AsKI-Gemeinschaftsausstellung im Museum für Sepulkralkultur, Kassel: DIE VERWANDLUNG. Sterben und Trauer 1914-1918 - 2 Teil

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Bildpostkarte 'Ich habe es nicht gewollt.', © Museum für Sepulkralkultur, AFD Kassel

Vom Traum zum Trauma
Die Gräuel, die deutsche Truppen im neutralen Belgien an der Zivilbevölkerung begingen, ließ das „Volk der Dichter und Denker" als marodierende Horde erscheinen.

Der Vorwurf der Weltöffentlichkeit, dass sich eine „Kulturnation" in amoralische Barbaren verwandelt habe, ließ sich auf deutscher Seite weder mit dem „Manifest der 93/Aufruf an die Kulturwelt" revidieren noch mit bunten Propagandapostkarten oder mit auf Münzen geprägten Soldaten, die mit belgischen Kindern ihr Brot teilen.

Mit den Kampfhandlungen setzt dann eine weitere Verwandlung ein. Die Konfrontation mit dem Tod und dem Ausmaß der Zerstörung sowie das Leben in Todesangst werden von den Individuen unterschiedlich verarbeitet. Propagandistische Pathosformeln zwischen Großsprecherei und Sentimentalität in Kunst, Literatur, in Film und Fotografie konterkarieren dabei das subjektive Erleben des Leidens, Sterbens, Mordens und Vernichtens wie es sich in den Feldpostkarten aus dem Museum für Kommunikation und in den Briefen und Tagebüchern der Soldaten und ihrer Angehörigen zeigt, die das Kempowski Archiv zusammengetragen und zur Verfügung gestellt hat.

Die naive Vorstellung vom schnellen Sieg wird alsbald enttäuscht. Statt ruhmreicher Rückkehr nach kurzen, erfolgreichen Feldzügen erwartet die Teilnehmer der kriegerischen „Klassenfahrt" ein ungewisses Leben im Dreck der Schützengräben mit schier endloser Langeweile zwischen den Gefechten oder unerträglicher Todesangst im Trommelfeuer. Manch „heldischer" Soldat wird dabei verrückt oder in den Grabenkämpfen, wie es der Verfasser eines Briefes entsetzt konstatiert, „... zum Raubtier".

In dieser nervenaufreibenden Situation bleibt die Feldpost oft die einzige Verbindung zwischen Front und Heimat. In der Verbindung von Fotografie und Text ist sie das Medium der Zeit, mit dem Soldaten versuchen, die Beziehungen zu ihren Familien aufrecht zu erhalten und ihnen mitzuteilen, dass sie noch am Leben sind. In Briefen und Karten schildern sie unbefangen ihre Wünsche, Bedürfnisse, Befürchtungen und Ängste oder sie nutzen das Schreiben, um sich in den Kampfpausen von der zermürbenden Langeweile abzulenken. Feldpostbriefe und -karten kursieren in einem solchen Umfang, dass ihre Inhalte von offizieller Seite kaum kontrolliert werden können. Sicherlich blieben auch große Teile des Grauens schon aus Rücksicht auf die Familie unausgesprochen. Und dennoch: explizite Fotos von Schlachtfeldern und zerrissenen Leibern trugen ein unverstelltes Bild vom Kriegsgeschehen von den Fronten in die Heimat.„Nachlaßsachen“ von Gustav Sack 1916; © Deutsches Literaturarchiv Marbach

Noch fokussierter und in berückender Dichte und Intensität konfrontieren die Graphiken aus der Sammlung der Akademie der Künste und die Literaturzeugnisse aus Marbach den Betrachter mit der zermürbenden und grauenvolle Realität des Kriegsalltags. Otto Dix' Kohlezeichnungen „Zerschossenes Dorf", „Zerstörter Kampfgraben" und „Schütze Späth" zeigen Motive, die in ähnlicher Weise auch in Gustav Sacks Tagebucheinträgen und Ernst Jüngers Schilderungen vom Kriegsalltag wieder auftauchen.

Während der „Krieger" Jünger in den Kampfpausen insektengleich durch die Gräben kriecht, um die Käferpopulation in der menschenfeindlichen Umgebung zu erforschen und zu systematisieren, lässt Gustav Sack durch seine Schilderungen seine Frau an seinem Alltag als Offizier, seinen Sehnsüchten und seinem Widerwillen gegenüber dem Kriegsgeschehen teilhaben. Verschiedenartig im Duktus und unterschiedlich in der Auffassung des Erlebten sind beides möglicherweise Versuche, Ordnung und Struktur in eine chaotische und brutale Welt zu bringen.

Eine Welt, die unerträglich erscheint, weil sie auch die Wahrnehmung an ihre Grenze bringt: da Tote oft nicht begraben werden können, liegt über allem ein penetranter Verwesungsgeruch. Die Kakophonie der Geschosse und Granaten malträtiert das Gehör und Gliedmaßen werden taub, weil die Soldaten wie Amphibien oft tagelang im Schlamm der Schützengräben verharren.

„Das Ringen an der Heimatfront"
Hinzu kommt der Hunger, ausgelöst durch den Mangel an Grundnahrungsmitteln im von Importen abhängigen Deutschen Kaiserreich. Doch je schlechter die Versorgungslage an den Fronten und in der Heimat wurde, desto heroischer gerieten die Darstellungen auf Plakaten zur Anwerbung von Kriegsanleihen oder zum sparsamen Umgang mit Mehl, Kartoffeln und Fleisch.

Der Krieg muss mit allen Mitteln in Gang gehalten werden; es braucht Nachschub: Waffen, Ausrüstung, Nahrung, Energie und familiären Zuspruch. Durchhalten wird deshalb auch von der kriegsmüden, unter der Mangelversorgung leidenden Zivilbevölkerung gefordert. Propaganda sorgt dabei für Spendenbereitschaft und die Anwerbung privater Finanzmittel. Bei den Transaktionen transformieren sich die Werte. Fruchtet der Appell an die Opferbereitschaft, erhalten die Spender für goldene Preziosen Eisenschmuck und für Küchengerätschaften aus Eisen, solche aus Aluminium.

Auch die Speisen verändern sich: Viehfutter wie Steckrüben ersetzen die fehlenden Kartoffeln; Weißbrot, das auch in Deutschland vor Kriegsbeginn üblich war, wird zunehmend durch das Kriegsbrot aus vollem Korn ersetzt und später sogar mit Sägemehl gestreckt.

Da die Mehrzahl der Fabrikarbeiter und der in der Landwirtschaft beschäftigten Männer an den Fronten kämpften, müssen Frauen in der Heimat auch Tätigkeiten übernehmen, die ihnen aufgrund des traditionellen Rollenverständnisses bislang verwehrt waren. Die Mehrfachbelastungen als mitfühlende Ehefrau, Versorgerin der Familie und die Plackerei in den Munitionsfabriken und bei der Feldarbeit ließen die offiziellen Appelle, sich in die Doppelrolle zu fügen, durch die prekäre Situation in den Großstädten bald schon ungehört verhallen. Es kam zu Protestkundgebungen aufgebrachter Mütter, die im Keim erstickt und brutal niedergeschlagen wurden.

Wie viele Frauen, Kinder und Männer an den Folgen des Krieges letztendlich zerbrochen sind, lässt sich nur vermuten. Doch der Eindruck, den die Zeitzeugnisse der Ausstellung hinterlassen, ist dabei deshalb so bestürzend, weil sie zeigen, dass den Menschen die verheerende Entwicklung nicht wie ein Ereignis erscheint, das wie eine Urgewalt über sie hereingebrochen ist und dem sie sich entgegenstemmen sollten. Wie bei der Verwandlung Gregor Samsas in der 1915 veröffentlichten Erzählung „Die Verwandlung" von Franz Kafka nimmt die Katastrophe einfach ihren Lauf, und es bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als sich ihren Auswirkungen anzupassen.

Das Ende – was bleibt?
Von vielen Soldaten fast gar nichts! Physisch waren sie nicht mehr vorhanden. Ihre Körper wurden von Granaten pulverisiert. Von anderen blieb nur wenig, wie bei Gustav Sack, der fern seiner Heimat bestattet wurde und dessen Witwe nur eine kleine Schachtel mit der Pfeife ihres Mannes und anderen Habseligkeiten zurückerhielt.

Die Brutalität des Krieges und das Ausmaß an persönlichem und kollektivem Leid waren und sind in ihren Dimensionen kaum mehr nachvollziehbar. Schon deshalb wurden sie vor allem im privaten Gedächtniskult verdrängt, verschwiegen und verschleiert. Kunstprägedrucke, Églomisés, Grabstätten, Gedenktafeln und Kriegerdenkmäler suggerieren den Hinterbliebenen, ihre Väter und Söhne hätte sich als Helden für ein hehres Ziel geopfert – der Verteidigung des Vaterlandes. Dass man eine solche Gestaltungsaufgabe professionalisieren muss, ist naheliegend: Bereits zu Kriegszeiten stellte die Heeresleitung Gräberkommissionen zur Planung von Gefallenenfriedhöfen ab. Mit langfristigen Folgen, denn über besondere Gestaltungsvorschriften wird das ästhetische Ideal der Gefallenenfriedhöfe auf den zivilen Begräbnisplätzen Deutschlands bis heute fortgeschrieben.

Stefanie Hamann / Gerold Eppler


Die Verwandlung: Sterben und Trauer 1914 – 1918

Gemeinschaftsausstellung des AsKI
Museum für Sepulkralkultur, Kassel
15.11.2014 bis 10.5.2015

 

AsKI KULTUR lebendig 2/2014

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