Auschwitz-Prozeß - 4Ks 2/63 - Frankfurt am Main - Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts

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Von 1963 bis 1965 wurde in Frankfurt am Main gegen zunächst 22 (später 20) Angeklagte, die als Angehörige der SS-Wachmannschaften bzw. einer als Funktionshäftling im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz Dienst getan hatten, der bis dahin größte Schwurgerichtsprozess der deutschen Justizgeschichte (Aktenzeichen: 4 Ks 2/63) verhandelt.

 

Niemals zuvor hatten so viele Überlebende (211 Personen) die Wahrheit über das zentrale Vernichtungslager bezeugen können. Niemals zuvor wurde ein so vollständiges Bild der nationalsozialistischen Judenverfolgung der Welt vor Augen geführt.

 

Auschwitz-Prozess: Zeugin Ella Lingens 22. Verhandlungstag, Frankfurt am Main, 2.3.1964, © Foto: Günter Schindler

Insofern hat die "Strafsache gegen Mulka und andere, 4 Ks 2/63" nicht nur ein Sonderkapitel in der Geschichte der deutschen Strafjustiz geschrieben, sondern auch mit ihrer Fortwirkung der wissenschaftlichen Erkenntnis gedient und - dies vor allem - das Gedächtnis der Opfer zur Sprache gebracht: Das Einzige, was die Nachwelt gegenüber ihrem Schicksal, ihrem Leid zu leisten vermag und ihnen für immer schuldig bleiben wird.

Das Anliegen des Auschwitz-Prozesses war nicht nur das Übliche, d. h. dafür zu sorgen, dass Gerechtigkeit geschieht, dass Verbrechen gesühnt werden. Die so genannte "Endlösung der Judenfrage" kann keine Sühne finden, so wenig wie die Strafjustiz die Verbrechen bewältigen konnte. Der Holocaust wird, solange es geschichtliches Gedächtnis und Menschlichkeit gibt, immer wieder zu Bewusstsein bringen, wozu Menschen im negativen Sinne fähig sind, was der einzelne Täter und was alle zusammen als Kollektiv an Untaten zu verüben in der Lage sind.

Das Fritz Bauer Institut nimmt das zeitgeschichtliche Ereignis zum Anlass für eine Gedenkausstellung, in der sowohl der historische Hintergrund als auch die vielfältigen Folgen des Prozesses - die juristischen, politischen und kulturellen - dargestellt werden.

Darum kann es nicht genügen, die damaligen Vorgänge und die Verhandlung zu rekonstruieren. Es wird auch gezeigt, welches Echo es hatte, dass im Verfahren "gegen Mulka und andere" erstmals von Sachverständigen das bis dahin von der historischen Wissenschaft erarbeitete Bild des Holocaust präsentiert werden konnte und musste; dass bedeutende Literaten sich des Themas annahmen, endlich annahmen; dass - nicht zuletzt - die Überlebenden, die Opfer selber als Zeugen zu erzählen begannen. Schier unüberschaubar ist seither die nationale wie die internationale Auschwitz-Literatur gewachsen; auch davon will die Ausstellung Zeugnis geben.

Was im Einzelnen geplant wurde, kann hier nur angerissen werden. Man wird erfahren, wie Hitler den Antisemitismus "predigte", wie die "Endlösung" Schritt für Schritt in Gang gesetzt wurde (deshalb wird auf eine Chronik Wert gelegt), wie die Machthaber des NS-Regimes zusammenwirkten, damit förmlich eine "Vernichtungsindustrie" zustande kam; man wird Himmler, Göring, Goebbels, Heydrich, Rudolf Höß und Adolf Eichmann sehen und hören; man wird den Auschwitz-Prozess einordnen und vergleichen können mit den Gerichtsverfahren der Alliierten in Nürnberg, dem Höß-Prozess in Warschau, dem Eichmann-Prozess in Jerusalem; man wird die Frage aufwerfen, was die internationale Rechtsordnung dadurch seither gewonnen hat.

Zeuge Ludwig Holze (1. v. r.), Zeuge Wilhelm Rappl (2. v. r.), ehemalige SS-Angehörige der Fahrbereitschaft in Auschwitz, Vor dem Eingang des Bürgerhaus Gallus, 86. Verhandlungstag, Frankfurt am Main, 4.9.1964, © Foto: Günter Schindler

 

Aber natürlich soll an erster Stelle eine Rekonstruktion des Prozesses im Haus Gallus entstehen - man soll die Genesis des von den Juristen "Auschwitz-Komplex" genannten Falles kennenlernen, desgleichen, welchen Gang die Hauptverhandlung nahm. Am Beispiel von sieben Beschuldigten, deren Biographie und Persönlichkeit möglichst eingehend ermittelt wurden, wird man einiges über die "Psychologie" der SS, zur Struktur und der Methodik der totalen Herrschaft, über die Organisation der Konzentrations- und Vernichtungslager erfahren. Und man wird dazu neben der verbalen auch eine bildliche sowie anhand des Tonbandmitschnitts vom Prozess eine akustische Demonstration bekommen. Man wird sowohl die Täter, die Mörder und Mordgehilfen, wie Mulka und Boger, Kaduk und Stark, im Originalton hören, als auch von den überlebenden Opfern die fürchterliche Wahrheit über Auschwitz erfahren.

Junge Künstlerinnen und Künstler eingeladen
Der Kurator der Ausstellung, Erno Vroonen aus Belgien, hat für das Fritz Bauer Institut mit jungen Künstlerinnen und Künstlern Kontakt aufgenommen und sie nach Frankfurt eingeladen. Zur aktuellen Auseinandersetzung mit dem Thema Auschwitz wurden intensive Gespräche geführt und der historische Ort ,Haus Gallus' besichtigt, wo die Ausstellung stattfindet. Die Künstler kommen aus Italien und Cuba, aus Israel, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Polen, Dänemark und Deutschland - zwölf sind bis jetzt eingeladen. Die beiden Münchner Künstler Hermann Maier-Neustadt und Silvia Schreiber beschäftigen sich mit der Person und dem Leben Fritz Bauers, der in Nürnberg geborene Claus Föttinger mit den Thesen der Philosophin Hannah Arendt über die so genannte "Bewältigung der Vergangenheit", die Belgierin Els Dietvorst mit der Auseinandersetzung um Schuld und Verantwortung, indem sie Randgruppen der Gesellschaft einbezieht.

Die Cubanerin Tania Bruguera wiederum beschäftigt sich mit den Schwierigkeiten der juristischen Wahrheitsfindung, die sie mit einer interaktiven Installation darzustellen versucht. Bojan Sarcevic aus Bosnien-Herzegowina arbeitet mit einer Toninstallation, Loris Cechini aus Italien mit den Porträts der Täter und der Auschwitz-Überlebenden, Gitte Villessen (Dänemark) mit Video und Film, desgleichen die Video- und Performance-Künstlerin Tamy Ben-Tor aus Israel. Mit der Kartographie von Auschwitz setzt sich der polnische Künstler Robert Kusmirowski auseinander, sein Landsmann Wilhelm Sasnall hat ein Plakat für die Ausstellung entworfen.

Das Auswahlkriterium für die künstlerischen Entwürfe waren vor allem mediale Qualität und Raumbezogenheit. Auch die Vermittelbarkeit der Werke, besonders im Ausland, musste bei einer Wanderausstellung Berücksichtigung finden.

Katalog, Architektur und Wanderausstellung
In Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Holger Wallat (Frankfurt am Main) wurde die Gestaltung der Ausstellung entwickelt, die der historischen Dokumentation und den künstlerischen Arbeiten Raum gibt, ohne den Ort, also den Originalschauplatz des Prozesses, extrem zu verändern.

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog mit zahlreichen Abbildungen, der vom deutschen Verleger von "snoeck fine arts and catalogue publisher" in Köln (dem deutschen Ableger von Snoeck-Ducaju & Zoon N.V., Gent) publiziert wird. Dadurch ist ebenfalls eine Kooperation mit dem renommierten Graphikerbüro Kühle und Mozer zustande gekommen (ebenfalls Köln).

In den letzten Monaten ist die Ausstellung auf wachsende Resonanz gestoßen. Kontakte wurden zu verschiedenen Stellen in Berlin geknüpft, ebenso zum Goethe-Institut in Genua (2005 Kulturhauptstadt Europas) und zum Centre for Contemporary Art in Warschau, die zu den ersten beiden Interessenten an einer Übernahme der Wanderausstellung gehören. Vom Amtsgericht Stuttgart und seitens der Volkshochschule in Hannover wurde bereits für dieses Jahr ebenfalls Interesse bekundet. Im Fritz Bauer Institut sehen es die Beteiligten mit besonderer Freude, wenn das Amtsgericht in Stuttgart nach Frankfurt am Main die zweite Ausstellungsstation sein würde. Schließlich wurde der Namensgeber des Instituts vor etwas mehr als 100 Jahren (1903) dort geboren, und er war nach seinem Studium als jüngster Amtsrichter Deutschlands am dortigen Amtsgericht tätig.

 

Plakat-Aktion

Vor längerer Zeit bereits hat der junge Berliner Graphiker Christoph Bebermeier auf eigene Initiative zum Fritz Bauer Institut Kontakt aufgenommen. Bebermeier hat dann seine Diplomarbeit dem Entwurf für ein neues "corporate design" des Instituts gewidmet. Nun ist ihm ein weiterer Entwurf gelungen: Von November 2003 bis Februar 2004 war eine vierteilige Großplakat-Kampagne bundesweit zu sehen (Berlin, Frankfurt/M. und München), zum Thema "Biografien aus der Zeit des Nationalsozialismus".

Plakat-Aktion für das Fritz Bauer Institut entwickelt vom Berliner Grafiker Christoph Bebermeier, © Foto: Jan Pauls

Die Plakatreihe stellt vier verschiedene Personen im Kontext des Nationalsozialismus vor. Es werden sowohl Opfer gezeigt, als auch Menschen, die Zivilcourage bewiesen haben und Täter: Auf einem Plakat erfährt der Betrachter vom Schicksal von Renia und Dawid Kohn, zwei Geschwistern, die 1943 in Auschwitz ermordet wurden. Ein anderes zeigt Blanka Speier, die 1939 vor den Nationalsozialisten nach England fliehen konnte. Irene Block, die 1942 eine jüdische Bekannte in ihrer Wohnung versteckte, wird auf einem dritten Plakat vorgestellt. Schließlich wird der Betrachter mit dem Bild eines Täters konfrontiert, mit Jürgen Stroop, der im Jahr 1942 maßgeblich an der Vernichtung des Warschauer Ghettos beteiligt war.

Diese Plakat-Kampagne wurde beim renommierten Wettbewerb "Sappi - Ideas that matter" für ihre inhaltliche und grafische Qualität ausgezeichnet. Der Papierhersteller Sappi honorierte diese Leistung mit der Umsetzung der Plakat-Kampagne.

Irmtrud Wojak

Dr. Irmtrud Wojak ist Stellvertretende Direktorin des Fritz Bauer Instituts

 

Die Ausstellung - auf der ersten Station zu sehen vom 28.3. - 23.5.2004 in Frankfurt am Main, Haus Gallus, Frankenallee 11 (Di - So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr) - wird gefördert durch:

  • Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (Berlin)
  • die Bundeszentrale für Politische Bildung (Bonn)
  • das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Wiesbaden)
  • das Amt für Wissenschaft und Kunst der Stadt Frankfurt am Main
  • die Conference On Jewish Material Claims Against Germany, Inc. (New York)
  • und den Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. (Frankfurt/M.).
Infos zur Ausstellung bei:
Dagi Knellessen, Abteilung Zeitgeschichte
Tel. 069/798322-29, D.Knellessen@fritz-bauer-institut.de

Infos zum pädagogischen Begleitprogramm bei:
Monica Kingreen, Pädagogische Abteilung
Tel. 069/798322-31, M.Kingreen@fritz-bauer-institut.de

sowie auf der Website des Instituts:
www.Fritz-Bauer-Institut.de

  • Konzeption und Katalog: Dr. Irmtrud Wojak
  • Kurator: Erno Vroonen
  • Rezeption in der Literatur, Philosophie und Publizistik: Dr. Marcel Atze
  • Recherche und Projektassistenz: Dagi Knellessen (M.A.)
  • Pädagogik: Monica Kingreen, Gottfried Kößler
  • Filmprogramm: Ronny Loewy

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/2004

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