Klassik Stiftung Weimar: Wege nach Utopia. Wohnen zwischen Sehnsucht und Krise

Haus am Horn © Thomas Müller

Hinter den Kulissen

Die Ausstellung „Wege nach Utopia. Wohnen zwischen Sehnsucht und Krise", die noch bis 29. Januar 2024 im Bauhaus-Museum Weimar zu sehen ist, legt sich wie eine zweite Schicht über die 2019 eröffnete kulturhistorische Dauerausstellung. Sie konfrontiert ausgewählte historische Bauhaus-Objekte mit aktuellen Herausforderungen rund um das Wohnen und fragt, wie zukünftig gutes Leben und Wohnen gelingen kann. Träumen wir nur von einem neuen Utopia, einer sozial gerechteren Gesellschaft und nachhaltig gestalteten Umwelt, oder können und wollen wir sie aktiv verändern?

„Wie werden wir wohnen, wie werden wir siedeln, wie werden wir unser Gemeinwesen gestalten?" So lautete nach Einschätzung des 1919 in Weimar gegründeten Staatlichen Bauhauses 1923/24 eine der brennendsten Fragen der Zeit. Egal ob Klimawandel, Corona-Pandemie, teurer Wohnraum oder explodierende Energiekosten – angesichts der heutigen Krisenzeit erscheinen diese Fragestellungen auch einhundert Jahre später unvermindert aktuell.

Verschiedene Themeninseln beleuchten mit Installationen, Fotografien, Filmen oder Wohn-Objekten ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Hintergründe zum Wohnen und guten Leben. Ausgangspunkt ist das vor einhundert Jahren anlässlich der Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar erbaute Haus Am Horn. Das vom Bauhäusler Georg Muche entworfene Gebäude, älteste erhaltene Bauhaus-Architektur, war ein Musterhaus für die damals aktuelle Vorstellung vom modernen Leben und Wohnen. Konzipiert für eine Familie mit zwei Kindern ohne Personal, war es das erste Architekturprojekt der Schule, das alle Bauhausangehörigen, Lehrende wie Studierende, einbezog. Hervorgehend aus einer ursprünglichen Bauhaus-Siedlungsplanung für die Straße Am Horn und einem schulinternen Wettbewerb lagen zuletzt neben dem „Roten Würfel" von Farkas Molnár ein Entwurf von Walter Gropius, als modularer Haustyp gemäß einem „Baukasten im Großen", und der Entwurf von Georg Muche zur Entscheidung vor. In einer regen Diskussion sprach sich die Mehrheit für den auf einem Quadrat beruhenden Entwurf von Muche aus, mit einem zentralen Wohnraum, um den sich die Nebenräume gruppieren, typologisch einer antiken Villa ähnlich. Finanziert von Adolf Sommerfeld, einem Berliner Bauunternehmer und engagierten Förderer des Bauhauses, wurde das Haus Am Horn ein Experimentierfeld, ein Versuchshaus für neue Baumaterialien, wirtschaftliche Technologien und neueste Haustechnik. Lob, aber auch heftige Kritik, ließen nicht lange auf sich warten: „ein Haus für Marsbewohner" oder „weiße Bonbonschachtel" lauteten verächtliche Kommentare.

War das Haus Am Horn als ein Beitrag zum Wohnungsbau in der Krise der unmittelbaren Nachkriegszeit gedacht, so wurde damals schon der unflexible Grundriss, die beengte Raumaufteilung und die Tatsache kritisiert, dass es nur für wohlhabende Menschen realisierbar sei. Wie denken wir heute über diesen Haustyp, welche Perspektiven eröffnen sich in aktuellen Diskussionen? Hier setzt die in Kooperation mit dem Museum Utopie und  Alltag, Eisenhüttenstadt, der Bauhaus-Universität Weimar und dem Kunstfest Weimar entstandene Ausstellung „Wege nach Utopia" ein und vermittelt den Besucherinnen und Besuchern Anregungen, sich darüber auszutauschen. Ein freistehendes Eigenheim wie das Haus Am Horn ist auch heute noch Wunschtraum vieler Menschen; 16,1 Mio. Einfamilienhäuser werden bundesweit gezählt, das sind fast 67% aller Wohngebäude. Es ist Ausdruck der Sehnsucht, in den eigenen „vier Wänden" zu wohnen, mit Garten für Erholung, Freizeitgestaltung und Spielraum für Kinder. Vielen bleibt der Wunsch nach einem Haus aufgrund inflationär steigender Grundstückspreise und Baukosten aber verwehrt. Doch nicht nur wirtschaftlich, sondern auch aus ökologischen Gründen ist das Eigenheim in die Kritik geraten: Zu viel Bodenfläche wird versiegelt, zu viele Ressourcen werden verbraucht. Der Lebensstil ist zudem in der Regel an das Vorhandensein eines Autos gebunden. Ökonomische Folgen fallen ebenso für die Kommunen an, die die Erschließungen für die technische Infrastruktur vornehmen müssen. Nicht zuletzt zeigen sich gesellschaftliche Folgen in der Frage der Ungleichheit oder der möglichen Festschreibung traditioneller Rollenbilder. Kritiker des Eigenheims auf der „grünen Wiese" plädieren u.a. für innerörtliche Nachverdichtung in Form von Nach- oder Umnutzung bereits bestehender Gebäude anstatt Neubauten auf Flächen, die aufwändig, kostspielig und umweltzerstörend erschlossen werden müssen.

Nicht nur die differenzierte Sicht auf das Eigenheim, sondern auch die Diskussion alternativer Formen des Wohnens wird an verschiedenen Stellen der Ausstellung „Wege nach Utopia" in der Zusammenschau von historischen Objekten und zeitgenössischen Fragestellungen aufgemacht: Was benötigen wir zum guten Leben und Wohnen? Wieviel Wohnraum möchten wir uns zugestehen? Bieten aktuell diskutierte Formen des Wohnens wie das Tiny House oder genossenschaftliche Projekte mit Gemeinschaftsräumen überzeugende Alternativen? An der Ausstellung beteiligte zeitgenössische Kunst,- Design- und Architekturschaffende sind Jana Sophia Nolle, Lara Weller, Simon Menner, Martin Maleschka, Van Bo Le Mentzel, Alan Marshall sowie Studierende der Bauhaus-Universität Weimar. Originale Bauhaus-Objekte von Marcel Breuer, Alma Siedhoff-Buscher, Walter Determann und Ludwig Mies van der Rohe, aber auch Gemeinschaftsarbeiten vom Staatlichen Bauhaus Weimar regen dazu an, die Gestaltung von Lebens- und Wohnwelten kritisch in den Blick zu nehmen. Ein mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Instituts für Europäische Urbanistik sowie der Arbeitsgemeinschaft Weimarer Wohnungsforschung an der Bauhaus-Universität Weimar entwickelter Ausstellungsteil stellt ergänzend aktuelle Fakten zum politisch brisanten Thema Wohnen vor. Dabei geht es der Ausstellung nicht darum, schnelle Lösungsmöglichkeiten für die Probleme unserer Tage aufzuzeigen, sondern unterschiedliche Optionen für die Gegenwart und kommende Zeiten zu diskutieren. Am Bauhaus sah man in Umbrüchen die Chance und Notwendigkeit, ungewöhnliche Lösungen oder gar Visionen für den Aufbau einer zukünftigen Gesellschaft zu entwickeln. Auch heute brauchen wir mehr Raum für Utopien im Kleinen wie im Großen, um eine nachhaltige, gerechte und lebenswerte Zukunft zu gestalten.

Dr. Ulrike Bestgen
Direktorin Museen, Abteilungsleiterin Bauhaus-Museum, Moderne Gegenwart
Klassik Stiftung Weimar

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Bauhaus-Museum Weimar
Wege nach Utopia. Wohnen zwischen Sehnsucht und Krise
1. April 2023 - 29. Januar 2024
www.klassik-stiftung.de

 

AsKI kultur leben 2/2023

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