Goethe-Museum, Düsseldorf: "Es geht die Welt in Sprüngen" - Achim von Arnim und sein Freundeskreis

Ludwig Achim von Arnim (1781-1831), Zeichnung von unbekannter Hand, um 1808. Bleistift, Silberstift und Pastell, Goethe-Museum Düsseldorf

In acht Vitrinen und einigen Bildern präsentiert das Goethe-Museum Düsseldorf besondere Handschriften- und Bücherschätze, die zum größten Teil noch nie gezeigt wurden.

Der preußische Adlige Achim von Arnim (1781 – 1831) lebte in einer Umbruchszeit. Als er acht Jahre alt war, brach die Französische Revolution aus. 1806 besiegte Napoleon die preußische Armee vernichtend in der Schlacht bei Jena/Auerstedt. Es folgte die unruhige Zeit der Befreiungskriege. 1813 wurde Napoleon in der „Völkerschlacht" bei Leipzig – man vermutet sogar, dass der Ausdruck von dem Zeitungsredakteur Arnim geprägt wurde – geschlagen, und nach dem endgültigen Sieg der Allierten bei Waterloo begann die Restauration der Verhältnisse – Sprünge der Geschichte, auf die der Autor mit einer auch für romantische Dichter ungewöhnlich modernen Poetik reagierte. Der auf ein Gedicht Arnims zurückgehende Titel der Kabinettausstellung spielt auf ein historisches Krisenbewusstsein an, das Arnim und seine Zeitgenossen alle erfahren haben und worauf sie mit freundschaftlicher Vernetzung reagierten. Der Familienverband der Brentanos und Savignys, der Kreis um die Brüder Grimm und die Heidelberger Romantik boten für Arnim eine lebenslange Orientierung.

In acht Vitrinen und einigen Bildern präsentiert das Goethe-Museum Düsseldorf besondere Handschriften- und Bücherschätze, die zum größten Teil noch nie gezeigt wurden. Sie gehen zurück auf den Verleger Anton Kippenberg (1874 – 1950), der exzellente Dokumente und Bildnisse zu Personen aus dem „gesamten Umkreis der Goethischen Welt" sammelte. Zu diesen zählte auch Achim von Arnim. Kippenberg beruft sich sogar im Vorwort zum Katalog seiner Goethe-Sammlung von 1913 auf Arnim als Herausgeber der berühmten Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn", der im letzten Augenblick die alten Lieder vor dem Vergessen rettete. Er schreibt: „Man wird mir nachfühlen, daß ich dieser Sammlung gegenüberstehe, wie etwa Arnim den im ‚Wunderhorn' vereinigten Liedern: ich kann von ihr ‚nur mit ungemeiner Neigung sprechen', – auch hier war es ja ‚der letzte Bienenstock, der eben fortschwärmen wollte und mit Mühe gehalten wurde'".

Bettine Brentano (1785 – 1859) mit Achim von Arnims Novellensammlung „Der Wintergarten“, Kaltnadelradierung von Ludwig Emil Grimm (1790–1863), München, 1809, Goethe-Museum Düsseldorf

Arnim war befreundet mit dem Dichter Clemens Brentano, dessen Schwester Bettine er 1811 heiratete; er kannte alle brentanoschen Familienangehörigen und angeheirateten Personen, so den Juristen Savigny, der Bettines Schwester Gunda ehelichte. Die Brüder Grimm waren dem Zirkel verbunden, der Komponist Johann Friedrich Reichardt und der Herausgeber des „Rheinischen Merkurs" Joseph Görres einbezogen, und zahlreiche Verflechtungen lassen sich in diesem Netzwerk ausmachen. Der Zeichner Ludwig Grimm hielt nicht nur seine bekannteren, der Philologie verschworenen Brüder, sondern auch Bettine Brentano und deren Schwester Gunda in mehreren reizvollen Blättern fest, darunter ein Blatt, das die „Liederbrüder" Arnim und Brentano erboste. – Weswegen? – In Grimms Bild war Bettine nach Meinung Arnims so dargestellt, als habe der Zeichner ihr „eine neunmonatliche Schwangerschaft angedichtet". So wie man in der Romantik gemeinschaftlich dichtete, so schrieb man auch gesellig Briefe: etwa Arnim an die Schwestern Bettine und Gunda oder die beiden Grimms an Bettine als Antwort auf ihre dringende Bitte, den todkranken Arnim zu besuchen. Wilhelm Grimm erweiterte die von Arnim und Brentano veranstaltete Sammlung „Des Knaben Wunderhorn" mit seinen „Altdänischen Heldenliedern". Er widmete die Lieder den beiden „Wunderhornisten" – im gezeigten Exemplar mit einem handschriftlichen Zitat aus Goethes „Farbenlehre". Als literarisches Zentralgestirn prägte der Weimarer die jüngere Generation. Goethe schätzte umgekehrt Arnim, wie sein Brief an Reichardt vom 7. Januar 1806 zeigt: „Das Wunderhorn ist wirklich eine recht verdienstliche Arbeit", meinte der Klassiker. Arnim besuchte ihn mehrmals in Weimar, und Goethes Hausfreund Riemer sammelte fleißig Informationen über den Dichter und notierte sie auf Zetteln, die man hier studieren kann.

Kunigunde von Savigny geb. Brentano (1780–1863), Radierung von Ludwig Emil Grimm (1790 – 1863) Landshut, „ad viv[um].“ („nach dem Leben“), 1. Januar 1809, Goethe-Museum Düsseldorf

Der freundschaftliche Austausch endete 1811 wegen einer Auseinandersetzung Bettines von Arnim mit Goethes Frau Christiane. Arnim selbst war ein Multitalent und zunächst ein begabter Naturwissenschaftler. Als ehrgeiziger Schüler stürzte er sich aus „einer zwangvollen Kinderstube" in „allerley Gelehrsamkeit". Zeugnis dafür sind umfangreiche Aufsätze zur Natur- und Moralphilosophie des griechischen Philosophen Epikur, die erstmals ausgestellt sind. So wie ein handschriftliches Gedicht, das für den ersten deutschen Männergesangsverein, die von Goethes Berliner Freund Zelter begründete „Liedertafel", gedacht war. Ein besonderes Fundstück ist ein Brief Maximiliane Brentanos, geborene von La Roche, an ihren 15-jährigen Sohn Clemens vom Januar 1793. In dem Schreiben beantwortet die frühe Liebe Goethes, die den italienischen Kaufmann Peter Anton Brentano geheiratet hatte, einen in französischer Sprache geschriebenen Brief ihres Sohnes; daran schließt sich eine reizvolle Nachschrift der Tochter Sophie auf Französisch, Italienisch und Deutsch an, „mio caro Signor Clemente". Von allen Romantikern ist Arnim derjenige mit den meisten Bezügen zu Goethe. Sie wurden ihm zusätzlich nahegelegt durch die Verbindung mit Bettine Brentano. Über die Familie Goethe war man wohlinformiert. Zu sehen ist ein Stammbuch von Goethes Sohn August, in das Arnim 1805 ein langes Gedicht eingetragen hat. Es beginnt: „Im Wagen schwank' ich hin und her, / Beschaue mir die Welt, / Den Kopf so voll, den Sinn so schwer / Wie mir's aufs Herze fällt." Bettine nahm 1826 wegen eines Besuchs in Weimar auch Kontakt mit Goethes Schwiegertochter Ottilie auf: „eine geheime Stimme ruft mich auf: ich soll und muß Goethe bald wiedersehen".
Viele Bücher Arnims beziehen sich auf Goethes Werke: Er bedachte den „Werther" mit einem Gegenentwurf „Hollin's Liebeleben", verärgerte den Weimarer mit seinem Roman über die „Gräfin Dolores" als „Wahlverwandtschaften"-Kontrapost, parodierte den „Wilhelm Meister" mit der Satire „Wunder über Wunder" und versuchte sogar mit „Auch ein Faust" ein Lustspiel, worin Faust dem Teufel seine Seele für die Erfindung der „schwarzen" Kunst des Buchdrucks verschreibt. All das lässt sich in der Kabinettausstellung an Originalen erfahren, die allen Sprüngen der Weltgeschichte zum Trotz erhalten blieben.

 

Prof. Dr. Christof Wingertszahn, Direktor des Goethe-Museums
Düsseldorf und Vorstand der Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung

 

AsKI kultur leben 2/2023

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