Wartburg-Stiftung, Eisenach: Mein Lieblingsobjekt - Ein außergewöhnliches Jagdhorn

Sapi-portugiesischer Olifant, Sierra Leone, Elfenbein geschnitten, frühes 16. Jahrhundert, Wartburg-Stiftung, Kunstsammlung, Inv.- Nr. KE0017, Fotothek, Rainer Salzmann

Es ist immer wieder ein schöner Moment, wenn man sich mit der Kunstsammlung der Wartburg beschäftigt und „gute alte Bekannte" im Lichte der Forschung ganz neue Erkenntnisse preisgeben. So erging es mir mit meinem Lieblingsobjekt.

In der Kunstsammlung der Wartburg wird eine relativ kleine, aber sehr hochkarätige Gruppe von Elfenbeinen des 13. bis 19. Jahrhunderts verwahrt, zu der auch einige Objekte mit Jagdbezug verschiedener Provenienzen gehören. Unter ihnen ist ein Jagdhorn, ein sogenannter Olifant, der durch seine ungewöhnliche Gestaltung und Ikonografie auffällt. Der Olifant ist circa 60 cm lang und in drei Hauptabschnitte gegliedert, in denen Jagdszenen mit tatsächlich existierenden und phantastischen Tieren in Flachrelief geschnitten sind. Mit Lanzen bewaffnete Jäger und ihre Jagdhunde und sogar ein mit einer Armbrust bewaffneter Zentaur stellen Hasen, Vögeln und Hirschen nach. Daneben erkennt man ein Einhorn, eine Harpye und einen indischen Jagdelefanten. Den gesamten Korpus umläuft ein Schriftband mit der lateinischen Inschrift „Da pacem, Domine, in diebus nostris" (Gib Frieden, o Herr, in unseren Tagen).

Seit 1869 gehört das Jagdhorn zur von Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach begründeten Kunstsammlung der Wartburg. Deren heutiges Aussehen und künstlerische Ausstattung gehen im Wesentlichen auf den Großherzog zurück, der die Erneuerung des geschichtsträchtigen Stammschlosses seiner Ahnen zu einem der herausragenden Projekte seiner Regierungszeit machte. Das erklärte Ziel, hier einmal mehr die Traditionen seines Hauses zu bewahren, fortzuführen und für die Gegenwart geltend zu machen, schloss die Bewohnbarkeit ausdrücklich ein, denn von Anfang an sollte die Burg beides sein: nationales Denkmal und private Residenz des Großherzogs. Gleichzeitig wurde deshalb auch der Grundstein für die Kunstsammlung der Wartburg gelegt. Im Lauf von sechs Jahrzehnten erwarb Carl Alexander Kunstwerke aus dem Kunsthandel und ließ eine Vielzahl von Objekten aus seinen anderen Residenzen auf die Burg überführen. Hinzu kamen Geschenke und Stiftungen von Familienangehörigen, namentlich seiner Mutter Maria Pawlowna und seiner Frau Großherzogin Sophie, befreundeten Monarchen und Adligen wie auch bürgerlichen Persönlichkeiten.

Als der Münchener Kunstkenner Carl Friedrich Förster 1869 den Olifanten der Wartburg zum Geschenk machte, tat man sich noch schwer, die außergewöhnliche Mischung von exotischen und phantastischen sowie christlich-europäischen Motiven zu deuten, weshalb das Stück als „Jagdhorn in Elfenbein aus dem 12. Jahrh." ausgewiesen wurde. Tatsächlich waren sogenannte „sarazenische" (besser: siculo-arabische) Olifanten bereits im Mittelalter bekannt. Als Symbole von hochadliger Ritterkeit und Heldenmut waren die Olifanten begehrte Objekte in den europäischen Kunstkammern und wurden in Form von kunstvollen Schmuckstücken auch als Anhänger getragen. Dass die Bildwelt des Wartburg-Olifanten mit den mittelalterlichen Hörnern jedoch gar nichts zu tun hatte, sondern nach Afrika und Portugal verwies, erkannte erst 1912 Alfons Diener-Schönberg, der dem Objekt im beschreibenden Verzeichnis der Rüstsammlung der Wartburg einen längeren Beitrag widmete.

Als Wissenschaftler in den 1980er-Jahren begannen, die sapi-portugiesischen Elfenbeine in bedeutenden europäischen und amerikanischen Sammlungen zu untersuchen, blieb das Exemplar auf der Wartburg schlicht unendeckt. Erst im Jahr 2018 konnte mit Luís U. Afonso ein portugiesischer Spezialist auf den Olifaten aufmerksam gemacht werden, der seine Bedeutung herausstellte und ihn in Fachkreisen bekannt machte. Tatsächlich lässt sich der Wartburg-Olifant in eine Gruppe früher afrikanischer Elfenbeine einordnen, die von afrikanischen Schnitzern in den Küstenregionen der heutigen Staaten Sierra Leone und Guinea während des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts hergestellt wurden. Als sapi-portugiesisch werden sie bezeichnet, weil sie europäische Ikonographie, namentlich portugiesische Heraldik, mit afrikanischen Motiven vereinen.

Der Olifant vermehrt nun die bisher bekannte Gruppe von 41 solcher Elfenbeine um ein weiteres Stück. Aufgrund von Charakteristika in Ausführung und künstlerischer Auffassung lässt er sich überdies einer Untergruppe von nur sieben Elfenbeinen zuordnen. Die Tatsache, dass der Wartburg-Olifant fast identisch mit einem anderen in der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden ist, legt sogar nahe, dass sie zur gleichen Zeit vom selben Schnitzer hergestellt wurden und von Anfang an als Paar konzipiert waren.

Diese und weitere Erkenntnisse zu meinem Lieblingsobjekt konnte ich 2019 gemeinsam mit Luís U. Afonso im Wartburg-Jahrbuch der Öffentlichkeit vorstellen.

 Dr. Grit Jacobs | Leitung Sammlungen,
Forschung und Museumspädagogik der Wartburg-Stiftung

 

AsKI kultur leben 2/2021

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