Mythos Bauhaus . Zum 75. Gründungsjubiläum

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Paul Klee, Postkarte zum Bauhaus-Laternenfest, 1922, Lithografle, Foto: Bauhaus-Archiv Berlin

Ein dreiviertel Jahrhundert nach seiner Gründung im April 1919 ist "Bauhaus" weltweit zum Schlagwort, ja zur Legende geworden.

Fraglos verbindet sich seine phänomenale Wirkung zunächst mit den dort wirkenden Künstlern (Wassily Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer - um nur einige zu nennen). In kaum einem Weltmuseum fehlen diese Bauhaus-Maler, deren Werke anerkanntermaßen zum Kernbestand der Klassischen Moderne gehören.
Hohe Wertschätzung verbindet sich aber auch mit dem am Bauhaus entstandenen Design, für das sich (ob zu Recht oder Unrecht) der Terminus "Bauhaus-Stil" eingebürgert hat. Die reform-pädagogischen Konzepte des Bauhauses, wie sie insbesondere Johannes Itten, Josef Albers und Laszlo MoholyNagy entwickelt hatten, wurden international rezipiert und wirken in vielfach variierter Form fort - nicht mehr unbefragt allerdings und kaum noch als Rezepte für die heutige akademische Lehre im Gestaltungsbereich.

Kritisch wird spätestens seit dem Aufkommen der Postmoderne die Architektur des Bauhauses behandelt, deren wichtigste Vertreter (und einflußreiche akademische Lehrer), Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, mitverantwortlich gemacht werden für die große Landzerstörung und für die Unwirtlichkeit unserer Städte - auch hier kann dahingestellt bleiben, ob zu Recht oder Unrecht.

In all diesen Bereichen und teilweise noch darüber hinaus wird "Bauhaus" mit der gestalterischen Moderne schlechthin identifiziert. Für eine kleine Schule, die nur 14 Jahre existierte und nunmehr schon mehrere Generationen zurückliegt, ist dies eine enorme, überwiegend positiv gewertete Wirkung, zu der noch die politische Einschätzung des Bauhäuslers als des "guten", d.h. von der Nazizeit unbelasteten Deutschen hinzukommt. Geht man allerdings solchen Vormeinungen im einzelnen nach, ergibt sich ein weit differenzierteres Bild. Dies herauszuarbeiten, ist es, was das Bauhaus-Archiv als historisch und wirkungsgeschichtlich orientiertes Museum unternimmt - angesichts massiver, ja ideologischer Vormeinungen im Guten wie im Bösen kein ganz einfaches Vorhaben.

Halten wir uns an die Quellen, bei deren Unterscheidung man einen vielleicht ungebührlich erscheinenden Vergleich anwenden kann: Jeder kennt Pilsner Bier, um dessen Namen es (was nicht jeder weiß) jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen gegeben hat. Das originale Pilsner Bier ist heute bekannt als "Pilsner Urquell" und verweist damit auf den Ursprungsort im tschechischen Pilsen. Daneben gibt es sowohl Pils als Bezeichnung für eine Biersorte, die jeder herstellen und vertreiben kann, als auch die Bezeichnung Pilsener, die auf andere Ursprungsorte und andere Produzenten verweist.

Mit dem Bauhaus ist es insofern ähnlich, als es das historische Bauhaus gibt, die von 1919 bis 1933 existierende Lehrinstitution, gleichsam "Bauhaus-Urquell". Daneben gibt es Bauhaus-Ableger vielfältigster Art: das "New Bauhaus", eine von Laszlo Moholy-Nagy 1937 in Chicago gegründete Schule, die noch weitgehend in der alten Programmatik arbeitete; Fakultäten anderer Schulen, die sich als Bauhaus-Nachfolge empfanden, beispielsweise an der Harvard University zur Gropius-Zeit; oder an der Hamburger Kunsthochschule in den 50er Jahren, als die Bauhäusler Hassenpflug, Tümpel, Kranz und Thiemann dort wirkten; oder das "Black Mountain College" in North Carolina zur Zeit von Josef Albers und Xanti Schawinsky; oder schließlich die Ulmer "Hochschule für Gestaltung", die sich zumindest in der von Max Bill geprägten Ära stark an das Bauhaus anlehnte, sich später allerdings von dessen Vorbild löste.

Erich Consemüller, Szenenfoto einer Aufführung - "Formentanz‘ von Oskar Schlemmer - am Bauhaus Dessau, um 1927,  Foto: Bauhaus-Archiv Berlin

Auch die Spezialsammlungen zum Thema Bauhaus dürfen in diesem Zusammenhang genannt werden, beispielsweise im Busch Reisinger-Museum des Harvard University Art Museums in Cambridge/Mass., die Sammlungen in Weimar und Dessau sowie last but not least die Kollektion des Bauhaus-Archivs in Berlin, die wohl als der bedeutendste Sammel- und Forschungsschwerpunkt über die gesamte Themenpalette des Bauhauses gelten kann - von dessen propädeutischem Unterricht über die verschiedensten Werkstatt- und Designbereiche bis zu Architektur und Städtebau.

All dies ist dem "Urquell" noch verhältnismäßig nahe, weil historisch am Bauhaus orientiert oder in der Sache mehr oder minder unmittelbar daran anschließend. Die Bezüge beginnen dort zu verwischen, wo sich mit dem zeitlichen und inhaltlichen Abstand zum Bauhaus Initiativen und Institutionen entwickeln, die dem Bauhaus vielleicht programmatisch oder ideologisch verpflichtet sind, zugleich aber das historische Vorbild als Aushängeschild für die eigenen Ziele verwenden. Es gibt dann ein "elektronisches Bauhaus" oder ein "Medienbauhaus", wie Heinrich Klotz seine Karlsruher Unternehmung schon einmal gerne nennt. Das heutige Bauhaus Dessau versteht sich als ökologisch-industriereformerische Einrichtung. Eine denkmalpflegerisch orientierte Baurestaurierungswerkstatt in Bamberg nannte sich Bauhaus und fand das angesichts der Verbindung von Kunst und Handwerk keineswegs absurd. Wie sich das oben erwähnte Pils vom Pilsner abgespalten hat, so diese Ableger vom historischen Bauhaus.

Der Vergleich geht aber noch weiter, denn längst ist der Bauhaus-Name in voller Breite und Wucht kommerzialisiert: Nicht allein gibt es einen einschlägigen Bauhaus-Antiquitätenhandel, mit einer Preisentwicklung, die den fachbezogenen Museen Ankäufe immer schwerer macht. Es gibt das Heimwerker-Bauhaus, einen mittlerweile europaweit operierenden Konzern, den im Bevölkerungsdurchschnitt womöglich mehr Menschen mit dem Begriff Bauhaus identifizieren als die historische Bauhaus-Schule. Es gab und gibt Architekturbüros und Maurerfirmen mit dem Namen Bauhaus. Metallwarenhersteller legten und legen Bauhaus-Serien auf (mit entsprechenden Lizenzen versehen und manchmal auch ohne sie), desgleichen Teppichfabriken. Es gibt sogar eine Bettwäsche-Serie namens Bauhaus (mit drei gängigen Rapporten: Weimar, Dessau und Berlin), es gibt auch Bauhaus-Pullover. Der gehobene Designhandel brilliert mit Remakes von Bauhaus-Produkten, der weniger gehobene bietet statt dessen Plagiate an. Es gab eine englische Rockgruppe namens Bauhaus (die entsprechenden T-Shirts inbegriffen) - die Aufzählung beansprucht' keine Vollständigkeit.

Es ist offenkundig die kommerzielle Kehrseite des kulturhistorischen Welterfolges, der sich mit dem Namen und Begriff Bauhaus verbindet, wenn sich heute jeder, der seinem Anliegen Dignität und Glanz, Pep und Pop verleihen möchte - vom Modeschmuck-Produzenten bis zum Stadtplaner, vom Designer bis zum Hochschulpolitiker -‚ auf das Bauhaus berufen möchte.

Auch das wirtschaftliche Interesse an

der Nutzung (nicht selten auch am Mißbrauch) des Bauhaus-Namens ist kontinuierlich gewachsen, und zwar ersichtlich im selben Maße wie dessen kulturelle Weltgeltung. Über diese Weltgeltung mag man sich freuen, gegen die Mythologisierung und gegen den Mißbrauch des Namens "Bauhaus" ist indessen schon einiges einzuwenden, vor allem das Gebot der historischen und sachlichen Angemessenheit. Zwar steht "Bauhaus" für den großen, bis heute in der Breitenwirkung uneingelösten Plan, Künstlerisch - Schöpferisches und Nützliches zu verbinden, doch können die vor mehreren Generationen erarbeiteten Lösungen kaum ohne weiteres in die Gegenwart übertragen werden. Wenn das Bauhaus zum Mythos wurde für die Kreativität des gestalterischen Denkens und Handelns der 20er Jahre (anders ausgedrückt: zum Mythos der Moderne), so wird mit solcher Verallgemeinerung das tatsächlich vom Bauhaus Geleistete nicht nur überdehnt, sondern zugleich verfälscht.

Bauhaus-Archiv Berlin 1976-78, Walter Gropius, Alex Cvijanovic und Hans Bandel, Foto: Hartwig Klappert

Schon die Zeitgenossen haben sich gegen derartige Überinterpretationen verwahrt, die sich fast von Anfang an mit dem Bauhaus verbanden. So wurde bereits frühzeitig darauf hingewiesen, daß es neben den konstruktivistischen Gestaltungsideen, die das Bauhaus zudem teilweise aus dem "Stijl" oder aus älteren architektonischen (z.B. Frank Lloyd Wright) und technischen (z.B. Ingenieurbau) Traditionen übernommen hatte, auch andere Leistungen der architektonischen und gestalterischen Moderne der 20er Jahre gab (z.B. das organische Bauen). Und auch den Bauhausleuten selbst, Gropius insbesondere, war keineswegs wohl bei Klischeebildungen wie "Bauhaus-Stil" - obschon sie daran mit einer schier endlosen Folge von Propaganda-Aktivitäten, gelegentlich auch durch eine Vermischung von nachträglichen Interpretationen mit geschichtlichen Fakten, keineswegs unbeteiligt waren.

Eine Entmythologisierung des Bauhauses ist jedenfalls fällig, und dazu kann heute nur die differenzierte historische Aufarbeitung helfen. Dabei müssen sich allerdings die Museumsleute und Bauhausforscher darüber im klaren sein, daß sie selbst nicht frei von der Versuchung sind, zum Mythos Bauhaus beizutragen.

Nach den Selbstdarstellungen der "Bauhaus-Patristik" (vor allem des Gründervaters Gropius, der seine Programme mit zunehmendem internationalen Einfluß gleichsam ex cathedra verkündete) und der ihm unmittelbar verpflichteten Apologetik, die man - wenn das religionsgeschichtliche Bild erlaubt ist - als "Bauhaus-Scholastik" bezeichnen kann, haben wir heute die Aufgabe, eine "Bauhaus-Aufklärung" zu leisten. Gewiß dürfen wir dabei die ursprüngliche Vision nicht aus dem Auge verlieren und sollten deutlich machen, wie das Bauhaus aus einem geistigen und künstlerischen Umbruch heraus neue pädagogische und gestalterische Konzepte entwickelte, um so den Künstler angemessen für das technische und Industrie-Zeitalter auszubilden. Wir müssen aber auch die Realität dieser kleinen Schule in allen ihren Brüchen darstellen, auch wo dies dem kanonisierten Bauhaus-Bild der Gründergeneration widerspricht.

Es steht dahin, ob die Utopie des Gesamtkunstwerks unter dem Primat der Architektur oder ob die programmatische Idee einer Einheit von Kunst und Technik heute noch greift. Wir müssen aber auch unbequeme Fragen stellen, beispielsweise die nach der Auflösung des Bauhauses 1933, oder nach der Tätigkeit der Bauhaus-Leute während der NS-Jahre, oder nach dem noch kaum erforschten Wirken der Bauhäusler im östlichen Teil Deutschlands nach dem Kriege, denn Bauhaus-Architekten und -Stadtplaner waren dort einflußreich tätig, auch wenn die politisch-ideologische Anerkennung der Bauhaus-Erbschaft in der DDR erst während der 70er Jahre erfolgte.

Schließlich gilt auch (unabhängig von den dramatis personae der Bauhausgeschichte selbst) nach denjenigen Aspekten des gestalterischen Spektrums zu fragen, die während der Bauhausjahre eben nicht abgehandelt wurden, aus heutiger Sicht sind das beispielsweise die ökologischen. Man kann auch darüber spekulieren, welche Problembereiche ein heute noch existierendes Bauhaus in Angriff nehmen würde - vielleicht wäre dies neben dem ökologischen Bereich das übermächtig gewordene Feld computergestützter Gestaltungsarbeit; damit jedoch bewegt man sich bereits jenseits der Grenze des historisch gesicherten Terrains.

Fragt man anläßlich des Gründungsjubiläums nach dem künftigen Umgang mit der großen Erbschaft des Bauhauses, so dürfte zwar das Grundsätzliche der Methode Zukunft haben, nicht aber, trotz aller Bewunderung, das Akzidentielle der Form - wobei das Dilemma der Museumsarbeit nicht verkannt wird, daß wir nämlich die methodischen Grundsätze nur anhand der formalen Hinterlassenschaften darstellen können. Allgemein möchte ich empfehlen, das historische Beispiel dort zu lassen, wo es mittlerweile hingehört: in die Geschichte und - nicht als Abwertung gemeint - ins Museum. Dort nämlich kann es als Paradigma für den innovativen Umgang mit Gestaltungsfragen fortwirken, ohne kurzschlüssig als Rezept für heutige Probleme mißverstanden zu werden. Künstler, Designer, Architekten und Stadtplaner mögen sich dann hiervon anregen lassen und sich mit heutigen Gestaltungsmitteln der Gegenwartsprobleme annehmen. Diese Mittel und Probleme sind jedoch nicht mehr die von 1919.

Dr. Peter Hahn
Direktor des Bauhaus-Achivs in Berlin



AsKI KULTURBERICHTE 2/1994

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