Gerhard-Marcks-Haus, Bremen: Outreach-Projekt "Auf den Tisch!"

Gröpelinger Kinder begegnen dem Künstler Robert Schad in der Ausstellung

Man muss den Tisch auch decken. Das Bremer Outreach-Projekt "Auf den Tisch!". Wenn Kinder und Jugendliche das Gerhard-Marcks-Haus zum ersten Mal besuchen, gibt es zwei Eisbrecher: Der erste ist das Modell seines „Hausmeisters" Gerhard Marcks (1889–1981) für das Denkmal der „Stadtmusikanten" (1951) am Bremer Rathaus. Jedes Bremer Schulkind kennt diese Vier: Die Kleinsten wollen dabei über die Tiere und das Märchen sprechen, die Größeren reden lieber über Freundschaft und Dreiecke. Der zweite Eisbrecher ist allerdings noch wichtiger: das Vertrauen des gesamten Museumsteams zu den Kindern und Jugendlichen.

Die Ausgangssituation

Im Allgemeinen werden neue Gruppen und Klassen zunächst aufgefordert, das Museum für 20 Minuten eigenständig zu entdecken. Alle können für sich allein oder in Gruppen durch unser Museum laufen; sich alles anschauen und jede Tür öffnen, die sich öffnen lässt. Nicht selten landen die Kinder und Jugendlichen dabei im Direktorenbüro und können dort auch gleich nachfragen, was man als Direktor so den ganzen Tag macht. Deutlicher kann man – denken wir – nicht machen: Ihr seid bei uns willkommen und wir vertrauen euch, dass ihr respektvoll mit den Kunstwerken umgeht! Aber das herzlichste Willkommen nutzt nichts, wenn die Kinder und Jugendlichen erst gar nicht ins Museum kommen oder nicht darin unterstützt werden wiederzukommen. Ein Problem in Bremen ist die Infrastruktur: Wenn eine Schulklasse für die öffentlichen Verkehrsmitteln Geld aufbringen muss, um in ein Museum zu kommen, wägen Schule und Eltern den Aufwand genau ab – und bleiben meist zu Hause, da sie selbst zum Beispiel den Wert des Museumsbesuchs nicht erfahren haben. Wenn jedoch das Ziel ist, Kindern und Jugendlichen Kunst und Kultur nahezubringen und nicht den Altersdurchschnitt der eigenen Museumsklientel zu senken, dann ist der Weg nicht, sie zwanghaft mit Events u. ä. ins Museum zu locken. Vielmehr muss die Kunst zu ihnen kommen und die Botschaft mitbringen, dass sie gesehen und ihre Barrieren ernst genommen werden. Seit 2008 entwickeln wir Konzepte, um mit unserer Sammlung und den Ausstellungen in die Bremer Stadtteile hinauszugehen. In den vergangenen Jahren gab es nicht nur SuperMarcks-Pop-Up-Galerien, spontane Ausstellung zum Beispiel zu einem Quartiers-Picknick oder Präsentationen im öffentlichen Raum, sondern auch Schulen (besonders mit dem Projekt „Skulptur sucht Schule") und soziale Institutionen (wie Altenheime und ein Hospiz) hatten und haben die Möglichkeit, Plastiken von Gerhard Marcks bei uns auszuleihen, um sie in ihren Räumen aufzustellen. Selbstverständlich wird von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen des Museums sichergestellt, dass die konservatorischen Bedingungen und Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden, aber auch, dass die Kunstwerke adäquat präsentiert sind. Voraussetzung für eine solche Ausleihe ist dabei immer, dass sich die jeweiligen Orte und ihre Menschen mit den Kunstwerken auseinandersetzten und man gemeinsam ins Gespräch kommen kann. Sinn dieser Ausstellungen ist immer, Menschen zu ermöglichen, Kunst zu begegnen, ohne dass sie eine Barriere überwinden müssen.

Gröpelinger Kinder arbeiten im Kinderkunstatelier Roter Hahn zur Ausstellung

Museum, Galerie und öffentlicher Raum

Ein sehr wichtiger Partner dabei ist von Anfang an Kultur Vor Ort e. V. in Gröpelingen. Der Stadtteil befindet sich im Westen Bremens und gehört zu den demografisch jüngsten sowie internationalsten Quartieren der Stadt. Mit zahlreichen Veranstaltungen, Festivals und Einrichtungen bietet Gröpelingen seinen Bewohnern und Bewohnerinnen viele Möglichkeiten zur kulturellen Partizipation. Gleichzeitig ist hier die Hemmschwelle, ein Museum zu besuchen, besonders hoch. Das Atelierhaus Roter Hahn spielt in diesem Rahmen eine sehr wichtige Rolle und ist das Herzstück von Kultur Vor Ort. Neben einem kleinen Café beherbergt es künstlerische Werkstätten zum Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen und einen kleinen Ausstellungsraum. In diesem Raum ist das Gerhard-Marcks-Haus regelmäßig mit Ausstellungen und Projekten zu Gast. Ausgestellt werden nicht nur Plastiken von Gerhard Marcks aus unserer Sammlung, sondern auch verschiedenste zeitgenössische Positionen. Selbst im ersten Pandemie-Jahr war es möglich, gemeinsam ein großes Projekt mit Skulpturen von Robert Schad (*1953) umzusetzen: Neben der Hauptausstellung im Museum gab es eine kleine Galerieausstellung, verschiedenste Pädagogikangebote (als es wieder möglich war) und eine „Freiluftausstellung" im Stadtteil. An sechs Knotenpunkten wurden Schads Skulpturen für mehrere Monate aufgestellt und waren so ohne Einschränkungen für alle zugänglich. Die Ergebnisse des Kinder- und Jugendateliers wurden ganz selbstverständlich zwischen den Werken von Schad im Gerhard-Marcks-Haus präsentiert.

Arbeiten aus dem Kinder- und Jugendatelier Roter Hahn zur Ausstellung "Das Kapital. Alles Marcksist*innen!": Hasen, 2022/2023, Ton und Gerhard Marcks, Hase, 1964, Bronze, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Auf den Tisch!

Im letzten Jahr gab es in der Bremer Politik eine Initiative, die sich mit „Freiem Eintritt für Alle" in die Museen beschäftigte. Aufgrund von museologischen Forschungsergebnissen und den Erfahrungen von „freien Tagen", dass kostenloser Eintritt weder die Besuchergruppe vergrößere
noch diverser mache, einigten sich der Senator für Kultur und die Museumsdirektionen darauf, dass die geplanten Gelder für Outreach-Projekte verwendet werden sollten. Unsere bisherige Projekterfahrung hat gezeigt, dass Outreach-Programme nur durch Kontinuität bewirken, dass junge Menschen eine selbstverständliche und nachhaltige Beziehung zu Museen aufbauen. Daher war uns wichtig, ein Projekt zu entwerfen, das auf die langjährige Zusammenarbeit mit Kultur Vor Ort aufbaut und sich gleichzeitig um unseren Museumsnachbarn, das Wilhelm Wagenfeld Haus, als neuen Partner erweitern ließ. Der Grundgedanke ist simpel: Innerhalb von fünf Terminen während des Schuljahrs sollten die Kinder aller 2. und 6. Klassen der Gröpelinger Schulen zu uns in die Museen kommen, plastisch arbeiten und dabei die beiden Künstler Marcks und Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) kennenlernen. Die Verbindung dieser beiden Künstler rührt nicht nur aus ihrer gemeinsamen Bauhaus-Vergangenheit, sondern liegt auch in ihrer individuellen Suche nach der Form in allen Dingen. Geistige Patronin des Projekts war Hannah Arendt (1906 – 1975), die 1958 in ihrem Buch „The Human Condition" den Tisch als Metapher für den öffentlichen Raum benutzte: Das zugleich Trennende und Verbindende mache in seiner Doppelfunktion Kommunikation zwischen Fremden möglich. Für Arendt symbolisiert der Tisch damit ein Gesellschaftsideal: Menschen, die prinzipiell alle gleich seien, hätten die Möglichkeit, sich einfach dazuzusetzen und mitzumachen. Besser kann man unsere Auffassung von Museumspädagogik nicht zusammenfassen. Nach den ersten zwölf Monaten Laufzeit haben mehrere hundert Kinder an dem Projekt teilgenommen und gleich drei Ausstellungen mit ihren Kunstwerken in der Galerie Roter Hahn bestückt. „Unser Tisch!" hat so viel Zuspruch bekommen, dass nicht alle Klassen, die an ihm teilnehmen wollten, auch mitmachen konnten. Und ohne eine weiterführende Förderung auch nicht werden mitmachen können. Am 3. September eröffnen wir im Gerhard-Marcks-Haus unsere Ausstellung „Das Kapital. Alles Marcksist*innen" und denken über das Kapital unseres Museums nach, das ganz weit abseits von Blockbustern, Namedropping und Ticketverkäufen liegt. Ein wichtiger – wenn nicht der wichtigste – Aspekt unseres Kapitals ist die „Zukunft": Sie wird repräsentiert von knapp 60 Hasen aus Ton, die in Gröpelingen nach einer Bronzeplastik von Gerhard Marcks entstanden sind. Die „Große Haserei" wird deutlich machen, dass es möglich ist, Kinder und Jugendliche für Kunst zu begeistern, dass es aber auch Zeit, Kontinuität und Vertrauen braucht, um diese Begeisterung zu festigen. Man muss seinen Tisch eben auch decken, wenn man Gäste einlädt.

 

Mirjam Verhey-Focke
Wissenschaft und Ausstellungen, Gerhard-Marcks-Haus

AsKI kultur leben 2/2023

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