Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover : Von der Paradoxie der Karikatur in sensiblen Zeiten

Verärgerte – und über das Schaffen der beiden Karikaturisten bemerkenswert gut informierte – Leserbrief-Reaktion auf eine Karikatur zu den PEGIDA-Märschen in Dresden in der FAZ. Der Absender ist geschwärzt, Foto: Archiv Greser&Lenz, AschaffenburgKarikatur ist nicht erst in den letzten Jahren sensibel geworden. Es gehört zu ihrem Markenkern anzuecken. Im Gegenteil: Manche würden wohl sagen, die zeichnerische Landschaft in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten in dieser Hinsicht hierzulande ärmer, zahmer geworden, sie eckt regelmäßig viel weniger an.

Der Klamauk, vielleicht auch die klug-elegante, aber eben auch sanfte Pointe, die zum Schmunzeln bringt, aber niemandem weh tun, sind gegenüber dem bissigen Kommentar zum Zeitgeschehen in den Vordergrund getreten. Man lacht leichter über Trumps Toupet als über seine verfehlte Sozialpolitik. Man lacht nicht über verblendete Islamisten und lacht nicht über nicht minder verblendete Katholiken – und beide sind natürlich regelmäßig auch gar nicht zum Lachen, aber sehr reale Herausforderungen unserer Zeit, wie hunderte andere Archetypen eben auch. Aber dass es Arche- oder sogar Stereotype sind und man den meisten Menschen wohl den Verstand zutrauen darf, das auch zu erkennen – das will irgendwie niemand mehr so recht wahrhaben.

Diese Veränderungen wiederum haben also durchaus mit den neuen Sensibilitäten zu tun, denen sich die AsKI-Tagung in Frankfurt gewidmet hat. Nachdem uns nämlich Generationen über Jahrhunderte die juristisch garantierte Satirefreiheit erstritten haben, ist es heute nicht mehr die Zensur, sondern eine kaum mehr richtig greifbare, medial breit diversifizierte Öffentlichkeit, die immer stärker – und regelmäßig nicht mehr nur verbalen, sondern offen gewaltsamen – Druck auf Karikaturistinnen und Karikaturisten ausübt. Und diese Öffentlichkeit erregt sich zunehmend bei der ersten Assoziation, egal wie schief sie sein mag, und hat scheinbar immer weniger Zeit, sich mit der Karikatur auseinandersetzen – oder will es jedenfalls nicht. So kommen manchmal geradezu absurde Reaktionen zu Stande, die selbst wieder zum Lachen wären, wenn sie nicht so bitter ernst gemeint wären und regelmäßig ganz realen Schaden anrichten.

Das „Deutsche Museum für Karikatur und Zeichenkunst" in Hannover zeigt im Frühjahr 2023 die Ausstellung „Alles erlaubt?!", eine Werkschau des Aschaffenburger Karikaturistenduos Greser&Lenz. Groß geworden mit der „Titanic", haben sie für die großen Wochenmagazine und seit nunmehr über 25 Jahren sehr regelmäßig für die FAZ gezeichnet. Ihre Arbeiten zeigen Alltagsszenen – ob nun den Alltag in einem Terroristenkamp, im Kreml oder am deutschen Stammtisch. Es sind regelmäßig Fingerzeige auf Dümmliches, Dummes und manchmal gar Gefährliches, transportieren dabei aber eben immer wieder auch die scharf beobachtete und selten falsche Feststellung, man könne sich beizeiten auch einmal gepflegt an die eigene Nase fassen und sich selbst etwas weniger wichtig nehmen. Vor allem aber zeichnet die Arbeiten der beiden für mich eine Haltung aus, die ein gesundes Verhältnis zur Karikatur und ihrem Streitpotenzial hat: Kein Man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen-Trotz, wie er gerade landauf, landab überschwappt, sondern ein besonnenes: Ihr werdet doch wohl noch so klug sein, Satire zu erkennen.

Gezeigt werden in Hannover aber nicht nur die Arbeiten des Karikaturistenduos, sondern auch Reaktionen darauf – insbesondere Leserbriefe, die verraten, wie polarisierend einzelne Karikaturen auf das Publikum wirken können. Die Ausstellung verdeutlicht exemplarisch die Paradoxie der Karikatur in der Nachmoderne, in der sie keinen klaren Gegner außer der Dummheit und keine Obrigkeit mehr gegen sich hat, gegen die sie aufbegehren kann. Eine Zeit, in der sich die Lager verflüssigen, die Masse zur Multitude und das Individuum zu einem ziemlich fluiden Etwas wird – mit allen guten und schlechten Folgen, die das hat. Die Karikatur nämlich kann, obschon es in ihrem ureigensten Kern, im „caricare", liegt, zu überzeichnen und zu polarisieren, gerade dadurch ein wichtiges Remedium gegen eine Streitkultur bieten, die wenig auf Differenziertheit gibt und selten zwischen sachlichem Gegenstand und Person unterscheidet: Denn sie behält dem Gegenüber das ehrenrettende Lachen über sich selbst vor, den letzten Ausweg, sein Gesicht zu wahren. Sie schützt vor der bloß destruktiven Verneinung der Gesamtsituation – kurz: sie schützt vor Nihilismus. Das heißt nicht, dass man über Karikaturen nicht streiten darf, dass man sie nicht als anstößig empfinden oder einen Witz auch schlicht einmal für einen schlechten halten darf. Aber all diese Abwehrhaltungen halten die Debatte aufrecht und kappen sie nicht. Das tut erst, wer zur Sanktion, wer zum Verbot aufruft.

Prof. Dr. Hiram Kümper | Universität Mannheim,
2020 Museums-Fellow am Deutschen Museum
für Karikatur und Zeichenkunst, Hannover;
Ko-Kurator der Ausstellung „Alles erlaubt?!"

hr2 Kultur Was darf Satire?
Was darf Satire? Hiram Kümper im Gespräch hr2-kultur, „Am Nachmittag", 21.09.2022

 

 AsKI kultur leben 2/2022

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