Casa di Goethe, Rom : Der bildende Künstler als Leser

Casa di Goethe: Die Bibliothek des Deutschen Künstlervereins, Foto: Martin Claßen

Seit 2012 verwahrt die Casa di Goethe den Nachlass des Deutschen Künstlervereins, der von 1845 bis zum Eintritt des Königreichs Italien in den Ersten Weltkrieg im Jahr 1915 die Interessen der deutschsprachigen Künstler in Rom vertrat.

Seit 2012 verwahrt die Casa di Goethe den Nachlass des Deutschen Künstlervereins, der von 1845 bis zum Eintritt des Königreichs Italien in den Ersten Weltkrieg im Jahr 1915 die Interessen der deutschsprachigen Künstler in Rom vertrat. Neben dem Vereinsarchiv mit überwiegend handschriftlichen Dokumenten zur Vereinsgeschichte ist dies vor allem Vereinsbibliothek. Diese umfasst heute noch knapp 4700 Bände mit weit über 6000 Titeln nicht ausschließlich der deutschen, sondern auch der italienischen, französischen und englischen Literatur. Ebenso dazu gehören Werke der griechischen und römischen Antike (sowohl in Originalsprache als auch in Übersetzungen) und zahlreiche historische, archäologische, kunsthistorische und kunsttechnische sowie philosophische, theologische, geographische, sprach- und naturwissenschaftliche Schriften. Der besondere Wert dieser historischen Spezialbibliothek begründet sich nicht allein auf der langen Reihe von Erstausgaben des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sondern insbesondere auch auf der Vielzahl von Exemplaren mit persönlichen Widmungen und Gebrauchsspuren wie etwa Skizzen oder Anmerkungen, die Aufschluss über die genuine Literaturnutzung deutscher Künstler im Rom des gesamten 19. Jahrhunderts geben. Denn in die Vereinsbibliothek fanden im Jahr 1900 auch die älteren, speziell für die in Rom tätigen deutschsprachigen Künstler angelegten, Büchersammlungen Eingang: die von Carl Ludwig Fernow im Jahr 1795 ins Leben gerufene „Gemeinschaftliche Lesebibliothek der Deutschen", die 1821 gemeinsam von Johann David Passavant und Christian Karl Josias von Bunsen initiierte „Bibliothek der Deutschen" sowie die von König Ludwig I. von Bayern und Johann Martin von Wagner seit 1832 geförderte „Bibliothek der Deutschen Künstler". Ebenso einzigartig wie der Bücherbestand selbst ist die handschriftliche Dokumentation dieser historischen Bibliotheken: Neben alphabetischen, numerischen und systematischen Bestandskatalogen sind etwa auch Ausleihregister erhalten, auf deren Grundlage sich erstmalig in großem Umfang gesicherte Aussagen in Bezug auf den Lesekanon deutscher Künstler im 19. Jahrhundert treffen lassen.

Der bildende Künstler als Leser steht daher im Fokus der derzeitigen wissenschaftlichen Arbeit in der Casa di Goethe: In Kooperation mit dem Kunstgeschichtlichen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen wird im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft großzügig geförderten Projekts „Künstlerwissen und Künstlerlektüre im Rom des 19. Jahrhunderts. Die Bibliothek des Deutschen Künstlervereins und ihr wissensgeschichtlicher Kontext" diese kulturhistorisch wertvolle Büchersammlung für die Forschungsgemeinschaft dauerhaft erschlossen.

Im ersten Schritt sind hierfür in den neuen Bibliotheksräumen der Casa di Goethe bereits sämtliche Ressourcen anhand ihrer Provenienzmerkmale (Bibliotheksstempel, eingeschriebene Signaturen) sowie der tradierten Bibliothekskataloge nach den Ursprungsbeständen sortiert im Sinne einer historischen Rekonstruktion neu aufgestellt worden.

Die Rekonstruktion der deutschen Künstlerbibliotheken im Rom des „langen 19. Jahrhunderts" bleibt jedoch nicht allein auf die Präsentation der erhaltenen Bände beschränkt. Das angestrebte Ziel ist es vielmehr, auf Ebene des entstehenden Online-Katalogs, diese für die Forschung spannenden Büchersammlungen annähernd vollständig wiederzugeben: Der künftige OPAC der Casa di Goethe wird folglich nicht nur die Titel der erhaltenen knapp 4.700, sondern – auf Grundlage der historischen Bestandskataloge – auch die der im Zuge von Teilungen und Verlagerungen während der beiden Weltkriege abhanden gekommenen ca. 5.300 Bände enthalten.

Johann Gottlieb Rhode nach James Macpherson: Ossian’s Gedichte, Berlin 1800, Bde. 2 & 3, Foto: Casa di Goethe, Rom

Darüber hinaus werden die Datensätze sowohl der erhaltenen als auch der verlorenen Exemplare um Informationen in Bezug auf Provenienz und Nutzung ergänzt, wie sie den Bänden selbst und der tradierten Bibliotheksdokumentation wie etwa den Zugangs- und Ausleihverzeichnissen zu entnehmen sind. Damit geht der künftige OPAC der Casa di Goethe über den bisherigen Standard eines bibliothekarischen Online-Katalogs hinaus. Vielmehr wird er zu einem Forschungsinstrument, mit dessen Hilfe man leicht die aus den verschiedensten Quellen zusammengeführten Informationen im Hinblick sowohl auf die Herkunft als auch die Ausleihe der Exemplare recherchieren kann. So wird man sich die Lektüreliste einer einzelnen Person ebenso anzeigen lassen können wie sämtliche Ausleihen eines Exemplars, wodurch der OPAC unter anderem Antworten auf Fragen im Hinblick auf die individuelle Aneignung von Wissen einer einzelnen Künstlerpersönlichkeit bzw. der Rezeption bestimmter Schriften durch die deutsche Künstlerschaft Roms liefern kann.

Auf Grundlage der hier gewonnenen Datenmenge können gesicherte Rückschlüsse auf das Lektüreverhalten der deutschsprachigen Künstler im Rom des 19. Jahrhunderts getroffen werden, die zugleich auch Aufschluss auf die Literaturrezeption der bildenden Künstler im 19. Jahrhundert allgemein geben. Erste Forschungsergebnisse über ihren Lesekanon und dessen Wandel im Laufe des Jahrhunderts sowie über ihre Methoden der Aneignung und Umsetzung von Wissen werden in einer wissenschaftlichen Monographie publiziert werden. Neben einer ausführlichen Darstellung der wechselvollen Geschichte der deutschen Leseinstitute Roms werden damit zudem die wichtigsten Quellen ediert werden.

Auch wenn derzeit der bildende Künstler als Leser im Fokus steht, hofft die Casa di Goethe mit ihrer Arbeit Impulse für die Wissens- und Konstellationsforschung des deutschsprachigen Roms – nicht allein aus kunsthistorischer Perspektive – zu liefern, sind in dem vielschichtigen Material doch auch Antworten auf Fragen etwa der Literaturrezeption allgemein, der Kulturpolitik oder des transalpinen Wissenstransfers zu finden.

Ulf Dingerdissen
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Casa di Goethe

Für einen ersten Einblick in die Geschichte der deutschen Künstlerbibliotheken Roms
siehe Ulf Dingerdissen: „Lesespuren in der Casa di Goethe! Die Bibliothek des Deutschen Künstlervereins in Rom",
in: Kulturinstitute im Horizontwandel. 50 Jahre AsKI e.V.
hg. von Wolfgang Trautwein und Ulrike Horstenkamp, Bonn 2018, S. 32-41.

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2018

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