Fritz Eberhard - Politiker und Publizist: Ein Repräsentant der Remigration im Nachkriegsdeutschland

Presseausweis für Fritz Eberhard, Dezember 1946, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V., Nachlass Fritz Eberhard Nr. 225 B (Rückseite)

Zur AsKI-Jahresausstellung 2000 "Rückkehr in die Fremde? Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945 bis 1955"

Fritz Eberhard gehörte zu den führenden Köpfen der ab 1945 nach Deutschland zurückgekehrten Politiker und Publizisten, die sich für den Wiederaufbau der Demokratie im zerstörten Land einsetzten. Aus diesem Grund nimmt er in der AsKI-Jahresausstellung, erarbeitet von der Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main - Potsdam-Babelsberg in Kooperation mit der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin und dem Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. - AsKI - Bonn einen hervorgehobenen Platz ein. Da in Ausstellung und Begleitband sein Wirken nur knapp gewürdigt werden kann, soll im Folgenden etwas näher auf seinen Lebensweg in Kaiserreich und Weimarer Republik, in Drittem Reich und Emigration, in Besatzungszeit und Bundesrepublik eingegangen werden.

Fritz Eberhard, als Helmut von Rauschenplat am 2. Oktober 1896 in Dresden geboren, schloss sich nach seinem Studium der Staatswissenschaften, das er für drei Jahre Kriegsdienst während des Ersten Weltkriegs unterbrechen musste, und anschließender Promotion 1921 dem Internationalen Jugend-Bund - einem linken Flügel der bündischen Jugendbewegung - an, war von 1922 bis 1924 Mitglied der SPD und Funktionär der Jungsozialisten. Von 1924 an arbeitete er als Lehrer für Wirtschaftspolitik, wurde 1926 Ortsgruppenvorsitzender des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK), der sich an "elitären antidemokratischen Führerschaftsprinzipien" und dem Ziel einer "Erziehungsdiktatur (...), die keiner Fremdkontrolle unterliegen dürfe" (Karl-Heinz Klär) orientierte, und war von 1932 bis zu deren Verbot durch die Nationalsozialisten im Jahr darauf Wirtschaftsredakteur der ISK-Zeitung "Der Funke".

Presseausweis für Fritz Eberhard, Dezember 1946, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V., Nachlass Fritz Eberhard Nr. 225 B (Vorderseite)
Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und ein Haftbefehl gegen ihn zwangen v. Rauschenplat in die Illegalität, in der er unter vielen anderen auch seinen späteren Namen Fritz Eberhard als Deckname benutzte. Er wurde 1934 Reichsleiter des ISK, baute das konspirative politische Netzwerk einer unabhängigen sozialistischen Gewerkschaft auf, veranstaltete Schulungskurse und sorgte für die Verteilung heimlich aus dem Ausland eingeschmuggelter Schriften. Trotzdem fand er noch Zeit unter einem weiteren Pseudonym, Fritz Bergmann, von Sommer 1933 bis Ende 1936 mehr als 160 Artikel für die "Stuttgarter Sonntagszeitung" zu schreiben. Als die Zeitung 1937 verboten wurde und die Gestapo den ISK-Widerstand zu zerschlagen begann, floh Eberhard über Zürich und Paris nach London.

In der britischen Hauptstadt trennte sich Eberhard von der Exil-ISK, da die Organisation direkte Widerstandsaktionen im Reich ablehnte. Stattdessen suchte er den Kontakt zur Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien, in der sich Sozialdemokraten, Sozialisten und Gewerkschafter zu einer gemeinsamen Kampffront zusammengeschlossen hatten. In dieser Zeit erhielt Eberhard nicht nur die Chance, bei Sendungen des Deutschen Dienstes der BBC mitzuwirken, sondern er publizierte - noch unter seinem Ursprungsnamen - Streitschriften gegen das Dritte Reich, wie das gemeinsam mit Hilda Monte, seiner damaligen Lebensgefährtin, verfasste Buch "How to Conquer Hitler. A Plan of Economic and Moral Warfare on the Nazi Home Front" (London: 1940). Von 1940 bis 1942 betätigte sich Eberhard schließlich als Redakteur und Sprecher des "Senders der Europäischen Revolution", der auf Initiative von Mitgliedern der sozialistischen Gruppe "Neu Beginnen" zurückging. 

Obwohl Planung, Leitung und Überwachung in der Hand britischer Geheimdienstmitarbeiter lagen, gestanden diese ihren deutschen Redakteuren und Kommentatoren unter Leitung von Waldemar von Knoeringen einen großen politischen und journalistischen Freiraum zu. Neben Nachrichten, Kommentaren, Berichten und Analysen zur politischen, militärischen und sozialen Lage im Dritten Reich wurden in der Spätphase auch Aufrufe zum Widerstand mit detaillierten Anweisungen zu Sabotageakten ausgestrahlt. Die Sendungen propagierten nicht nur den Sturz Hitlers, sie setzten sich auch für ein geeintes Europa unter Führung der Arbeiterklasse ein. Der "Sender der europäischen Revolution" fiel zwar der veränderten britischen Deutschlandpolitik zum Opfer, die keinen Unterschied mehr zwischen Nazis und Deutschen zuließ, dennoch tolerierten die Briten weiterhin Eberhards propagandistisch-publizistische Tätigkeit, sowie die anderer Emigranten. Eberhard redigierte sogar die Rubrik "Wege zum neuen Deutschland" in der deutschsprachigen "Zeitung", die mit Unterstützung der britischen Regierung erschien. Hier publizierte er auch sein Plädoyer, dass die von ihm als "Retorte" bezeichnete Emigration die moralische Pflicht habe, "von den Möglichkeiten ruhigen Nachdenkens und Diskutierens zur Vorbereitung der Zukunft Gebrauch zu machen".

Eberhard gehörte zu den ersten Emigranten, die nach Deutschland zurückkehrten: Im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes sollte er über die soziale, politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland Informationen sammeln. Nicht nur sein Widerstand gegen das Dritte Reich machte ihn und andere für den Geheimdienst interessant, in den Emigrationsjahren hatte er zudem Vorstellungen für ein Nachkriegsdeutschland entwickelt, die zwischen dem Hoffen auf eine revolutionäre Situation und der resignierenden Feststellung schwankten, dass "die Chancen für den Beginn eines primitiven Wiederaufbaues geringer sein werden, als wir uns heute denken können". Anfang Mai 1945 kam Eberhard in Stuttgart an, traf jedoch nicht auf die Amerikaner als Besatzungsmacht, sondern zunächst auf die Franzosen, die über seinen Auftrag nicht unterrichtet waren. Er trat der wiedergegründeten SPD bei, für die er bei den ersten Landtagswahlen nach dem Krieg 1946 in das Stuttgarter Landesparlament gewählt wurde.

Noch vor seinem erneuten politischen Engagement hatte Eberhard begonnen sich neben seiner Berichterstattung für den amerikanischen Geheimdienst publizistisch zu betätigen: Zeitungen entsandten ihn als Korrespondenten zu den Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher nach Nürnberg, und Radio Stuttgart - inzwischen unter amerikanischer Leitung - engagierte ihn als "Programmberater". Aus der Radiostation wollte er "ein Instrument zur Umorientierung machen (um das Wort Umerziehung zu vermeiden)", wie er darlegte, und nutzte dafür die Reihen "Echo des Tages" und die "Radiowochenschauen", in denen er viele internationale Themen behandelte. 
Anstelle von Vorträgen zog er Diskussionen vor und steuerte Wochenkritiken und Kommentare bei - im deutschen Rundfunk bisher unbekannte Programmelemente. Die Art, wie er seine Vorstellungen umsetzte, ging auf die Erfahrungen der Exilzeit zurück, die er nun als Remigrant den in Deutschland verbliebenen Journalistenkollegen vermitteln wollte. Von den elitären undemokratischen Vorstellungen des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes zurzeit der Weimarer Republik hatte er sich abgewandt und vertrat nunmehr die während der Exilzeit in Großbritannien erlebten und in den sozialistischen Gruppierungen herausgearbeiteten Prinzipien der parlamentarischen Demokratie. Es "zeigt sich deutlich, dass er ebenso wie andere Remigranten in vielen Fällen eine in Deutschland bis 1945 unbekannte oder durch den Nationalsozialismus zerstörte politische Kultur im geistigen Gepäck mitbrachte und damit die überfälligen Modernisierungsprozesse förderte." (Irene Stuiber).

Fritz Eberhard als Vorsitzender des beratenden Komitees der deutschen Mitarbeiter von Radio Stuttgart im Gespräch mit Stuart L. Hannon, dem amerikanischen Leiter der Programmahteilung von Radio Stuttgart, März 1946, Foto: Südwestrundfunk, Historisches Archiv (Bestand Süddeutscher Rundfunk), Photoarchiv 3-2647

Nachdem die Amerikaner Eberhard zunächst sehr protegiert hatten, ließen sie ihn im Frühjahr 1946 fallen und ernannten ihn nicht - wie erwogen - zum deutschen Leiter von Radio Stuttgart. Formal wurden Abstimmungsprobleme innerhalb der amerikanischen Militärregierung dafür angegeben, verbunden mit dem Vorwurf, er stehe nicht loyal zum (neuen) amerikanischen Chef des Senders, was auf sein allzu selbständiges Auftreten hindeutet.

Eberhard widmete sich danach wieder mehr der Politik. Ab Anfang 1947 leitete er als Staatssekretär das Deutsche Büro für Friedensfragen - eine Art Vorläufer des späteren Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland - und wurde 1948 Mitglied des Parlamentarischen Rats, in dem es ihm gelang, das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz festschreiben zu lassen. Von September 1949 bis August 1958 amtierte er als Intendant des Süddeutschen Rundfunks, engagierte sich kompromisslos für die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Mediums gegen die Bevormundungsversuche der Politik, trat für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein und warnte vor Militarismus sowie Kommunismus; diese Sendungen lösten zahlreiche kontroverse Diskussionen aus. Von den Konservativen als "linker" Intendant angegriffen, bot auch seine Exil-Vergangenheit Zündstoff, vor allem einige Passagen aus dem Buch "How to Conquer Hitler". Von 1961 bis 1968 wirkte Eberhard als Direktor des Instituts für Publizistik an der Freien Universität Berlin, wo er noch das Aufbegehren der Studenten gegen die tradierten gesellschaftlichen Strukturen und Verhaltensweisen erlebte. Eberhard starb am 29. März 1982 in Berlin.

Dr. Ansgar Diller, Leiter des Historischen Archivs der ARD
im Deutschen Rundfunkarchiv
Frankfurt am Main - Potsdam-Babelsberg

Katalog : Rückkehr in die Fremde - Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945-1955

Begleitband zur Ausstellung:
Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main -Potsdam-Babelsberg / Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V., Bonn / Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin (Hrsg.)
Rückkehr in die Fremde? Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945-1955
VISTAS Verlag Berlin, 192 S., 289 Abb., ISBN: 3-89158-269-2, 48 DM

CD : Rückkehr in die Fremde - Remigranten und Rundfunk in Deutschland 1945-1955

CD zur Ausstellung:
17 Tondokumente zu Emigration und Remigration, 10 DM
Begleitband und CD sind im AsKI-Shop erhältlich.

Die AsKI-Jahresausstellung wird noch an folgenden Stationen gezeigt:
  • München, Bayerische Staatsbibliothek
    (7. November bis 16. Dezember 2000)

  • Frankfurt am Main, Die Deutsche Bibliothek/Deutsches Exilarchiv
    (18. Januar bis 24. Februar 2001)

  • Magdeburg, Landesfunkhaus des MDR
    (1. März bis 4. April 2001)

  • Dresden, Sächsischer Landtag, veranstaltet von der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek
    Dresden (9. April bis 11. Mai 2001)

  • Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek
    (16. Juni bis 28. Juli 2001)

  • Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek
    (23. August bis 6. Oktober 2001)

  • Lorsch, Museumszentrum am UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch
    (11. Januar bis 10. März 2002)

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