Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin: Kino der Moderne. Film in der Weimarer Republik

UMBO (vermutl.), Collage zu ‘Berlin. Sinfonie der Großstadt‘, 1927, Foto:  Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin, Fotoarchiv

Die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen präsentiert gemeinsam mit der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn eine große Ausstellung zum Kino der Weimarer Republik. Anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung der Republik werden die Interferenzen zwischen Kino, Kunst und Alltagskultur, die Innovationen des Filmhandwerks, sowie das Entstehen von Filmkritik und -theorie interdisziplinär betrachtet.

Der Aufstieg des modernen Massenmediums Film vollzog sich rasant. Wie keine andere Kunstform rezipierte und beförderte das Kino den Zeitgeist der Weimarer Republik: Mode und Sport, Mobilität und urbanes Leben, Genderfragen und das Entstehen der Psychoanalyse spiegeln sich im Kino der Moderne. Zugleich professionalisierte sich das filmische Handwerk, Genres wurden ausgebildet und erzählerische Konventionen geprägt. Keine andere Stilepoche des deutschen Films wirkte so prägend auf die internationale Filmästhetik wie das Weimarer Kino. Mit großzügigen Inszenierungen und Medieninstallationen werden diese Innovationen für die Ausstellungsbesucher erlebbar. Darüber hinaus kann die Ausstellung aus den reichhaltigen und bedeutenden Sammlungsbeständen der Deutschen Kinemathek schöpfen. Viele der Exponate werden erstmals öffentlich ausgestellt und durch ausgewählte Leihgaben aus den Bereichen Kunst, Design und Architektur aus dem In- und Ausland ergänzt. Zeichnungen von Heinrich Zille und Käthe Kollwitz sowie Collagen von Hannah Höch, UMBO und Hermann Bayer belegen das Interesse der bildenden Künstler am neuen Medium Film. Fotografien von Hans Casparius, Yva, Martin Munkácsi und August Sander stehen für eine neue Bildästhetik – von Reportage bis Porträt –, die auch durch das Kino wesentlich geprägt wurde. Die Zeichnungen von Szenenbildnern wie Robert Herlth, Erich Kettelhut und Walter Reimann zu Filmen wie „Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920) oder „Metropolis" (1927) belegen den internationalen Ruf, den die deutsche Filmarchitektur in den 1920er-Jahren genoss.

Insbesondere die Kapitel zur Avantgarde und zur frühen Filmtheorie werden durch Leihgaben der AsKI-Partnerinstitutionen bereichert: Die Akademie der Künste entleiht Manuskripte von Walter Benjamin und Bertolt Brecht, Korrespondenzen von John Heartfield und George Grosz sowie Partituren zu Filmmusiken von Hanns Eisler und Walter Gronostay, das Literaturarchiv Marbach stellt unter anderem Manuskripte von Hans Richter, Siegfried Kracauer und Thea Sternheim sowie frühe Drehbücher von Arthur Schnitzler zur Verfügung und das Freie Deutsche Hochstift steuert einen Schlüsseltext von Hugo von Hofmannstal bei („Der Ersatz für die Träume", 1921).

Ausstellungsansicht ‘Kino der Moderne‘ in der Bundeskunsthalle, Bereich ‘Mode‘ mit dem Kostüm von Jenny Jugo, auf historischer Schaufensterfgur Lulu, 1928, welches auch in Berlin zu sehen ist, Foto: Georg Simbeni © Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin

Weimar, weiblich

In Bonn wurde die Ausstellung bis Ende März 2019 großzügig auf 1.600 m2 in der Großen Halle präsentiert. In Berlin wird sie ab Juni 2019 verkleinert auf drei Etagen mit rund 800 m2 gezeigt. Auf den Bereich der „Werkstätten", der in Bonn Gewerke wie Regie, Kostüm- oder Szenenbild vorgestellt hat, kann hier verzichtet werden, da diese wiederholt in Sonderausstellungen gezeigt wurden und auch in der Ständigen Ausstellung des Museums präsent sind. Das Thema „Frauen hinter der Kamera" wird in der Deutschen Kinemathek hingegen deutlich erweitert: Eine Galerie stellt rund 20 weibliche Filmschaffende, die als Produzentinnen, Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen oder Szenenbildnerinnen tätig waren, mit Biografie und Exponaten vor. Filmausschnitte belegen das vielfältige weibliche Filmschaffen; eine Audiostation lässt die Frauen darüber hinaus in autobiografischen Texten selbst zu Wort kommen und über ihre Erfahrungen im Filmmetier berichten. Ein weitgehend unbekanntes Kapitel des Weimarer Kinos erhält so Gesicht und Stimme.

Modernes Leben, von der Leinwand gespiegelt

Das Spiegelverhältnis zwischen Kinematografie und Alltagswelt wird im Kapitel „Modernes Leben" in den Fokus genommen. Das Kino reflektierte die neuesten Trends und Moden, ebenso wie die gesellschaftlichen Konflikte. Die Leinwand ermöglichte eine Form der Selbstbefragung: Wer sind wir, und wer wollen wir sein?

Kino war hier vor allem ein urbanes Phänomen. Die Metropole wurde zum ikonischen Bild der Moderne. Berlin als pulsierende Hauptstadt war Vorbild für Mobilität und Tempo. Der nervöse Lebensrhythmus und das Nebeneinander verschiedenster gesellschaftlicher Realitäten kulminieren in diesem Bild. Das Architekturbüro Atelier Schubert aus Stuttgart hat hierfür eine überzeugende Ausstellungsszenografie entworfen: Offene Baugerüste suggerieren eine Zeit im Umbruch, deren Ausgang noch ungewiss ist. Wir sehen die Weimarer Republik quasi „under construction". Auch der Kulissenbau eines Filmsets wird so angedeutet. Und die Formensprache zitiert den Konstruktivismus, der mit klarer Geometrie einen kreativen Aufbruch formuliert.

Eine Medieninstallation veranschaulicht auf drei Leinwänden einen Tag im Leben der Weimarer Republik. Die knapp 15-minütige Kompilation macht anhand von Wochenschau- und Spielfilmausschnitten Ähnlichkeiten und Unterschiede der verschiedenen sozialen Lebenswelten deutlich: Die Bilder von der Armenspeisung im Obdachlosenheim kontrastieren mit dem heimeligen Frühstück der gutbürgerlichen Familie. Bei Vergnügungen am Wannsee und beim Tanztee am Nachmittag verwischen die Klassengegensätze hingegen und die Filmbilder feiern ein allen gemeinsames Lebensgefühl.

Die Relevanz des Kinos zeigt sich auch in den Neubauten der Kinopaläste. Die neusachlichen Kinoentwürfe Erich Mendelsohns und Hans Poelzigs bilden Inkunabeln der modernen Großstadtarchitektur. Ein rekonstruiertes Modell zeigt die zentrale Straße in „Asphalt" von Joe May (1929) mit Geschäften und dem Universum-Kino und verdeutlicht damit die Bedeutung des städtischen Raums als filmischem Topos.

Die Produzentin Liddy Hegewald (in der Mitte mit weißem Spitzenkragen), Teamshot zum Film ‘Das Fürstenkind‘, 1927, Foto: Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin, Fotoarchiv

Die „Neue Frau" ist ein zentrales Schlagwort weiblicher Emanzipation in den 1920er-Jahren, auch Homosexualität und Crossdressing werden im Film ernsthaft wie komödiantisch inszeniert. Kostüme von Marlene Dietrich und Jenny Jugo sind in der Ausstellung auf historischen Schaufensterpuppen präsentiert. Das Zeittimbre klingt damit gleich mehrfach an: Die Physiognomien der Puppen wurden oftmals Schauspielerinnen nachempfunden; nicht umsonst heißt der blonde Typus „Marlene". Die Proportionen und Haltungen der Figurinen entsprechen einem anderen Körperideal als dem heutiger Mannequins. In der Kombination mit Wochenschau-Ausschnitten damaliger Modenschauen wird so das zeitgenössische Körperbewusstsein sichtbar.

Die Entwicklungen in den Naturwissenschaften und der Medizin beeinflussten insbesondere den Kultur- und Lehrfilm. Mikroskop und Teleskop gewährten einen neuen Blick auf die Welt, der Röntgenapparat ermöglichte Einblicke in den menschlichen Körper. Dass das Medium Film auch zur Darstellung psychischer Vorgänge besonders geeignet sei, bemerkten Filmemacher wie Psychoanalytiker gleichermaßen. Sigmund Freud wurde zur Mitarbeit an mehreren Filmprojekten aufgefordert; zwei seiner engsten Kollegen, Hanns Sachs und Karl Abraham, beteiligten sich an G. W. Pabsts „Geheimnisse einer Seele" (1926). Die experimentellen Möglichkeiten der Kinematografie wurden früh auch von der künstlerischen Avantgarde geprägt; der expressionistische Film setzte einen ersten Meilenstein. Die Ausstellung kann hier auf zahlreiche Zeichnungen und Dokumente von Künstlern wie Ella Bergmann-Michel, Oskar Fischinger, George Grosz, Lázló Moholy-Nagy, Lotte Reiniger und Hans Richter zurückgreifen.

Josef Fenneker, Plakatentwurf für den Film ‘Nerven‘, 1919, Foto: © Stadt Bocholt (Stadtmuseum Bocholt / Josef Fenneker), Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin – Sammlung Fenneker

Neues Sehen – Filmkritik und Filmtheorie

Der Bereich zum „Neuen Sehen" thematisiert mit der Etablierung der Kinematografie einen bedeutenden medialen Umbruch und das damit verbundene Entstehen der Filmtheorie aus dem Geist der Filmkritik. Tagebucheinträge bekannter und anonymer Personen belegen alltägliche Kinobesuche, zeigen Schwärmereien für Filmstars ebenso wie erste kritische Reflexionen zum Medium. Manuskripte bedeutender Filmkritikerinnen und Filmkritiker nehmen die filmische Produktion wie die Rezeption in den Blick, sie untersuchen die eskapistischen Sehnsüchte des Publikums, kritisieren den reinen Ästhetizismus der Filmschaffenden und hinterfragen den ideologischen Impetus großer Produktionen. In einem gleißend weißen, von einer Glühbirne erhellten Raum zum Thema „Film denken" wird erstmals die Filmbibliothek Walter Benjamins rekonstruiert. In Form knapper Zitate prallen hier die unterschiedlichen Thesen der versammelten Autoren aufeinander. Verschiedene Positionen der Filmbetrachtung – aus soziologischer, ästhetischer oder wahrnehmungstheoretischer Perspektive – wurden erstmals formuliert. Walter Benjamin vermerkte, dass der Film mit dem „Dynamit der Zehntelsekunden" unsere Wahrnehmung der Welt aufgesprengt und unumkehrbar verändert habe. Während für Rudolf Arnheim die persönliche Handschrift des Regisseurs den Film zum Kunstwerk erhob, war es für Béla Balázs das Publikum, das den Film zur sozialen Kunst mache. Auch wenn sich die Standpunkte teils widersprechen, so können doch alle für sich Gültigkeit reklamieren. Eine Medieninstallation unterstützt diesen Ansatz. Hier werden zu den entsprechenden Filmausschnitten die Zitate der Filmkritikerinnen und -kritiker eingesprochen; man kann ihnen beim „Film denken" zuschauen und zuhören und die eigene Wahrnehmung mit ihren Betrachtungen abgleichen. Die Ausstellung bietet so eine Schule des Sehens, die historische Perspektiven für die Gegenwart fruchtbar macht.

Kristina Jaspers
Kuratorin der Ausstellung


Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin
Kino der Moderne. Film in der Weimarer Republik
20. Juni bis 13. Oktober 2019
www.deutsche-kinemathek.de
Katalog „Kino der Moderne. Film in der Weimarer Republik",
hg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, und der Deutschen Kinemathek, Berlin, mit Beitr. von Kristina Jaspers, Annika Schaefer u.a.,
196 Seiten, 250 Abb., 29 €
ISBN: 978-3954984367

AsKI KULTUR lebendig 1/2019

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