Kunsthalle Emden: "Wo bleibt das Abenteuer?"

Otto van den Loo in seiner Galerie in der Maximilianstraße 22, 1963 © Archiv Stiftung van de Loo

Engagement für Kultur

Die Kunsthalle Emden feiert den 100. Geburtstag ihres Mäzens Otto van de Loo mit der Ausstellung "Bilder wie Energiemaschinen".

Betrachtet man ein Porträt Otto van Loos (1924–2015) von 1963 eingehender, dann flackert darin auf, was die sonst so elegante wie zurückhaltende Erscheinung des damals jungen Galeristen auf vielen Bildern seiner Eröffnungen vermissen lässt: Van de Loos direkter Blick in die Kamera hat etwas Herausfordernd-Konfrontatives, sein verrutschter Anzug etwas Nachlässig-Unwirsches – Eigenschaften, die zur Haltung jener avantgardistisch-grenz-
überschreitenden Künstlergeneration der europäischen und insbesondere der deutschen Nachkriegskunst passen, der sich der Kunsthändler verschrieben hatte.

Aufgenommen wurde das Porträt in den Galerieräumen in der Maximilianstraße, eine Adresse, die wenig später als Luxusboulevard zu einer der teuersten Deutschlands avancierte und schon damals Beleg für van de Loos Erfolg war. Dieser Erfolg gründete vor allem im bedingungslosen Festhalten an einer ganzen Reihe jüngerer künstlerischer Positionen. Eine programmatische Konsequenz, die Beachtung fand. So hieß es in der Süddeutschen Zeitung vom 11. Dezember 1963 anlässlich einer Ausstellung, die auf sechs Jahre Galerietätigkeit zurückblickte und im Porträt mit Arbeiten von Lothar Fischer (1933–2004) und Helmut Sturm (1932–2008) zu sehen ist: „Die verborgenen, bewegenden Kräfte der Kunst nach 1945 haben eine sehr breite Spur hinterlassen. Die Sammlung von van de Loo enthält einige Wegzeichen dieser Entwicklung, die an wesentlichen Punkten entstanden sind und die sich schon heute, aus verhältnismäßig geringem Abstand, auch als solche zu erkennen geben. Das ist Bestätigung und Ermutigung zugleich." Auch international erfuhr van de Loo Anerkennung: Als einziger deutscher Galerist wurde er 1963 eingeladen, am 1er Salon international de Galeries pilotes in Lausanne teilzunehmen. Allen dort vertretenen Galerien war gemeinsam, dass sie nicht auf die etablierte und aus Händlersicht sichere Bank der Klassischen Moderne setzten, sondern mit ihrem Fokus auf die Kunst der Gegenwart ein Risiko eingingen. Für van de Loo waren damit sogar handfeste Skandale und Prozesse verbunden. Die Künstlergruppe SPUR, die neben Sturm und Fischer aus Heimrad Prem (1934–1978) und H. P. Zimmer (1936–1992) bestand, sorgte 1959, wenige Monate vor der ersten Ausstellung bei van de Loo, mit einem fingierten Vortrag des Philosophen Max Bense (1910 – 1990) für öffentlichen Aufruhr (die Gruppe hatte eine vollkommen willkürliche, unlogische Montage von Äußerungen Benses als dessen Eröffnungsrede zu einer ihrer Ausstellungen ausgegeben, was das Publikum nicht bemerkte). 1962 dann wurde die Gruppe auf Initiative des Münchner Sittendezernats wegen pornografischer und blasphemischer Inhalte des sechsten SPUR-Hefts angezeigt. Auf den Gerichtsprozess, dessen Kosten van de Loo trug, folgte eine fünfmonatige Bewährungsstrafe für die Angeklagten, was einer Nobilitierung ihres Ansinnens – sich gegen die saturierte, nur an Wohlstand, Fortschritt und Stabilität interessierten Nachkriegsgesellschaft der jungen Bundesrepublik und ihre fehlende Selbstkonfrontation mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit, aufzulehnen – gleichkam. Ästhetisch setzte die Gruppe SPUR dabei auf ein Wiederaufgreifen der figurativen Malerei der Vorkriegsmoderne mit den Vorbildern der Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter, allerdings unter den Vorzeichen eines nicht mehr an Meisterschaft und Weiterentwicklung interessierten formalen Gegenentwurfs und unter Rückgriff auf die Kunst von Kindern und Outsidern, den bayerischen Barock und die bayerische Gaudi-Mentalität, wie die Collage „Die Jugend ist unzufrieden" aus dem vierten SPUR-Heft sarkastisch-selbstironisch zeigt.

Einzelseite aus

Von größter Bedeutung für die SPUR-Künstler, wie für van de Loo, war aber noch jemand anderes: der Däne Asger Jorn (1914 – 1973), der den Kontakt zwischen ihnen überhaupt erst hergestellt hatte. Jorn, von kommunistischer Grundüberzeugung, war 1948 Gründungsmitglied der Künstlergruppe CoBrA und Mitglied der linksintellektuellen Situationistischen Internationale (S. I.). Sowohl die unmittelbare, das Informel der Nachkriegszeit transformierende Kunst der CoBrA wie auch die S. I. waren für die Gruppe SPUR prägend. Sie bildete sogar die deutsche Sektion der S. I., bis sie 1962 aus dieser ausgeschlossen wurde, denn sie hielt an van de Loo als ihrem Galeristen und damit am kommerziellen Kunstmarkt fest. Jorn, CoBrA, SPUR – das sind die großen kunstgeschichtlichen Errungenschaften, die mit dem Namen Otto van Loos einhergehen. Das zeigt auch die Schenkung van de Loos von 184 Werken von 24 Künstlern und einer Künstlerin genau 40 Jahre nach Eröffnung seiner Galerie an die Emder Kunsthalle im Jahr 1997. Neben Einzelpositionen wie Antonio Saura, K. R. H. Sonderborg, Hans Platschek, Gustav Kluge, Alfred Kremer und Miriam Cahn, bestimmen Jorn, Appel, Constant, Prem, Fischer, Sturm und Zimmer das Bild. Damit ist kongenial der Schwerpunkt der Emder Sammlung auf die expressionistische Kunst von Brücke und Blauem Reiter weitergeführt. Was mit einem der berühmten Bettelbriefe Henri Nannens für ein einziges Bild seinen Lauf nahm, gipfelte in einem Anbau der Kunsthalle, den Otto van de Loo selbst einrichtete und im Jahr 2000 eröffnete.

E.R. Nele 1966 bei der Arbeit am Wandrelief für das Intercontinental Hotel in Frankfurt am Main © E.R. Nele, Foto: Rudolf Dietrich, München

Am 9. März 2024 wäre Otto van de Loo, einer der wichtigsten Galeristen zeitgenössischer Kunst nach 1945, 100 Jahre alt geworden. Die Ausstellung ihm zu Ehren legt den Fokus auf Jorn, CoBrA und SPUR. Anhand vieler Momentaufnahmen, Korrespondenzen und Dokumente möchte sie die intensive Beziehung zwischen dem Galeristen und seinen Künstlern spürbar werden lassen. Daneben aber soll eine Konfrontation erfolgen, welche die noch immer anhaltende Schieflage im Proporz von Künstlerinnen und Künstlern in Ausstellungen und Sammlungen thematisiert und korrigiert: Die Werke der Künstlerinnen Anja Decker (1908 – 1995), E. R. Nele (geb. 1932) und Judit Reigl (1923 – 2020), die van de Loo teils nur ein einziges oder einige Male ausstellte, werden denen ihrer Kollegen gegenübergestellt und damit das Potential eines überwunden und überflüssig geglaubten Informel neu befragt.

Judit Reigl, Gesprengtes Rot, 1958, Öl auf Leinwand © Stiftung van de Loo

 

Kristin Schrader
Kuratorin der Kunsthalle Emden

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Kunsthalle Emden
Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo
"Bilder wie Energiemaschinen' - Otto van de Loo zum Hundertsten"
noch bis 10 Mai 2024
www.kunsthalle-emden.de

 

AsKI kultur leben 2/2023

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