Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf: Samuel Fosso auf Schloss Gottorf

Aus der Serie ‘Le rêve de mon grand-père‘, 2003, chromogener Abzug, Foto: © Samuel Fosso, courtesy Jean Marc Patras, Paris

Vom 2. Mai bis zum 29. Oktober zeigt die Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen auf Schloss Gottorf eine umfassende retrospektive Ausstellung mit Fotoarbeiten von Samuel Fosso.

Samuel Fosso wurde 1962 in Kumba, Kamerun, als Sohn nigerianischer Eltern geboren. Heute lebt er in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, sowie in Paris und zählt zu den renommiertesten zeitgenössischen Foto-Künstlern Afrikas. In seinen autofiktionalen Selbstporträts, mit kunstvollem Make-up und in aufwendigen Kostümen, verbindet er Fotografie mit Performance. Er ist Fotograf, Darsteller und Regisseur in einer Person.

Indem Fosso in verschiedene Rollen schlüpft und sich Identitäten ausleiht, vollzieht er eine Transformation und verwandelt sich in Protagonisten und Protagonistinnen der Geschichte oder in gesellschaftliche Archetypen; in anderen Fällen interpretiert er seine eigenen Erfahrungen neu. Dafür steht in besonderer Weise die Werkgruppe „Le rêve de mon grand-père" – Der Traum meines Groß­vaters: Mehr als dreißig Jahre nach seiner Emigration reiste Fosso mit einem Stipendium des niederländischen „Prince Claus Fund" nach Nigeria, nach Afikpo, an den Ort, wo er bei seinen Großeltern aufgewachsen war. Wegen einer partiellen Lähmung war er im Alter von zwei Jahren zu seinem Großvater gebracht worden. Als traditioneller Heiler der Igbo konnte dieser den Jungen erfolgreich behandeln. In den folgenden Jahren unterwies ihn der Großvater in traditioneller afrikanischer Medizin – in der Hoffnung, dass sein Enkel ebenfalls Heiler würde. 1967 brach jedoch in der von den Igbo gegründeten Republik Biafra der Bürgerkrieg aus. 1971 starb der Großvater. In der Foto­serie „Le rêve de mon grand-père" erfüllt Samuel Fosso den Traum seines Großvaters gleichsam nachträglich, indem er sich als Heiler darstellt und seit Generationen überlieferte Rituale der Afikpo-Gesellschaft re-inszeniert. „Es ist eine Darstellung der Lebensweise, die ich als Kind erfahren habe und die mich seitdem oft in meinen Träumen verfolgt hat," so Fosso. Er trägt zeremonielle Kleidung und vollführt rituelle Gesten. Auf dem gezeigten Foto trägt er die Tracht eines Heilers der Igbo.

Aus der Serie ‘Tati‘, 1997: The Chief who Sold Africa to the Colonists, Foto: Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg, © Samuel Fosso

Nach dem Tod des Großvaters nimmt ein Onkel den jungen Fosso mit nach Bangui, die Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik.
Nach einer kurzen Lehre als Fotograf eröffnet Samuel Fosso dort 1975 mit nur 13 Jahren sein erstes eigenes Foto-Studio. Tagsüber porträtiert er die zahlende Kundschaft, abends fotografiert er sich mit den restlichen Bildern der Filmrolle selbst. Zunächst schickt er diese Aufnahmen seiner Großmutter in Nigeria. Zunehmend erwächst daraus eine Art visuelles Tagebuch: die Schwarz-Weiß-Serie 70's „Lifestyle". In diesen Aufnahmen spielt Fosso mit verschiedenen Visionen seiner selbst, er inszeniert sich als junger Dandy, Popstar oder erfolgreicher Businessman. Sein großes Gespür für die Aussagekraft von Posen, Gesten, Mimik und Inszenierung wird hier schon sichtbar. Zugleich sind diese frühen Selbstporträts ein Akt der Ermächtigung und der Befreiung von erlittenem Leid. Die Aufnahmen bleiben lange Zeit privat. Sie werden erst 1994 bei der ersten Schau der „Rencont­res de la photographie" de Bamako in Mali ausgestellt.

Aus der Serie ‘African Spirits‘, 2008: Muhammad Ali, Silbergelatineabzug, Foto: © Samuel Fosso, courtesy Jean Marc Patras, Paris

1997 wird Fosso, zusammen mit den afrikanischen Studio­fotografen Seydou Keïta und Malick Sidibé, von der französischen Kaufhauskette Tati nach Paris eingeladen. Ihr Auftrag: In Tatis Flagship-Store das Setting ihrer Studios nachzubauen und Schwarz-Weiß-Fotografien von Kunden und Kundinnen zu machen. In dezidierter Abkehr der vorgesehenen Schwarz-Weiß-Ästhetik, die mit der afrikanischen Fotografie assoziiert wurde, konzipierte Fosso eine Serie von farbigen Selbstporträts. Mithilfe von illusionistischem Make-up, Kostümen, Requisiten und Kulissen schlüpft er in völlig andere Charaktere und stellt gesellschaftliche Archetypen dar, in denen afrikanische und westliche Perspektiven ineinander übergehen und Geschlechtergrenzen ins Fließen geraten: den Geschäftsmann, die bürgerliche Frau, den Rocker, Golfer oder Rettungsschwimmer, den Pirat oder die befreite amerikanische Frau der 1970er-Jahre. Ein Herzstück der Serie „Tati" ist The „The Chief who Sold Africa to the Colonists" – eine subtile Kritik an den Verlockungen der Macht im Zeitalter des europäischen Kolonialismus.

Im Jahr 2000 entstand die beklemmende Serie „Mémoire d'un ami" (Erinnerung an einen Freund) – eine Hommage an Tala, einen Freund des Künstlers, der in Bangui von bewaffneten Milizen ermordet wurde. Im Juni 1997 kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen, bei denen zahlreiche Zivilisten und Zivilistinnen getötet wurden. Samuel Fosso versteckte sich zu Hause, um dem Massaker zu entgehen – wurde aber Zeuge, wie sein Freund nebenan ermordet wurde. In den Fotografien tritt er an die Stelle Talas, um nachzuvollziehen und zu zeigen, wie dessen letzte Nacht gewesen sein könnte. Indem er sich nackt fotografiert unterstreicht Fosso die Verletzlichkeit in der Nähe des Todes.

Zu seinen Hauptwerken gehören die vierzehn Porträts der Serie „African Spirits" – eine Hommage an Protagonisten und Protagonistinnen der afrikanischen und afroameri­kanischen Befreiungs- und Bürgerrechtsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Neben Ikonen der Dekolonisierung auf dem afrikanischen Kontinent wie Patrice Lumumba, Nelson Mandela, Kwame N'Krumah oder Haile Selassie verkörpert Fosso auch Leitfiguren der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wie Muhammad Ali als Heiliger Sebastian, Angela Davis, Martin Luther King Jr., Malcolm X oder Tommie Smith. Sie wurden nicht nur entscheidende Vorbilder für die afrikanische und afrikanisch-diasporische Identität, sondern stehen für den universellen Fortschritt bei der Entwicklung der Menschenrechte.

Aus der Serie ‘Emperor of Africa‘, 2013: Le Discours, chromogener Abzug, Foto: © Samuel Fosso, courtesy Jean Marc Patras, Paris

Dezidiert politisch ist auch die Serie „Emp­eror of Africa". Ausgehend von dem Buch „Le Mao", das der maoistischen Bildsprache gewidmet ist, re-inszeniert Fosso das Porträt des chinesischen Führers in minutiösen szenischen Darstellungen. In der Rolle Maos und im Rückgriff auf ikonische Bilder entlarvt er die Machtausübung Chinas über Afrika: Die afrikanischen Landschaften im Hintergrund von Mao ebenso wie die Aufschrift auf seiner Armbinde verweisen auf das neokolonialistische Vorgehen Chinas im Streben nach den Ressourcen Afrikas.

Die Retrospektive ist eine Kooperation mit der Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg. Sie wurde für Salzburg von Jürgen Tabor kuratiert, Uta Kuhl verantwortet die Präsentation auf Schloss Gottorf in Schleswig. Für die Bereitstellung einer umfangreichen Dokumentation zur Ausstellung, auf der dieser Text beruht, danke ich Jürgen Tabor.

Dr. Uta Kuhl | Kuratorin
Skulpturensammlung, Stiftung Rolf Horn
und Landesgeschichte, Schloss Gottorf

 

AsKI kultur leben 1/2023

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