Deutsches Literaturarchiv Marbach : Narrating Africa. Eine Open-Space-Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne

‘Narrating Africa‘, Screenshots, Fotos: Martin Kuhn, DLA MarbachVon Friedrich Schiller bis Rémy Ngamije: Was ist „Afrika"?
Das Deutsche Literaturarchiv Marbach (DLA) gibt mit „Narrating Africa" einen hochinteressanten Einblick in seine Sammlungen und knüpft dabei an die gegenwärtige Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte an.

Seit 2019 arbeitet das DLA mit dem Projekt „Namibia. Fiktiv und faktisch" öffentlich und forschungsgestützt die Geschichte deutscher Namibia-Projektionen und Afrika-Phantasmen von der Zeit des Kaiserreichs bis in die Gegenwart auf. Wie wurde und wird „Afrika" erzählt? Welches Afrikabild finden wir in der deutschsprachigen Literatur der Kolonialzeit bis in die Gegenwart wieder? Welche Bilder und Stereotype, welche kolonialen und nationalen Ideologien bestimmen die Literatur und werden von ihr geprägt, verbreitet oder demontiert?

Unter dem Titel „Narrating Africa" wurden diese Fragen nun im Literaturmuseum der Moderne in einer Open-Space-Ausstellung mit Texten, Archivfunden, Lecture Performances und Gesprächen diskutiert. Aber wie geht man korrekt mit sensiblen Inhalten und Objekten dieser Art um? Gemeinsam! Wir haben zusammen mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, mit Schriftstellern und Schriftstellerinnen aus Belgien, Burkina Faso, Eritrea, Frankreich, Kongo, Mauritius, Namibia, Nigeria, Somalia, Togo, Uganda, Deutschland und der Schweiz in Kooperation mit verschiedenen Forschungs- und Sammlungseinrichtungen sowie Universitäten von #StepOne bis #StepThree zusammengearbeitet, um verschiedene Texte und Archivmaterialien plural zu diskutieren, die jeweils auf verschiedene Art und Weise, Afrika erzählen.

Für den ersten Schritt #StepOne von „Narrating Africa" haben wir selbst in den Beständen des DLA recherchiert und politisch, ethisch und künstlerisch fragwürdige Afrika-Erzählungen aus der deutschsprachigen Literaturgeschichte seit der Kolonialzeit in den Fokus gestellt. Die ausgestellten Texte reichen von Friedrich Schillers „Die Räuber" (1782) über Frieda von Bülows berühmten Kolonialroman „Tropenkoller" (1895) bis zu zeitgenössischen Texten wie Penda Dioufs „Pistes" (2018).

‘Narrating Africa‘ im Literaturmuseum der Moderne, Foto: Martin Kuhn, DLA Marbach

Im konkreten Ausstellungsraum des Literaturmuseums der Moderne haben wir versucht, den unterschiedlichen Motivationen, Perspektiven und Erfahrungen aller Kuratorinnen und Kuratoren durch ein einfaches, möglichst offenes und „flaches", also nicht-hierarchisches Gestaltungskonzept Platz zu geben, das theoretisch unendlich viele Revisionen und Umordnungen erlaubt. Das Konzept für diesen Open Space haben wir zusammen mit Studierenden der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart entwickelt: ein flacher Tisch, auf dem ein schriftlicher oder mündlicher, aufgezeichneter Text oder ein Objekt ausgestellt wurde, sowie Kommentarkarten, die dann von einem oder mehreren Kuratoren und Kuratorinnen geschrieben wurden. Pandemiebedingt sind darüber hinaus viele Videos entstanden, um „Narrating Africa" trotz des Museumslockdowns durch gefilmte Führungen und Kuratorenbeiträge – bis heute – digital zugänglich zu machen.

Für #StepTwo haben wir Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus Burkina Faso, Eritrea, Kongo, Mauritius, Namibia, Nigeria, Somalia, Togo und Uganda eingeladen und ihnen folgende Fragen gestellt: „What does 'Africa' mean to me?", „What is my favou­rite (literary) quotation regarding 'Africa'?", „Why is this quotation important to me?", „In my opinion, what function(s) does literature have?", „How has the 2020 pandemic affected me and the way that we interact with society and the world around us?" Hierbei wurde der Ausstellungsraum komplett neu eingerichtet und ein neuer Fokus auf die gegenwärtige afrikanische Literaturszene gesetzt. Die Ausstellung wanderte mit #StepTwo nach Namibia und war in Windhoek, Swakopmund und Tsumeb zu sehen. Da pandemiebedingt das für Juni 2020 geplante Literaturfestival in Marbach nicht stattfinden konnte, haben wir darum gebeten, die Texte, Videos und Klangkompositionen in Videos vorzustellen, um diese online zugänglich zu machen. Die im Zuge der virtuellen Eventserie „In Conversation with" (2021) aufgenommenen Auftritte, Diskussionen, Lesungen und Performances sind digital archiviert.

Literaturfestival ‘Narrating Africa, Narrating Namibia‘ in Windhoek, Namibia, 2022, Foto: Martin Kuhn, DLA Marbach

Einer der Schwerpunkte des Projekts "Narrating Africa" war unter anderem die Kooperation mit Einrichtungen aus Namibia wie der University of Namibia, dem Goethe-Institut und dem namibischen Literaturmagazin Doek! In #StepThree stellen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus Windhoek zeitgenössische namibische Literatur und Objekte vor. Dabei konnte im September 2022 das Literaturfestival „Narrating Africa, Narrating Namibia" in Windhoek verwirklicht werden. Vom 7. bis zum 9. September fanden an der University of Namibia und in der Namibia Scientific Society Workshops, Lesungen und Podiumsdiskussionen, u. a. Mit Hugh Ellis, Lauri Kubuitsile, Prince Kammaazengi Marenga, Mimi Mwiya, Chuma Nwokolo, George Seremba und Valerie Tagwira statt.

Das komplette Ausstellungs- und Forschungsprojekt ist vollständig dokumentiert auf literatursehen.com zu finden. Allen Unterstützern, vor allem dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, sei herzlich gedankt.

Mehr:
www.literatursehen.com/projekt/narrating-africa/

Martin Kuhn | Virtual Exhibition Curator,
Deutsches Literaturarchiv Marbach

AsKI kultur leben 2/2022

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