Kunsthalle Emden / Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin: Zwischen Film und Kunst - Storyboards von Hitchcock bis Spielberg

Kunsthalle Emden - Deutsche Kinemathek Berlin

The Birds. Alfred Hitchcock (USA 1963), Storyboard: Harold Michelson, Margaret Herrick Library, Academy Foundation, Beverly Hills

Die Kunsthalle Emden und die Deutsche Kinemathek haben sich zusammengetan, um einem Zeichenmedium zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, das im musealen Kontext bislang kaum gezeigt wurde: dem Storyboard.

Ziel der Ausstellung ist es, herausragende Storyboards mit individuell-künstlerischer Handschrift einem breiten Publikum zu präsentieren, ihre oftmals namenlosen Schöpfer als Künstlerpersönlichkeiten hervortreten zu lassen und sie in einen Kontext zur bildenden Kunst zu stellen. Die Gebrauchszeichnung des Storyboards soll als Medium im Spannungsfeld unterschiedlicher künstlerischer, kultureller und technischer Einflüsse und Bedingungen erfahrbar werden.

Das Storyboard dient der Visualisierung filmischer Bewegungen, lange vor dem eigentlichen Drehbeginn. Dabei können sowohl die Bewegungen vor der Kamera als auch die Kamerafahrten selbst skizziert werden. Dies ermöglicht den Filmschaffenden, ihre Vorstellungen visuell zu präzisieren, sich mit den Mitarbeitern über die filmischen Umsetzungen zu verständigen und den Produktionsablauf zu professionalisieren. Wie eine visuelle Partitur bietet das Storyboard die Möglichkeit, Spannungsbögen zu überprüfen und die Rhythmisierung und Dramatisierung einer Geschichte zuzuspitzen. Das Storyboard ist angesiedelt zwischen künstlerischem Entwurf und technischer Zeichnung: Es ist einerseits ein Arbeitsmittel, das im Ablauf der Filmproduktion eine bestimmte Funktion zu erfüllen hat, zugleich entfaltet es eine eigenständige ästhetische Qualität. Aus gezeichneten Einzelbildern zusammengesetzt, lässt es im Kopf des Betrachters bereits eine Art „Gedankenfilm" entstehen.

In rund 20 an stilbildende, internationale Regisseure angelehnten Kapiteln werden außergewöhnliche Storyboards zu bekannten Filmen präsentiert. Die Kapitel sind Regisseuren wie Francis Ford Coppola, Alfred Hitchcock, Fritz Lang, Martin Scorsese, Steven Spielberg oder Wim Wenders gewidmet. Die Storyboard-Zeichner bleiben oft ungenannt, nur wenige - wie Saul Bass, Hein Heckroth, William Cameron Menzies, Harold Michelson oder Alex und Dean Tavoularis - die zugleich auch die Funktion eines Production Designers oder Vorspanngestalters innehatten, gelangten zu größerer Berühmtheit. Die meisten „Storyboard Artists" haben eine Ausbildung als Grafiker, Illustrator oder bildender Künstler durchlaufen, daher unterscheiden sich ihre Zeichnungen auch deutlich in Stil und Technik: Dynamischen Bildfolgen auf großformatigen Bögen stehen einzelne, atmosphärisch detailliert ausgearbeitete Entwürfe gegenüber, die erst in ihrer Reihung den zukünftigen Film erahnen lassen.

Diesen Storyboardzeichnungen werden in der Ausstellung einerseits die Originalfilmsequenzen, andererseits einzelne sorgfältig ausgewählte Kunstwerke namhafter internationaler Künstler gegenübergestellt, die von der Ästhetik bzw. der Konzeption mit dem Storyboard beziehungsweise der Filmsequenz in Verbindung stehen:

Man Hunt. Fritz Lang (USA 1941), Storyboard: Wiard Ihnen, Collection Cinémathèque française, Fonds Fritz Lang, ParisMan Hunt. Fritz Lang (USA 1941), Storyboard: Wiard Ihnen, Collection Cinémathèque française, Fonds Fritz Lang, ParisMan Hunt. Fritz Lang (USA 1941), Storyboard: Wiard Ihnen, Collection Cinémathèque française, Fonds Fritz Lang, ParisWiard Ihnens Storyboard für Fritz Langs Man Hunt (USA, 1941) inszeniert insbesondere einen harten Kontrast zwischen Licht und Schatten, der für den Film Noir so kennzeichnend ist. Der niederländische Künstler Marcel van Eeden greift mit seiner Arbeit, „o.T.", 2010, die eigens für die Ausstellung entstand, sowohl diese spannungsreiche Beleuchtungssituation als auch - durch den radikalen Bildausschnitt und die Reduktion auf schwarz/weiß - die angespannte Atmosphäre eines Krimis der so genannten „schwarzen Serie" wieder auf (s. Titelbild von „KULTUR lebendig 1/11"). Marcel van Eeden, o.T., 2010, Nerostift auf Bütten, Serie von 4 Zeichnungen, Privatsammlung, KölnMarcel van Eeden, o.T., 2010, Nerostift auf Bütten, Serie von 4 Zeichnungen, Privatsammlung, KölnMarcel van Eeden, o.T., 2010, Nerostift auf Bütten, Serie von 4 Zeichnungen, Privatsammlung, KölnMarcel van Eeden, o.T., 2010, Nerostift auf Bütten, Serie von 4 Zeichnungen, Privatsammlung, KölnDoch die Bezüge zwischen Storyboard und Kunst verlaufen in beide Richtungen. Der Production Designer Hein Heckroth, der auch als Maler und Bühnenbildner gearbeitet hat, ließ für die zentrale Ballettsequenz in The Red Shoes (Michael Powell/Emeric Pressburger, UK, 1948) stark abstrahierte Folienzeichnungen anfertigen, die Einflüsse durch Künstler wie Joan Miró oder Wassily Kandinsky verraten. Diesen storyboardartigen Zeichnungen steht in der Ausstellung ein Mobile des US-amerikanischen Bildhauers Alexander Calder gegenüber, das ebenso verspielt die tänzerische Bewegung in den dreidimensionalen Raum transponiert.

Für seinen Psychoanalyse-Krimi Spellbound (USA, 1945) engagierte Alfred Hitchcock den Künstler Salvador Dalí, der für ihn die zentrale Traumsequenz entwerfen sollte. Hitchcock wünschte sich „scharfe Konturen, lange Schatten", und Dalí griff auf ein bewährtes surrealistisches Vokabular zurück. Der Produzent David O. Selznick war mit der filmischen Umsetzung der Szene jedoch unzufrieden; die Sequenz wurde deshalb unter der Leitung des erfahrenen Production Designers William C. Menzies mit Hilfe eines Storyboards wesentlich dynamischer neu entwickelt. Der Videokünstler Tony Oursler inszeniert in seiner Arbeit „Criminal Eye" aus dem Jahr 1995 ebenfalls ein vom Körper fragmentiertes Auge. Befreit von allen individuellen Kennzeichen ist das Auge hier weniger ein Spiegelbild der Seele als vielmehr Ausdruck von Angst und Verletzlichkeit. Alfred Hitchcock legte bekanntlich sehr viel Wert auf die Vorplanungen für seine Filme, mehr als auf die eigentlichen Dreharbeiten. Die Arbeit mit dem Storyboard kam seiner Vorgehensweise daher besonders entgegen.

The Birds. Alfred Hitchcock (USA 1963), Storyboard: Harold Michelson, Margaret Herrick Library, Academy Foundation, Beverly HillsHarold Michelsons getuschte Storyboards für Hitchcocks The Birds (USA 1963) legen einerseits jedes Detail - beispielsweise die Kopfbewegung der Hauptdarstellerin Tippi Hedren - präzise fest, vermitteln jedoch zugleich die unterschwellige Bedrohung, die von der immer größer werdenden Vogelschar ausgeht. Diffus überlagern sich die schwarzen Federn, werden zu einer locker verbundenen Masse, die jederzeit auseinanderstieben und angreifen kann. Eine ganz ähnliche Atmosphäre kreiert das großformatige Gemälde von Henri Michaux („Ohne Titel", 1959). Die abstrakten, spontan gesetzten schwarzen Flecken vermitteln den Eindruck einer beweglichen, chaotischen Formation, von der latent eine Bedrohung auszugehen scheint.

Der Regisseur Martin Scorsese zeichnet, von Comic-Strips inspiriert, seit seiner Kindheit Storyboards. Noch heute entwirft er Storyboards zu jedem seiner Filme, um sich über Kameraperspektiven und -einstellungen, über visuelle Anschlüsse und Bewegungsabläufe klar zu werden. Für Taxi Driver (USA 1976) genügte ihm die Arbeit mit einem Bleistift und einem roten Filzstift, um die Geschichte eines Vietnam-Veteranen zu erzählen, der Amok läuft. Robert de Niro spielt die Hauptrolle, in den Zeichnungen ist er mit seinem Irokesenschnitt gut zu erkennen. Kleinere eingezeichnete Bildrahmen geben an, auf welches Format mit der Kamera gezoomt werden soll, mit rotem Filzstift sind die Schusswunden zu sehen, das Blutbad steht dem Betrachter so bereits vor Augen. Ralf Ziervogels eigens für die Ausstellung geschaffene, großformatige Zeichnung HD (2011) wirkt aus der Ferne betrachtet wie ein filigranes Geflecht abstrakter Formen. Bei näherem Hinsehen erkennt man, dass es sich um grotesk verrenkte menschliche Figuren handelt. Sie schweben auf der weißen Bildfläche wie in einem leeren Raum, verbunden nur durch die Grausamkeiten, die sie einander zufügen: Ihr einziger Halt ist das Netzwerk sexualisierten Gewalt, in das sie unentrinnbar verstrickt sind.

Schönheit und Brutalität kommen auch in den Storyboardzeichnngen für Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (USA 1979) zum Ausdruck. Die Zeichnungen wurden von dem Production Designer Dean Tavoularis in leuchtender Farbe ausgeführt. Das anarchische Grün des Dschungels und das Azurblau des Meeres werden durch die gewaltigen Feuermassen in Gelb und Rot kontrastiert. So wie der vernichtende Hubschrauberangriff mit Richard Wagners „Walkürenritt" unterlegt ist (s. Titelbild von „KULTUR lebendig 1/11"), so wird bereits im Storyboard das Grauen als ästhetische Wahrnehmung konzipiert. Am Ende steht der Held inmitten eines Feldes der Vernichtung. Georg Baselitz' Figuren aus den 1960er Jahren zeigen gebrochene Helden in ebensolchen Trümmerlandschaften. Kaum können sie ihre wuchtigen Körper aufrecht halten, mit jedem ihrer Schritte scheinen sie - ob gewollt oder nicht - Vernichtung zu bringen.

Hammett. Wim Wenders (USA 1982), Storyboard: Alex Tavoularis zugeschrieben, Deutsche Kinemathek – Sammlung Wim Wenders, BerlinHammett. Wim Wenders (USA 1982), Storyboard: Alex Tavoularis zugeschrieben, Deutsche Kinemathek – Sammlung Wim Wenders, BerlinHammett. Wim Wenders (USA 1982), Storyboard: Alex Tavoularis zugeschrieben, Deutsche Kinemathek – Sammlung Wim Wenders, BerlinHammett. Wim Wenders (USA 1982), Storyboard: Alex Tavoularis zugeschrieben, Deutsche Kinemathek – Sammlung Wim Wenders, BerlinDie Storyboards zu Wim Wenders' in den USA gedrehtem Film Hammett (1982) wiederum zeigen den Schriftsteller Dashiell Hammett, der gerade eine Erzählung beendet hat. Im Detail sind ein überquellender Papierkorb mit Manuskriptseiten, ein überquellender Aschenbecher, ein Whiskyglas und die Schreibmaschine zu sehen. In der Prävisualisierung wie im Film selbst wird der Schreibprozess zu einem manischen Akt, der Hammett das Gefühl für Realität und Fiktion verlieren lässt und ihn körperlich zugrunde richtet. Auch in der Malerei von Konrad Klapheck kann das seit 1955 immer wiederkehrende Motiv der Schreibmaschine als Katalysator für die Kreativität des Künstlers (Schriftstellers), als Symbol für das Ringen um sein Werk interpretiert werden.

Während Screens mit den Filmsequenzen in der Ausstellung den direkten Vergleich zu den Zeichnungen ermöglichen, verdeutlicht die Gegenüberstellung der Werke, wie sehr Film und Kunst sich gegenseitig inspiriert haben. Ähnlichkeiten und gegenseitige Anleihen finden sich auf der motivischen Ebene, im künstlerischen Gestus und in der gestalteten Atmosphäre. Die filmischen Techniken des Perspektivenwechsels, der Nahaufnahmen oder des Zooms erlauben dem Storyboard-Zeichner ebenso wie dem bildenden Künstler die Darstellung emotional aufgeladener Szenerien, in die sich der Betrachter hineinlesen kann.

Kristina Jaspers

 

Zwischen Film und Kunst - Storyboards von Hitchcock bis Spielberg
Kunsthalle Emden: 16.4. bis 17.7.2011
Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin: 12.8. bis 27.11.2011
Die Ausstellung wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes.

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2011

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