Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift : Friedrich von Hardenberg („Novalis"), Heinrich von Afterdingen - Eine wiederentdeckte Handschrift

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Friedrich von Hardenberg (Novalis) Wiederentdeckter Entwurf zum Romananfang  Heinrich von Afterdingen, Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt am Main

Ende 2011 ist es dem Freien Deutschen Hochstift gelungen, eine seit über 200 Jahren verschollene Handschrift zum „Heinrich von Afterdingen" von Friedrich von Hardenberg („Novalis") zu erwerben. Der Ankauf darf als Sensation bezeichnet werden!

Handschriften zu zentralen Werken der Weltliteratur tauchen nur äußerst selten im Autographenhandel auf; von Novalis wurde seit 50 Jahren nichts Vergleichbares angeboten. Umso erfreulicher ist es, dass es nun gelungen ist, die Handschrift langfristig für die Öffentlichkeit zu sichern. Zudem fügt sie sich perfekt in die Sammlungen des Hauses ein: Seit 1960 wird hier fast der gesamte Nachlass von Novalis verwahrt, darüber hinaus Nachlässe und Teilnachlässe vieler weiterer Autoren der Romantik wie Clemens Brentano, Achim und Bettine von Arnim sowie Joseph von Eichendorff. Ermöglicht wurde der Ankauf durch Zuwendungen der Kulturstiftung der Länder, des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, der Fritz Thyssen Stiftung und des Kulturamts der Stadt Frankfurt am Main.

Das Romanfragment „Heinrich von Afterdingen" wurde erstmals im Jahr 1802 von Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck in zwei Bänden aus Novalis‘ Nachlass herausgegeben. Dass der dort gebotenen Textfassung nicht blind zu vertrauen ist, zeigt schon der Titel, den die Herausgeber eigenmächtig in „Heinrich von Ofterdingen" abänderten, obgleich er bei Novalis, dies zeigt auch die erworbene Handschrift, stets „Heinrich von Afterdingen" lautet. Damit tilgten sie die Pointe des Titels, dass sich der Titelheld Heinrich nämlich im Laufe des Romans von den nachgeordneten, subalternen „Afterdingen" lösen muss, um die Wirklichkeit ins unendliche Reich der Poesie zu überführen.

Gleichwohl sind Leser und Forscher bis heute auf den Text von Schlegel/Tieck angewiesen, da sich keine durchlaufende Handschrift des Romans erhalten hat. Zum ersten Teil gibt es (von zwei Liedern des sechsten Kapitels abgesehen) auch keine überlieferten Entwürfe. Umso bemerkenswerter ist es, dass nun zum Romananfang ein Entwurf von Novalis‘ eigener Hand aufgetaucht ist, der die ersten tastenden Versuche des Autors zeigt, in den Roman hineinzufinden und zugleich die Arbeit der Detailformulierung dokumentiert.

Es handelt sich um ein beidseitig beschriftetes Blatt mit den zwei einleitenden Sonetten und einem Entwurf des Titelblatts: „Heinrich von Afterdingen. / Ein Roman / von / Novalis. / Erster Theil. / Die Erwartung". Die Novalis-Forschung erhält damit reichlich Material für Deutungen und Diskussionen. Erwähnt seien nur die vielen Formulierungsversuche (etwa: „Und schützt/hält/wehrt/schirmt mich deine Liebe"), die sich in dieser Dichte in Novalis-Handschriften nur höchst selten finden. Auch die Frage, an wen die geheimnisvolle „Zueignung" (das erste der beiden Sonette) und damit der Roman als Ganzer gerichtet ist, kann und muss nun neu verhandelt werden.

Interessant ist auch die Provenienz des Blattes: Es war in ein Album montiert, das von der englischen Dichterin Hope Fairfax Taylor ab Weihnachten 1907 angelegt wurde. Dieses enthält vor allem nachgelassene Briefe und Visitenkarten, die an ihre 1867 verstorbene Großtante, die Übersetzerin Sarah Austin geb. Taylor (1793-1867) gerichtet waren. Ihre „Fragments from the German Prose Writers, illustrated by biographical notes" aus dem Jahr 1841 enthalten zahlreiche Aphorismen von Novalis. Auch dieses Album konnte vom Freien Deutschen Hochstift erworben werden. Es enthält weitere interessante Stücke, so etwa Briefe von Mendelssohn-Bartholdy und Hans Christian Andersen.

Ursprünglich befand sich das Blatt im Besitz des mit Novalis befreundeten Physikers und Galvanisten Johann Wilhelm Ritter (1776-1810). Ritter versprach Novalis‘ Bruder Carl von Hardenberg in einem Brief vom 5. August 1808, diesem alle in seinem Besitz befindlichen Papiere des verstorbenen Dichters zuzusenden, „mit Ausnahme eines Blattes, welches ich Ihnen nennen werde: das Brouillon von der Zueignung des Ofterdingen. Sie werden mir dies gern als Reliquie von dem Seeligen lassen. Ich würde mich von diesem Blatt nicht scheiden können so wenig als von dem Andenken des Novalis selbst." Dies ist das erste und letzte Zeugnis für die Existenz des nun aufgetauchten Entwurfs.

 

AsKI KULTUR lebendig 1/2012

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