Deutsches Hygiene-Museum, Dresden: Tierisch beste Freunde. Über Haustiere und ihre Menschen

Blick in Saal 1, Foto: Oliver Killig

Über ein Drittel der deutschen Haushalte wird nicht von Menschen allein bewohnt – durch sie streifen Katzen, toben Hunde und flitzen Meerschweinchen. Ihre Anwesenheit ist für ihre zweibeinigen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner oft von einem nicht zu überschätzenden emotionalen Wert.

Dieser zeichnet sich in monetären Ausgaben ebenso deutlich ab wie in den tierreichen Chroniken sozialer Netzwerke, überträgt sich jedoch selten auf andere Tiere wie Kühe oder Schweine. Im Mittelpunkt der Sonderausstellung des Deutschen Hygiene-Museums steht die Frage, was das spannungsreiche Haustier-Mensch-Verhältnis über den Menschen aussagt und umgekehrt: welche Aussagen überhaupt zum Wesen und zur Wahrnehmung der Tiere getroffen werden können. Menschen haben sich ihre „tierisch besten Freunde" so geschaffen, wie sie sie brauchen, mitunter als abhängige Wesen. Der Umgang mit ihnen macht widersprüchliche menschliche Sehnsüchte und Ängste sichtbar.

Das Leid, das Leben und die Geschichte der Tiere erregten in den letzten Jahren immer wieder und immer mehr Aufmerksamkeit – sei es durch Debatten zu Tierschutz und Tierrecht, durch den in den Geisteswissenschaften ausgerufenen Animal-Turn, oder durch Film, Literatur und Kunst. Tiere faszinieren Menschen von jeher und zwar nicht zuletzt, weil sie – gewissermaßen als ungezogene Verwandte – eine Auseinandersetzung mit der eigenen Natur forcieren. In den Fokus rückten bislang jedoch weitaus häufiger Nutz- und Wildtiere, als die von vielen Menschen umhegten und ihnen wohl vertrauten pets. Dabei sind gerade diese bei einer Betrachtung von Tier-Mensch-Beziehungen vielversprechend: Keine andere Gruppe von Tieren hat sich schließlich so gut wie Heimtiere auf das menschliche Verhalten eingestellt und keine andere wurde durch Zähmung und Zucht so sehr an menschliche Bedürfnisse angepasst.

DBildnis eines Mädchens mit Schäferhund, Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresdenie interdisziplinäre Ausstellung ist in drei Abteilungen gegliedert: „Die Entstehung des Haustiers", „Der Mensch und sein Haustier" und „Das Haustier und sein Mensch". Sie beleuchten im ersten Schritt die Geschichte der Emotionalisierung, Zucht und Kommerzialisierung der Heimtiere im 19. Jahrhundert, im zweiten die sozialen Funktionen von Heimtieren für Menschen und im dritten die moralischen Konflikte der Heimtier-Mensch-Beziehung aus der Perspektive der Tiere. Es sind Exponate unterschiedlicher Gattungen, die diese Inhalte in sich und durch ihre Anordnung zum Ausdruck bringen, wie auch virtuell erzeugte Bildwelten. Die materiellen Objekte stammen aus zoologischen Sammlungen, Zuchtvereinen, aus Museen für Kunst, Gewerbe und Geschichte, Galerien zeitgenössischer Kunst, Firmen, gemeinnützigen Institutionen und privaten Leihgebern. In der Ausstellung werden sie von der Szenografie des Ausstellungsbüros „chezweitz" getragen. „chezweitz" schuf dazu Raumgefüge, die eine „doppelte Optik" anbieten: Ihre starke Farbigkeit und ihre verspielten Formen transportieren auf den ersten Blick die positiven Erlebnisse und Gefühle, die wohl die meisten Menschen mit Heimtieren verbinden und erweisen sich auf den zweiten als anschauliche Verdichtungen historischer und sozialer Zusammenhänge.

Die Entstehung des Haustiers

Im ersten Saal der Ausstellung empfängt die Besucherinnen und Besucher eine raumhohe Installation mit über sechzig Tierpräparaten aus naturkundlichen Museen in Berlin, Halle und Münster auf einem orientalisch anmutenden Teppich. Die vielfältige Versammlung, von dem Papillon-Spaniel bis hin zur Alligatorschildkröte, stellt nicht nur die populärsten, sondern auch die exotischsten Heimtiere vor und deutet die Flexibilität menschlicher Kategorisierungen an: Nahezu jedes Tier kann allein zur Freude eines Menschen gehalten und damit zum Heimtier, oder umgangssprachlich: zum Haustier werden.

Der den Raumeindruck bestimmende Teppich macht klar, wo und wann der erste, historische Teil der Ausstellung ansetzt: bei der scharenweisen Einkehr der Tiere in die Salons und Wohnzimmer des 19. Jahrhunderts. Im gleichen Maße wie Nutz- und Arbeitstiere im Zuge der Industrialisierung aus dem Blickfeld der Menschen gerieten, wurden sie als Haustiere in die Wohnräume der bürgerlichen Familien integriert, die ihren noch neuen gefühlsbetonten Umgang auch auf tierische Mitglieder ausweiteten. Der aus glatten weißen Flächen zusammengesetzte Vitrinenkörper nimmt diesem Prozess die Selbstverständlichkeit, indem er die Tiere gleichsam in der Wärme der Wohnwelt gefrieren lässt.

In ihrem Rücken wird den Besuchenden der Blick auf die beiden Unterabteilungen des Saals eröffnet. Beide bilden in der Entwicklung der Haustierhaltung zum gesamtgesellschaftlichen Phänomen zwei Seiten einer Medaille: „Das gezüchtete Tier" und „Der tierliebende Mensch". Im 19. Jahrhundert wurde die Tierzucht systematisiert. Mit dem „Kennel Club" gründete sich in London 1873 der weltweit erste Hundezuchtverein. Es waren die Publikationen der Züchterinnen und Züchter, die die Merkmale für die immer größer werdende Anzahl neuer Hunderassen durch sprachliche Beschreibungen und grafische Bilder des idealen Hundekörpers und -wesens festlegten. Zucht- und Kunsthandwerk fallen in illustrierten Handbüchern wie in skulpturalen Wettbewerbs-Trophäen zusammen. Sie verkörpern die Auffassung von Tieren als ästhetischen Objekten von hohem finanziellem Wert.

Ihnen stehen in der Ausstellung Bilder aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert gegenüber, die Haustiere in einer anderen Beziehung zu Menschen zeigen: Hunde wie Ziervögel als Gefährten von Personen verschiedenen gesellschaftlichen Standes, die so neben ihren Menschen porträtiert sind, dass Vertrauen und Empathie zwischen ihnen zum Ausdruck kommen. In körperlicher Nähe, auf Augenhöhe oder auf einem eigenen Stuhl platziert, sind Tiere in den ausgestellten Fotos mehr als ein Attribut. Die gewandelte Tier-Mensch-Beziehung bezeugen ferner historische Dokumente und Veröffentlichungen: Schriften von René Descartes und Jeremy Bentham, die mit ihrem Verständnis vom Tier als automatisch reagierender Maschine einerseits und als leidensfähigem Wesen andererseits als Antipoden wirkmächtig wurden, rahmen Sentimentalitäts-Bekundungen in Schriften der ersten Tierschutzvereine und in illustrierten Kinderbüchern. Ebenso flankieren sie Zeichnungen aus den Beständen der Cambridge University Library, die Charles Darwin von Hunden und Katzen anfertigen ließ, um die Ergebnisse seiner Studie „The Expression of Emotions in Man and Animals" zu untermauern, die das Bewusstsein für die Verwandtschaft von Mensch und Tier weiter stärkte.

Der Mensch und sein Haustier

Diese wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklungen beförderten die gefühlsbetonte Beziehung zwischen Menschen und ihren Heimtieren entscheidend. Den Eigenschaften dieser neuen Beziehung widmet sich die Ausstellung in der zweiten Abteilung „Der Mensch und sein Haustier". Die Motivation, die Menschen zu Tieren treibt, hängt eng mit den sozialen Funktionen zusammen, die sie übernehmen. Jene Aufgaben können einander widersprechen und dennoch in ein und demselben Verhältnis erkennbar sein. Sechs wesentliche Paradoxien werden in der Ausstellung hervorgehoben: Natur/Kultur, Verstehen/Missverstehen, Identifizieren/Abgrenzen, Treue/Verantwortung, Nähe/Ferne sowie Unterwerfung/Unberechenbarkeit. Trennwände in verschiedenen, satten Farben grenzen sie gegeneinander ab und weisen Durchgänge in Form von Tiersilhouetten auf. Als Schattenrisse, die sich auch in der Typografie der Schau wiederfinden, nehmen sie ein zentrales Kennzeichen der Haustier-Mensch-Beziehung auf: die Nutzung des Haustiers als Projektionsfläche für Ängste und Wünsche.

Axel Arens, Erich Kästner mit Katze, 1960er-Jahre, © Deutsches Literaturarchiv Marbach, Foto: Axel Arens

Zwischen den Trennwänden werden Gegensätze durch Konfrontationen von Objekten, Filmen und Werken der bildenden Kunst im Raum erfahrbar: Vogelkäfige aus dem Völkerkundemuseum Wien etwa, deren Aufbau an Palastarchitektur erinnert, stehen Aquarien aus der Sammlung des MAK und des Museums Kunstpalast Düsseldorf gegenüber, deren Gestaltung Goldfische und Guppys auf den Meeresboden versetzt; Auszüge aus Lassie Come Home von 1943 kontrastieren mit großformatigen Fotografien, die der japanischen Künstler Kuraya Takashi von Vermisstenmeldungen schuf, mit welchen Menschen nach ihren entlaufenen Heimtieren fahnden. Die Abteilung schließt mit dem Gegensatzpaar von Unterwerfung und Unberechenbarkeit, das den Bogen von der Achtung des freien Willens zur Angst vor Kontrollverlust sowie von Dressur zu Missbrauch schlägt. Diese letzte Zuspitzung, die in den Stichen nach William Hogarths „Four Stages of Cruelty" bildhaft wird, leitet über zur dritten Abteilung, „Das Haustier und sein Mensch", in der die Ausstellung einen Perspektivwechsel vollzieht.

Das Haustier und sein Mensch

SKuraya Takashi, Pets: Kanae, Foto: Kuraya Takashieit der Antike wurde die Einfühlung in ein Gegenüber immer wieder als Grundlage aller Annäherung und allen Mitgefühls geschätzt. In der Ausstellung bietet sie einen Übergang zu ethischen Themen, die in dieser letzten Abteilung anhand von dokumentarischem Material und Arbeiten der zeitgenössischen Kunst behandelt werden.

Besuchende können sich zunächst buchstäblich in Haustiere hineinversetzen. Hierzu stehen ein auf menschlichen Maßstab vergrößerter Vogelkäfig und ein Aquarium bereit, die von „schnellebuntebilder", einem Studio für Animation und Interaktionsdesign, bestückt wurden. Im Käfig ist ein Bildschirm in Form eines Spiegels installiert, wie er Wellensittichen oft einen Artgenossen vorgaukelt. Dieser aber macht Menschen vorstellbar, wie ein Ziervogel sie sehen könnte: Eine Kamera nimmt sie auf und der Bildschirm zeigt die Sequenz in einem anderen Tempo sowie eine Übertragung des Bildes in Echtzeit in ein anderes Farbspektrum. Aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die die Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig zur Verfügung stellte, wurden Filter konstruiert, die Menschen mit ihren Prädispositionen sehen können und die der Wahrnehmung von Vögeln schätzungsweise am nächsten kommen.

Ähnlich verfährt die Virtual-Reality-Installation im Aquariennachbau. Auch dort erfahren Neugierige etwas über eine Wahrnehmungsweise, die ihnen aufgrund anatomischer Unterschiede eigentlich nicht zugänglich ist. Fische verfügen über ein Seitenlinienorgan, mit dessen Hilfe sie Schall- und Druckwellen wahrnehmen können. Diese Empfindung vermittelt in der Ausstellung eine VR-Brille mit angebrachten Lautsprechern als Zusammenspiel von Geräuschen und grafischen Verfremdungen des Sichtbaren – gemeinsam mit der Software erzeugen Nutzerinnen und Nutzer virtuelle Raumbilder, indem sie sich mit der VR-Brille durch das Aquarium bewegen.

Die um die Stationen herum platzierten Objekte und Kunstwerke befassen sich mit moralischen Dilemmata der Haustier-Mensch-Beziehungen und damit zugleich mit der Positionierung des Menschen zur Tierwelt im Allgemeinen. So wirft die Isometrie eines konsequent nach Kaninchenwünschen umgebauten Wohnhauses die Frage auf, inwieweit Menschen in der behaupteten Freundschaft zum Tier tatsächlich bereit sind, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen. Die seriellen Fotografien von Jo Longhurst aus dem Projekt „The Refusal", widmen sich dagegen der Frage, ob die Tierzucht eine Ausweitung des menschlichen Gestaltungswillens und Kontrollzwangs von der eigenen auf andere Spezies darstellt. Will Wegmanns Video „New and Used Car Salesman" stellt ironisch in Zweifel, dass Tierliebe das Kennzeichen eines guten Menschen ist. Passend dazu hebt die Doppelprojektion von Hörner/Antlfinger „Two Homes" hervor, wie ungleich Menschen ihre Zuneigung zwischen Heim- und Nutztieren verteilen.

Die besondere Beziehung zwischen Haustieren und ihren Menschen erweist sich in dieser Sonderausstellung als ein Phänomen der Alltagsgeschichte und -geschichten, das weitreichende Aussagen über das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt und zu sich selbst ermöglicht.

Viktoria Krason

Kuratorin der Ausstellung

 

Deutsches Hygiene-Museum, Dresden

TIERISCH BESTE FREUNDE Über Haustiere und ihre Menschen

28. Oktober 2017 - 01. Juli 2018 www.dhmd.de Zur Ausstellung erscheint im Verlag Matthes & Seitz eine gleichnamige Begleitpublikation, hg. von Viktoria Krason und Christoph Willmitzer, 160 Seiten, Preis: 10 € ISBN: 978-3-95757-481-7

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2018

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