Die moderne figürliche Bildhauerei wird immer nur im nationalen Rahmen wahrgenommen.

 Elisabeth Frink, Riace III, 1988, Bronze, Foto: The Trustees of the Janet Jammet Life Interest Trust

Das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen und das Museum Beelden aan Zee in Den Haag zeigen gemeinsam die Ausstellung „Man is an Animal" mit Werken der englischen Bildhauerin Elisabeth Frink (1930–1993). Ihr Œuvre genießt eine große Popularität in ihrem Heimatland, auf dem Kontinent ist es hingegen nahezu unbekannt. Frink ist weniger die Anomalie in einem Umfeld „hipper" englischer Bildhauerei als vielmehr eine der europäischen Bildhauerinnen ihrer Generation, die sich bewusst für die Figur entschieden und dabei zu einmaligen Lösungen fanden. Das wollen wir an einer Auswahl ihrer Hauptwerke zeigen.

Während ein Bild als Fenster mit einem Rahmen den Blick einengt und lenkt, wird eine Skulptur mit einem sich frei bewegenden Auge konfrontiert. Von dieser Tatsache ausgehend, die oft als Defizit der Bildhauerei wahrgenommen wird, wurde in der Moderne die Idee einer möglichst klaren räumlichen Komposition entwickelt. Frink löste sich von dieser einheitlichen Formidee. Übersicht beinhaltet Distanz, während ihre Werke umgekehrt in die Welt hineintreten. Sie besitzen Wucht. Die Mittel, mit denen sie das erreichte, waren Masse, Volumen, plastische Kontraste und Figur. Das berühmte Dilemma Alberto Giacomettis (1901–1966), dass eine Plastik in der Begegnung immer zurückzuweichen scheint, war zu lösen, indem sie über mehrere „Register" gleichzeitig den Betrachter ansprach und sich so wortwörtlich in sein Geschichtsfeld hineindrängte.

Elisabeth Frink, Dying King, 1963, Bronze, Tate: Purchased with assistance from the Art Found 1998, Tate Images

Frinks Figuren sind nicht naturalistisch und doch wirken sie „lebendig", was sich aus der Verdichtung von Arbeitsweise und Motiven ergibt. Dieser Aspekt erklärt ihre nationale Popularität und muss als die primäre Qualität ihres Werks gewürdigt werden. Ihre Arbeiten sind bemerkenswert distanzlos. Sie sollen ihre Betrachter sofort ansprechen, und zwar nicht bloß intellektuell, sondern spielen auf seine gesamte Sensibilität, Neugier und Vorsicht an. Körpererfahrung und Tastsinn des Besuchers sind daher mindestens so wichtig wie ein Wissen über die kunsthistorischen Zitate, die sie in ihren Skulpturen verarbeitete.

Elisabeth Frink gehört zu den Bildhauer/innen, die die dem Medium eigene Qualität und dessen Möglichkeiten untersuchten (z.B. der instabile „Running Man"). Die Plastik musste sich als Körper im Raum behaupten – und nicht als Bild. Es ist genau diese Qualität, die in einer von flachen Abbildungen bestimmten Kunstwelt droht vergessen zu werden.

Dr. Arie Hartog | Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses

AsKI kultur leben 1/2020

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