Max-Reger-Institut, Karlsruhe : Unbekannte Gönnerin. Marion Reichenbach

Marion Reichenbach, Foto: Max-Reger-Institut

Vermögende Privatpersonen, die der AsKI seit 1989 mit der Maecenas Ehrung würdigt, haben die Kultur mit beträchtlichen Werten – Kunstsammlungen, wohlausgestatteten Stiftungen, Künstlerhäusern oder Bauprojekten – gefördert.

 Hier ist dagegen von einer Frau die Rede, die nicht mit Reichtum gesegnet war, jedoch die gesamten Ersparnisse ihres 81-jährigen Lebens dem Max-Reger-Institut vermachte. Und dies ganz unbekannterweise, ohne einen Dank oder Gegenwert zu erwarten. Zwar hatte Marion Reichenbach in Bonner Zeiten des Instituts viele seiner Konzerte besucht und deren Programme bewahrt, war aber nie als Interessentin oder gar Gönnerin in Erscheinung getreten. Zehn Jahre, nachdem das Institut seinen Sitz nach Karlsruhe verlegt hatte, setzte sie es 2006 in ihrem Testament zu ihrem Universalerben ein, nicht ohne ihre gesamte Verwandtschaft ausdrücklich zu enterben.

Es war kein einfaches, schon gar kein konfliktloses Leben gewesen. Am 25. Juni 1933 in Halle als Tochter des jüdischen Textilkaufmanns Eugen Reichenbach und seiner „arischen" Frau Charlotte geboren, galt Marion seit Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze als „Mischling ersten Grades" und war zunehmend Diskriminierungen ausgesetzt. Ihr Vater entging nur knapp der Einlieferung ins Konzentrationslager Buchenwald; im April 1939 suchte er als staatenloser Flüchtling Zuflucht in Shanghai, dem letzten Ort der Welt ohne Visumspflicht. Da er aus der jüdischen Gemeinde ausgeschieden war, fühlte sich keine Hilfsorganisation für ihn verantwortlich, sodass er in ärmsten Verhältnissen lebte. Als er 1947 zurückkehrte, wurde er wegen seiner Weigerung, SED-Mitglied zu werden, nicht als „Opfer des Faschismus" anerkannt; er starb 1953 an den Folgen der Entbehrungen im Exil. Die Mutter war mit den Töchtern in Halle zurückgeblieben, die als „Halbjüdinnen" Repressalien und menschliche Enttäuschungen erlebten; der Besuch einer weiterführenden Schule blieb ihnen verwehrt, vermeintliche Freunde kehrten sich von ihnen ab. Aus dieser Zeit blieben Marion Reichenbach zwei

Grundeigenschaften – die Unab­hängigkeit von der Meinung anderer sowie eine fanatische Wahrheitsliebe, mit der sie überall aneckte. Dass ihr dieser Charakterzug nach dem Krieg das Leben in der DDR erschwerte, ist leicht vorstellbar. Ein Zeugnis der Betriebs-Berufsschule VEB in Halle rügt, dass ihre „eigenen Gedanken" oft im „Widerspruch zu den Anschauungen und Interessen der Klasse" stünden.

Seit dem Tod ihres Vaters trug Marion Reichenbach als Stenotypistin und Bürokraft zum Unterhalt der Familie bei, gab Kurse an der Volkshochschule und bildete sich gleichzeitig an der Abendschule zur Stenografielehrerin weiter. Nach Ablegung der zweiten Fachlehrerprüfung im Maschinenschreiben 1956 kam eine Anstellung als Lehrerin an der Berufsschule nicht in Betracht, da sie den Eintritt in die SED verweigerte und man ihr keinen Unterricht „im sozialistischen Sinne" zutraute. So blieb ihr nur die Flucht in den Westen, wohin ihr Mutter und Schwester schon vorausgegangen waren. Ohne jeden Besitz traf sie Anfang August 1957 in Bonn-Bad Godesberg ein, um sogleich eine Stelle bei der Dresdner Bank anzutreten.

Marion Reichenbach, Foto: Max-Reger-Institut

Schon in ihrer Jugend hatte sie sich für die Orgel und namentlich die Werke von Johann Sebastian Bach und Max Reger begeistert und die Konzerte Heinz Wunderlichs, Kirchenmusikdirektor an der Moritzkirche und Schüler von Regers Freund Karl Straube, besucht. Eigene Orgelstudien bei verschiedenen Lehrern waren so erfolgreich, dass der Kirchenmusikdirektor an der Bonner Kreuzkirche Hans Geffert, Kuratoriumsmitglied des Max-Reger-Instituts, sie schließlich auf die C-Prüfung für Kirchenmusiker vorbereiten wollte. Dass dieser Traum infolge seiner Arbeitsüberlastung und Aufgabe aller Privatstunden platzte, war ein schwerer Schlag, über den sie eifriges Klavierspiel nur schwer hinweg trösten konnte. Dennoch blieb die Liebe zur Musik im Zentrum ihres Lebens, neben der ihr Beruf eher notwendiges Übel war, auch wenn sie es zur Fachlehrerin für Kurzschrift und Maschinenschreiben an den Kaufmännischen Bildungsanstalten der Stadt Bonn brachte und viele Schreibwettbewerbe mit ihren tastenerprobten Fingern gewann. Eine Genugtuung bereitete ihr die Aufnahme in den Beamtenstand; danach ging sie, schon lange kränklich, 1991 mit 58 Jahren und kleiner Pension in den vorzeitigen Ruhestand. Musik blieb nicht nur ihr Lebenselixier, sondern auch ein steter Zündstoff: in ihrem Nachlass fanden sich Berge von Beschwerden an Rundfunkanstalten wegen uninteressanter Programmwahl.

Dass sie dem Max-Reger-Institut trotz überschaubarer Gehälter ein kleines Vermögen von einer Million Euro hinterlassen konnte, liegt zum einen an ihrem sparsamen Leben in einer bescheidenen Eigentumswohnung im Bonner Norden, dessen einziger Luxus Reisen mit dem Lebensgefährten Anton Jambor war, zum anderen an ihrem Geschick im Geldanlegen. Noch im Seniorenheim studierte sie täglich die Börsenkurse. So waren ihre Wertpapiere weit besser angelegt als die der Elsa-Reger-Stiftung mit ihrer Verpflichtung zur Mündel­sicherheit.

Als wir nach ihrem Tod am 3. April 2015 völlig überraschend vom Bonner Amtsgericht von unserem Erbe erfuhren, versuchte ich, ihre Motivation zu verstehen: Eine Brücke war gewiss ihre Liebe zu Regers Orgelmusik; doch ihr mag auch imponiert haben, wie viel das kleine Institut in unmittelbarer Nachbarschaft zum großen Bruder Beethoven-Haus mit knappen Mitteln erreicht hat – in der Forschung wie in der Sammlungs- und Vermittlungstätigkeit.

Unsere Verpflichtung ist es, viel aus dem Ererbten zu machen, das teilweise dem Stiftungsvermögen zugeführt wurde, teilweise als Rücklage für Sammlungskäufe und Bandzuschüsse der Reger-Werk-Ausgabe dient. Dass damit das Autograph der Phantasie und Fuge über BACH für Orgel op. 46, das von Regers lebenslanger Bach-Verehrung zeugt, erworben werden konnte, hätte ihr große Genugtuung bereitet. Da ihr Grab auf ihren Wunsch anonym blieb, ist es nun unsere Aufgabe, ihr Andenken zu pflegen: in Konzerten und Veröffentlichungen wie dieser.

 Prof. Dr. Susanne Popp | Ehemalige Leiterin
des Max-Reger-Instituts

AsKI kultur leben 2/2021

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