Museum für Kommunikation Berlin : „Briefe sind unvergänglich. Schreib mal wieder …“

  Alles eine Altersfrage?  Kommentar zum Briefeschreiben, 2017, Foto: Gunnar Goehle

Anfang der 1980er Jahre reagierte die Deutsche Bundespost auf die gesellschaftliche Entwicklung, dass immer weniger Menschen private Briefe und Postkarten schreiben, mit der großangelegten Werbekampagne „Schreib mal wieder". Der Geschäftsbereich Brief war nach wie vor die Haupteinnahmequelle des Postdienstes.

Im Gegensatz zum Briefaufkommen der gewerblichen Wirtschaft reduzierten Veränderungen in der bürgerlichen Öffentlichkeit, darunter die zunehmende Fernsprechdichte der Privathaushalte, erheblich die Anzahl der Privatbriefe. Umfragen ergaben, dass der Erhalt eines privaten Briefes bei den Bundesbürgern immer noch sehr geschätzt sei, aber nur jeder fünfte Bundesbürger gern einen Brief selbst schreibe. Die Anspruchshaltung, ein Brief müsse lang, sprachlich wohl formuliert, schön und richtig geschrieben sein, ließ eher schnell zum Telefonhörer greifen. Wie wir alle wissen, konnte diese Entwicklung nicht umgekehrt werden, ist der Privatbrief heute fast ausgestorben. Computer, Mobilfunk und Internet veränderten unser Kommunikationsverhalten radikal. Der handschriftlich verfasste Brief avancierte zu einem außergewöhnlichen Geschenk für einen besonderen Menschen.

Werbung für den Brief: Plakat im Auftrag der Deutschen Bundespost, 1982, Foto: Lintas Werbeagentur

Interessanterweise geht der anhaltende Rückgang des privaten Briefeschreibens nicht nur einher mit einer verstärkten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Medium Brief und seinem postgeschichtlichen Zusammenhang, sondern auch das Lesen von historischen Privatbriefen hat Konjunktur. Internetseiten mit Briefsammlungen werden millionenfach aufgerufen, eine Korrespondenzedition folgt der nächsten. Dieses große Interesse am historischen Brief verspüren auch wir. Unsere Briefsammlungen gehören zu den am meisten – sowohl digital als auch analog – nachgefragten Objektbeständen der Museumsstiftung Post und Telekommunikation. Besonders der historischen Forschung gaben unsere Briefsammlungen in den letzten Jahren neue Impulse. Vor allem die gesammelten Kriegsbriefe speisten den Quellenfundus vieler nationaler und internationaler Fachaufsätze, Dissertationen und Buchpublikationen, aber auch historischer Museumsausstellungen und journalistischer Veröffentlichungen.

Der Brief als Kommunikationsmittel zählt zu den ältesten Sammlungsobjekten der Museumsstiftung. Bereits mit Gründung des Reichspostmuseums 1872 wurden Feldpostbelege aus dem Krieg von 1870/71 gesammelt. Auch die späteren Postmuseen und das Postwertzeichenarchiv sammelten bis zur Gründung der Museumsstiftung im Jahre 1995 hauptsächlich philatelistische Briefbelege. Abgesehen von den Briefen der Vor-Briefumschlagszeit, bei denen meist die beschriebene Seite zum Brief gefaltet wurde, besteht das Gros der alten Briefsammlung aus leeren – philatelistisch aber bedeutsamen – Briefhüllen. Bei diesen Objekten stehen vor allem die Beförderungsvermerke Stempel, Briefmarke und Aufschrift im Vordergrund. In Fortsetzung und Erweiterung dieser Sammeltradition legt die Museumsstiftung seit mehr als 20 Jahren den Schwerpunkt auf den vollständigen Brief – also auch auf die Kommunikationsinhalte.

Geschenk an die Sammlung: Brieftasche mit Einschussöffnung und Feldpostbriefen aus dem Besitz des Soldaten Hans Schröder, 1915-18, Foto:  Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Dieser neuen Art des Sammelns ist die Sammlung von Feldpostbriefen, von Briefen aus der Zeit der deutschen Teilung, die von Deutschland nach Deutschland gingen, sowie die Sammlung von Freundschafts- und Liebesbriefen verpflichtet. Diese Sammlung von Alltagsbriefen mit Schwerpunkt 19. und 20. Jahrhundert wird ergänzt durch besondere Einzelbriefe zur Dokumentation der allgemeinen Briefgeschichte. Die Gesamtzahl der Briefe beträgt rund 150.000. Aus unserer umfangreichen Sammlung, die sich physisch in Berlin befindet, stehen in unseren Online-Datenbanken unter www.briefsammlungen.de mehr als 3.000 digitalisierte Briefe mit Kontextinformationen und der Möglichkeit zur Volltextsuche transkribiert zur Verfügung. Im Jahr 2017 lag die Zahl der Besuche auf dieser Seite bei rund 22.000, wobei zirka 210.000 Seiten aufgerufen wurden. Die durchschnittliche Verweildauer je Besuch lag dabei mit 350 Sekunden sogar über dem Wert der meisten Nachrichten-Websites.

Den übergroßen Schwerpunkt unserer Briefsammlungen stellen Feldpostbriefe dar, über 20.000 aus dem Ersten Weltkrieg und mehr als 110.000 aus dem Zweiten Weltkrieg. Diese wertvollen historischen Quellen, die in ihrer Authentizität neue Einsichten in die Kriegswahrnehmung der Soldaten ermöglichen, kamen seit dem Jahr 2000 über Sammlungsaufrufe und Berichterstattung als Geschenke in den Briefbestand der Museumsstiftung. Anfänglich auch noch aus den Händen ehemaliger Wehrmachtsangehöriger selbst, später zunehmend aus dem Kreis ihrer Nachfahren. Gerade diese Familienprovenienz erlaubte uns auch die Sammlung von Fotos der Schreibenden und die Erhebung umfangreicher Kontextdaten, die für die Interpretation der Briefe besonders wertvoll sind und die unseren Bestand, die größte erschlossene Feldpostbriefsammlung Deutschlands, herausragend qualifizieren. Noch heute erhalten wir pro Monat mehrere Schenkungsangebote. Nicht nur die Briefinhalte, sondern auch die Aufbewahrung der Briefe im Familien- und Freundeskreis bis in die heutige Zeit verdeutlichen eindrucksvoll, dass es sich bei diesen, für ein breites Spektrum wissenschaftlicher Fragestellungen relevanten, historischen Quellen auch um zutiefst menschliche Dokumente handelt. „Bitte nehmen Sie die Briefe, ich habe keine Angehörigen mehr, ich kann sie nicht wegwerfen" ist ein oft gehörter Satz.

Feldpost: Zensurschwärzungen  in einem Feldpostbrief, 1943, Foto:  Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Auch die Zeit der deutschen Zweistaatlichkeit von 1949 bis 1990 war eine Zeit des intensiven Briefeschreibens – vor allem zwischen Ost- und Westdeutschland. Seit den siebziger Jahren passierten jährlich bis zu 190 Millionen Briefe die innerdeutsche Grenze. Die Briefe dokumentieren nicht nur den Alltag im geteilten Deutschland. Sie sind auch Zeugnisse der Einheit der Nation, einer privaten Kommunikation, die der politischen und räumlichen Trennung durch die Grenze entgegen wirkte. Sie handeln von Familie, Liebe, Freundschaft und Bekanntschaft unter den Bedingungen der Teilung. Die Korrespondierenden tauschten sich mit dem Wissen um die Postkontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit über Politik, Ausreise aus der DDR, Religion und Kultur aus. Mangel, der Dank für das Westpaket und Sehnsucht nach Reisefreiheit sind wiederkehrende Themen in den DDR-Briefen.

Die von uns gesammelten rund 10.000 innerdeutschen Alltagsbriefe bilden ein Alleinstellungsmerkmal unserer Briefbestände. Post von Drüben wurde viel seltener aufgehoben als Feldpost. Feldpostbriefe hatten in den Familien eine stärkere Erinnerungsfunktion. Wer entsorgt schon die Briefe des gefallenen Ehemanns, Vaters oder Bruders? Darüber hinaus konnte die Archivierung dieser privaten Ost-West-Kommunikation in der DDR im eventuellen Falle einer Überwachung und Anklage auch eine Gefahr darstellen. Dies wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass wir viel mehr Briefe aus der DDR in die Bundesrepublik als umgekehrt als Schenkungen aus der Bevölkerung erhalten haben. Sicherlich spielt für die geringe Objektanzahl ebenfalls eine Rolle, dass sich die meisten DDR-Bürger nach Einführung der D-Mark und nach der Wiedervereinigung neu eingerichtet haben oder viele auch umgezogen sind.

Unsere Briefsammlungen sind im Verhältnis von Sammeln und Ausstellen geradezu ein Paradebeispiel für unsere Museumsphilosophie, sammelnd auszustellen und ausstellend zu sammeln. Gezielte Sammlungskampagnen mündeten daher folgerichtig in kleinere und größere Ausstellungsprojekte, deren breite Öffentlichkeit zu wichtigen Objektergänzungen führte. So erhielten wir 2014 als Geschenk die mit Feldpost gefüllte Brieftasche eines Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, die ihm 1918 während eines Gefechts an der Westfront das Leben rettete, weil ein Granatsplitter in ihr und den Briefen steckenblieb. Heute ein aussagekräftiges Exponat im Bereich Krieg und Medien in unserer Dauerausstellung im Museum für Kommunikation Berlin.

Dr. Veit Didczuneit
Abteilungsleiter Sammlung
Museum für Kommunikation Berlin

 

AsKI KULTUR lebendig 2/2018

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