Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin: Le cinéma, cent ans de jeunesse. Ein ästhetisches Filmbildungsprojekt

Abschlussfilm 'alles gut(e)' der Projektgruppe Katholische Schule Liebfrauen. Projektthema 2021 'Die filmische Zeit', Foto: Deutsche kinemathek

Die Deutsche Kinemathek engagiert sich kontinuierlich in der Bildungsarbeit und bietet vielfältige, inklusive und zielgruppengerechte Bildungsangebote an, um einem möglichst breiten Spektrum an Menschen das Medium Film, das deutsche Filmerbe und die Kulturinstitution Museum näher zu bringen.

 Neben museums- und archiv­pädagogischen Angeboten am Berliner Standort sowie digitalen Vermittlungsprogrammen werden Filmbildungsprojekte mit Strahlkraft durchgeführt. Anspruch ist es, einerseits umfassend kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und andererseits altersübergreifend die Begeisterung für Film in all seinen Facetten zu fördern.

Seit 10 Jahren führt die Kinemathek daher in Kooperation mit Partnern aus Kunst, Vermittlung, Wissenschaft und Schule das Filmbildungsprojekt „Le cinéma, cent ans de jeunesse" (CCAJ) durch, welches junge Filminteressierte aus der ganzen Welt miteinander verbindet und in ein weltumspannendes Netzwerk der Filmbildung eingebettet ist. Das ganzjährige Projekt mit Outreach-Charakter versammelt Schülerinnen, Schüler und Lehrende, Filmschaffende sowie kulturelle Einrichtungen in einer gemeinsamen Reflexion über grundlegende Fragen des Films. In der Schule, an den außerschulischen Lernorten – Museum, Archiv und Kino – sowie beim länderübergreifenden Austausch setzen sich die jungen Teilnehmenden aus der ganzen Welt mit dem Medium Film auseinander. Zentral ist in dem Projekt die Sensibilisierung der Wahrnehmung mittels analytischer, rezeptiver und praktischer Verfahren, mit denen die Jugendlichen angeleitet werden, sich das Medium Film zu erschließen und eigene kreative Potenziale zu aktivieren. Hierzu arbeitet ein erfahrenes Team mit Expertise in schulischer Bildung, Filmwissenschaft, Vermittlung und Filmpraxis über ein ganzes Schuljahr eng zusammen. Die Projektarbeit erfolgt im Rahmen von schulischen Filmkursen aber auch am außerschulischen Lernort und ist in vier Phasen unterteilt: Kennenlernen, Erproben, Filmen und Zeigen. Diese Projektschritte ermöglichen es den Schülerinnen und Schülern, sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven dem Medium anzunähern und schrittweise eine eigene künstlerische Haltung zu entwickeln.

Dreharbeiten zum Abschlussfilm 2021, Projektgruppe Carlo-Schmid-Oberschule, Deutsche Kinemathek, Foto: Maria Mohr

Das Projekt folgt dem Ansatz einer ästhetischen Filmbildung, der von dem Filmwissenschaftler und Vermittler Alain Bergala entwickelt und von der französischen Filmvermittlerin Nathalie Bourgeois zum aktuellen Filmbildungsprojekt ausgestaltet wurde. Der Vermittlungsansatz betrachtet darin Film als ein historisch gewachsenes Medium, als Zeugnis vielfältiger Kulturen und als künstlerische Ausdrucksform. Kern der Projektarbeit ist ein jährlich wechselndes Thema, das nicht inhaltlich definiert ist, sondern formal. Es erlaubt derart sich forschend mit den ästhetischen Möglichkeiten des Films auseinander zu setzen und diese als Ausdrucksmittel einzusetzen. Analyse und Praxis gehen dabei Hand in Hand. Beim Sichten von Filmausschnitten aus ganz unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten lernen die Jugendlichen ungewohnte filmische Formen kennen und vergleichen sie miteinander. So gewinnen sie vielfältige Anregungen, um das Medium Film zur Erforschung der eigenen Lebenswirklichkeit einsetzen zu können. Parallel dazu erproben sie in Kameraübungen die ästhetischen Ausdrucksformen des Mediums Film und setzen diese schließlich zur Produktion eines eigenen Kurzfilms ein. Der Fokus auf eine formale Fragestellung regt dazu an, sich mit den ästhetischen Möglichkeiten des Mediums auseinander zu setzen und ermöglicht den Schülerinnen und Schülern die Themen zu bearbeiten, die ihnen selbst am Herzen liegen. So sind die Filme, die entstehen, nicht nur ein Zeugnis ihrer filmtechnischen Fähigkeiten und ihrer Wahrnehmung der Umgebung, sondern geben auch Aufschluss darüber, was junge Menschen heute beschäftigt.

Flankiert wird die Projektarbeit durch einen Austausch mit Projektgruppen und Pädagogen aus der ganzen Welt. Die Schülerinnen und Schülern ebenso wie die Projektteams (Filmschaffende und Lehrkräfte) tauschen sich – online und bei gemeinsamen Zusammenkünften – über ihre Kurzfilmprojekte sowie inhaltlich-pädagogischen Herausforderungen aus. Öffentliche Abschlussveranstaltungen in Paris und in Berlin, bei denen die Jugendlichen ihre eigenen Filme sowie eine kuratierte Auswahl der Filme anderer Schulklassen am Berliner Filmhaus vorstellen, bildet den erfolgreichen Abschluss jedes Schul- und Projektjahres.

Abschlussfilm 'Spaghetti, Schein und Scherben' der Projektgruppe Katholische Schule Liebfrauen, Projektthema 2020 'Empfindung im Film', Foto: Deutsche Kinemathek

Im aktuellen Projektjahr 2021–2022 werden – dank der Förderung des AsKI e. V. – Filmkurse von zwei Berliner Schulen, einem Gymnasium (Katholische Schule Liebfrauen) und einer erweiterten Oberschule (Carlo-Schmid-Oberschule), teilnehmen können. Sie widmen sich, gemäß der diesjährigen Fragestellung, den alltäglichen Dingen, die in Filmen zu Motiven werden. Denn Dinge – wie der Ball, der Baum, das Messer, die Treppe, das Fenster – fungieren im Film nicht nur als Elemente eines Dekors oder Requisiten, sie können auch zu eigenständigen Akteuren werden und die ästhetische Gestalt von Filmen prägen.

In der Auseinandersetzung mit den filmischen Dingen werden die Grundprinzipien der filmischen Gestaltung erarbeiten – wie Dinge von der Kamera eingefangen, beleuchtet, mit anderen Elementen verknüpft, in eine Handlung eingebettet werden. So lässt sich ergründen, wie Gegenstände aus unserem Alltag in filmische Motive verwandelt werden, und wie unsere Kulturgeschichte von den Dingen geprägt ist. Angesichts der zunehmenden Abstraktion digitaler Kommunikationsweisen richten wir den Blick auf die Materialien, die uns umgeben und uns als filmische Gestalten begegnen.

Abschlussfilm 'Spaghetti, Schein und Scherben' der Projektgruppe Katholische Schule Liebfrauen, Projektthema 2020 'Empfindung im Film', Foto: Deutsche Kinemathek

Zum Abschluss des Jubiläumsjahr von „Le cinéma, cent ans de jeunesse" (CCAJ) in Deutschland wird es im Sommer/Herbst 2022 erstmalig eine Fortbildung für Lehrkräfte geben: Mit Hilfe der erfahrenen Projektteams werden die Erkenntnisse und Materialien aus dem Projektdurchlauf nun auch einem weiteren Kreis filmbegeisterte Pädagoginnen und Pädagogen und vermittelt. So kann das in dem Projekt erarbeitete praxisorientierte Wissen nachhaltig in die deutsche Bildungslandschaft eingespeist werden.

 Dr. Bettina Henzler | Vermittlerin CCAJ,
Filmwissenschaftlerin Universität Bremen

 Jurek Sehrt | Projektleitung CCAJ,
Bildung und Vermittlung, Deutsche Kinemathek –
Museum für Film und Fernsehen

 

AsKI kultur leben 2/2021

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