Kunsthalle Emden: Ein Kunstprojekt verbindet Generationen

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Die Malschule Emden kam im September 2011 mit einem künstlerischen Angebot für Menschen zwischen 14 und 93 Jahren unter die Top Ten der bundesweit beispielhaften Kunstvermittlungsprojekte.

Kunsthalle Emden, © Foto: Karlheinz Krämer

 

Die Nominierung für den vom Kulturstaatsminister gestifteten Preis für Kulturelle Bildung bestätigt dem Projekt, dass es auf innovative Weise bislang unterrepräsentierten Zielgruppen einen besonderen Stellenwert einräumt. Das Team der Emder Malschule erkannte in Zeiten des demographischen Wandels und der gesellschaftlichen Umbrüche die große Notwendigkeit, dem Auseinanderdriften der Generationen entgegenzuwirken. Die Emder entwickelten ein Konzept zur Förderung des Miteinanders durch gemeinsames Erleben, die Erforschung der unterschiedlichen Wahrnehmung und das anschließende Sichtbarmachen der Ergebnisse durch künstlerisches Gestalten.

Wir kennen das auch von uns selbst und aus unserer Umgebung: Die Jugendlichen bleiben innerhalb ihrer so genannten „peer-groups", die älteren Mitbürger sind ebenfalls lieber unter sich. Kommt es dennoch zu Begegnungen zwischen den Generationen, sind diese meistens unfreiwillig, wie die zwischen Schüler und Lehrer, Lehrling und Chef. Auch die Kontakte zwischen Eltern und Kindern beruhen auf familiären, also vorgegebenen Strukturen statt auf persönlichen Interessen und gemeinsamen Zielen. So bleibt die Kommunikation zwischen Jugendlichen und älteren Menschen oft oberflächlich, und man bringt wenig Verständnis auf für die Befindlichkeiten und Sichtweisen des jeweils anderen.

Das Projekt änderte dies grundlegend für eine Gruppe von Schülern und Senioren im Alter von 14 bis 93 Jahren. Sie arbeiteten über Monate aktiv zusammen, mal im Gymnasium, mal im Seniorenheim und häufig in der Malschule. Hier trafen sie auch Mitglieder einer Malschulwerkstatt und Bewohner eines Mehrgenerationenhauses.

Die Aktivitäten waren ebenso vielfältig. Dazu gehörten moderne Techniken wie Mindmapping, aber auch gemeinsame Besuche von Kulturveranstaltungen wie Workshops, Theater, Kino, Museum, Reisen oder Vorträge. Die Gruppen arbeiteten in verschiedenen künstlerischen Medien, entwickelten ein Zukunftsmodell für die Stadt Emden und präsentierten die Ergebnisse in einer Ausstellung.

Zunächst brachten alltägliche Erlebnisse und der Austausch darüber frappierende Erkenntnisse auf beiden Seiten: Ein älterer Mensch sah eine Kunstausstellung, bedingt durch seine Lebenserfahrung, Interessen oder Bedürfnisse mit ganz anderen Augen als ein junger. Beide nahmen andere Erlebnisse und Eindrücke von dieser Ausstellung mit nach Hause, obwohl sie dasselbe Museum besucht haben. Das Gleiche passierte z. B. bei einem Kinobesuch, bei einer Theaterdarbietung oder bei einem Vortrag. Beim Reden darüber erkannten die Teilnehmer, dass jeder Einzelne verschiedene Sinneseindrücke von ein und dem selben Erlebnis mitnimmt, aber alle gleichberechtigt nebeneinander bestehen können und müssen. Eben: "Ich sehe (fühle, rieche, schmecke, höre) was, was du nicht siehst (fühlst, riechst, schmeckst, hörst)."

Die Teilnehmer verarbeiteten ihre Erkenntnis in Gipsbüsten, Tonmasken, Bilder mit Acrylfarbe und Pastellkreide, zudem nutzten sie Medien zur digitalen Bildbearbeitung, verwendeten verschiedene Fototechniken und drehten zwei Kurzfilme. Schon in diesem Stadium zeigte sich die bemerkenswerte Wirkung der Zusammenarbeit in einer ungewöhnlichen gegenseitigen Öffnung: Senioren im Altern von 80 bis 93 ließen sich auf für sie neue und experimentelle Ausdrucksmöglichkeiten wie Lomografie, Malerei, Fotografie, Maskenbau, Bildhauerei, Keramik ein. Auch die Jugendlichen zeigten ungewohnte Lockerheit: Sie nahmen an einem Volkstanzkurs der Senioren teil und ließen sich sogar dabei filmen. Damit zeigten sie ein, besonders für pubertierende Jungen, außergewöhnlich entspanntes Selbstverständnis.

Anschließend gestalteten Jugendliche und Senioren gemeinsam eine Vision des gemeinsamen Lebensraums für das Jahr 2030 in Form eines Stadtmodells. Bei einer Fotorallye durch die Stadt machten die Jugendlichen Fotos von baulichen und sozialen Missständen, die bis zum Jahre 2030 geändert werden sollten, um bessere Lebensbedingungen für die veränderte Gesellschaft zu schaffen. Diese Fotos stellten sie in Form von symbolischen Saattüten in das Stadtmodell, nach dem Motto: „Was müssen wir säen, damit wir in Zukunft gut leben können."

Höhepunkt war eine Ausstellung aller Kunstwerke in einem großen Ausstellungscontainer, der extra dafür gemietet und an einem zentralen städtischen Freizeittreffpunkt von Jung und Alt aufgestellt wurde. Die Vernissage war ein lebendiges Fest mit Musik und Theater. Doch damit endet das Projekt nicht: Seither existieren in der Malschule drei Senioren-Gruppen. 19 der beteiligten SchülerInnen aus dem Gymnasium haben sich für das Fach „Kunst" im nächsten Schuljahr im Kurssystem entschieden. Sieben davon werden „Kunst" als Abitur-Leistungsfach wählen.

Ilka Erdwiens

 

AsKI KULTUR lebendig 2/2011

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