Deutsches Hygiene-Museum, Dresden: Future Food – Essen für die Welt von morgen

Ernteroboter, Lehrstuhl für Angewandte Mechanik der TU München im Rahmen des Europäischen Projekts CROPS (Clever Robots for Crops), © Uli Benz / TU München

Essen ist lebensnotwendig und weit mehr als bloße Ernährung. Es führt Menschen zusammen, ist mit Glück und Genuss, Identität und Kultur verbunden. So privat und alltäglich es sein mag: Im Essen steckt eine große politische Sprengkraft.

 Es macht uns zu Teilhabern an einem System, das einerseits Menschen in vielen Regionen der Erde satt macht, andererseits aber weltweit die Umwelt, die Gesundheit und den sozialen Frieden belastet.

Die Verantwortung für den heutigen problematischen Zustand des Ernährungssystems liegt sowohl bei denen, die Lebensmittel produzieren, als auch bei denen, die damit handeln. Sie liegt aber auch bei Politikern und uns Konsumenten. Um diesen Zusammenhang verständlich zu machen, beleuchtet die neue Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums die gesamte Wertschöpfungskette des Essens. Vor allem aber setzt sie sich mit Visionen für ein besseres Ernährungssystem auseinander, mit Ideen, die aktuell entwickelt oder in kleinerem Maßstab bereits ausprobiert werden.

Heute behaupten Forschung, Industrie und Praxis in der Regel von sich, ein nachhaltigeres, gerechteres und gesünderes Ernährungssystem anzustreben. Aber die Wege, die sie dazu vorschlagen, sind oft grundverschieden: So macht es beispielsweise einen großen Unterschied, ob Züchtung und Landwirtschaft von einem anthropozentrischen oder physiozentrischen Standpunkt aus betrachtet werden – also aus der Perspektive des Menschen oder der Natur. Ebenso ungleich nehmen sich wirtschaftliche Konzepte des Green New Deal oder der Postwachstumsökonomie aus, bei denen es um Weichenstellungen von großer Tragweite geht. Die Ausstellung widmet sich solchen kontroversen Debatten, weil sie nicht nur darüber entscheiden, wie und was wir in Zukunft essen, sondern damit gleichzeitig auch beeinflussen, wie und unter welchen Bedingungen wir miteinander leben werden. Die Ausstellung plädiert dafür, verschiedene Positionen vorurteilsfrei zu betrachten und den Blick dabei nicht nur auf die Unterschiede, sondern auch auf Berührungspunkte zu richten.

Die Ausstellung „Future Food" verhandelt eine Zukunft, die bereits begonnen hat – das sollte schon in ihrer Präsentationsform so konkret und lebensnah wie möglich vor Augen geführt werden. Empfangen werden die Besucher in einem Partyzelt, in dem sie auf Spuren eines Essens stoßen, das soeben beendet wurde. Dahinter beginnt der Kreislauf unseres Ernährungssystems: Die erste Abteilung „Produzieren – Zwischen Feld und Labor" ist in einem Gewächshaus angesiedelt, die zweite „Handeln – Im Netzwerk des Weltmarkts" in einem Logistikzentrum und schließlich gelangt man zu „Wählen – Der Supermarkt der Zukunft". Der Epilog schließt den Kreis zur Eingangssituation: Hier sind die Besucher dazu eingeladen, an einer gedeckten Festtafel Platz zu nehmen, in deren Mitte ein überdimensionales Stillleben aufgebaut ist. Mit dieser Installation lassen die Künstler Christian Cordes und Ute Freitag erahnen, wie ein globales Gastmahl der Zukunft aussehen könnte.

Produzieren – Zwischen Feld und Labor

Was werden wir in Zukunft essen? Und wie werden wir es produzieren? Das sind drängende Fragen, denn die Ressourcen schwinden, die Artenvielfalt ist gefährdet und durch den Klimawandel drohen ernstzunehmende Konsequenzen. Auf solche Herausforderungen reagieren Wissenschaft und Praxis, doch ihre Ansichten und Vorschläge für eine Zukunft der Lebensmittelproduktion sind grundverschieden. Spitzentechnologie und spezialisiertes Wissen scheinen dabei einem ganzheitlichen Denken und Forderungen nach mehr Naturnähe gegenüberzustehen. Welche Chancen und Risiken hängen mit den Zukunftsvisionen von heute zusammen? Und welche Rolle spielen dabei Mensch und Natur?

Zu sehen ist zum Beispiel der Ernteroboter CROPS des Lehrstuhls für Angewandte Mechanik der TU München, der zum gezielten Ernten und Besprühen von Früchten eingesetzt werden soll. Das Modell des Ruthner Turmglashauses von Langenlois beweist wiederum, dass auch Innovationen von gestern durchaus Zukunft haben: Denn bereits in den 1960er-Jahren wurde über neue Möglichkeiten des Nahrungsanbaus in der Stadt in Form des „Vertical Farming" – also der Hochhausbepflanzung – nachgedacht.

Michael Zee, Symmetry Breakfast, © Michael Zee

Handeln – Im Netzwerk des Weltmarkts

Der Weg von Lebensmitteln in den Supermarkt ist lang und etappenreich. Nur wenige Großkonzerne dominieren dabei Produktion, Verarbeitung und Einzelhandel. Weltweit können kleine Betriebe mit den Preisen der Global Player kaum konkurrieren. Zudem verstärken Börsenspekulationen mit Rohstoffen die Schwankungen der Marktpreise. Im globalen Süden trägt der einseitig beherrschte Weltmarkt zur Zerstörung von Ökosystemen und Lebensgrundlagen bei. Die Beschäftigung mit diesen Zuständen und den vielfältigen Ursachen des Klimawandels führt dazu, dass zahlreiche Menschen unser gesamtes Wirtschaftssystem infrage stellen. Wie ist ein Handel mit Nahrung möglich, der weltweit auf Nachhaltigkeit und Fairness baut?

Neben neuesten Fairtrade-Produkten, Dokumentationen und kulturhistorischen Objekten werden in dieser Abteilung zwei von insgesamt fünf denkbaren Zukunftsszenarien für das Jahr 2050 vorgestellt, die eine internationale Forschungsgruppe unter Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung entworfen hat: Nachhaltige Ernährung und High-Tech-Ernährung.

Wählen – Der Supermarkt der Zukunft

Essen ist heute ein hart umkämpftes Feld. Zahllose Entscheidungen sind zu treffen, die gegen die Meinungen und Handlungen anderer verteidigt werden müssen. Wonach wähle ich meine Lebensmittel aus? Was bedeutet das für mich und für andere? Warum liegen Wunsch und Wirklichkeit oft so weit auseinander, wenn es darum geht, was wir in den Einkaufswagen legen? Dort, wo die meisten Menschen genug zu essen haben, werden aus Ernährungsentscheidungen Ernährungsstile. Ihre Spanne reicht von Lifestyle und digitalen Esskulturen bis hin zu Bewegungen, die sich mit der Wahl ihrer Lebensmittel für Tierwohl und Klimaschutz einsetzen. Lässt sich mit dem Essen von heute die Welt von morgen gestalten?

Bereits im 19. Jahrhundert gehörten nicht nur der Wunsch nach einer gesünderen Ernährung, sondern auch das Mitleid mit dem Tier zu den Begründungen für den Verzicht auf Fleisch, ebenso aber auch spirituelle Anliegen. Die Kokovoren zum Beispiel suchten im Gefolge des Aussteigers August Engelhardt nach einem Zustand der Erleuchtung durch den ausschließlichen Verzehr von Kokosnüssen. An den Utopien wie diesen wird das besondere Wesen des Essens deutlich: Es durchwirkt das gesamte menschliche Dasein, berührt verschiedene zentrale Lebensthemen und verbindet – Gesundheit, Natur und menschliche Gemeinschaft.

Viktoria Krason
Kuratorin der Ausstellung
Deutsches Hygiene-Museum, Dresden

Deutsches Hygiene-Museum, Dresden

Future Food – Essen für die Welt von morgen
21. März 2020 bis 21. Februar 2021
Derzeit geschlossen.
www.dhmd.de
Zur Ausstellung erscheint ein gleichnamiger Begleitband,
 hg. von Anna-Lisa Dieter und Viktoria Krason,
mit einem Tischgespräch, Essays und literarischen Texten
 176 Seiten, Preis 19,90 €
 ISBN 978-3-8353-3656-8

AsKI KULTUR lebendig 1/2020

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