Wartburg-Stiftung, Eisenach : Privileg und Monopol – Die Lutherporträts der Cranach-Werkstatt

Lucas Cranach d. Ä., Luther als Junker Jörg, 1522, Holzschnitt, © Wartburg-Stiftung

Vermutlich gab es - abgesehen von Repräsentanten der zentralen und territorialen Gewalten - von keinem anderen Menschen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehr Bildnisse als von Martin Luther.

Alle gehen sie auf eine einzige Quelle zurück: auf die Wittenberger Werkstatt von Vater und Söhnen Cranach, die sich in unmittelbarer Nähe zum Schmelztiegel der Reformation befand.

Obwohl Lucas Cranach d. Ä. bis zu seinem Lebensende Hofmaler der sächsischen Kurfürsten blieb, verstand er sich spätestens seit seiner Heirat und dem Erwerb des Hauses Markt 4 als freier Bürger der Elbestadt. In der jungen Universität, die sich rasch zu einem Zentrum der Humanismus-Forschung entwickelte, kamen wegweisende Philosophen, Juristen und Theologen zusammen. Friedrich III., der Weise, von Sachsen hatte die "Leucorea" genannte Hohe Schule 1502 gegründet und ihr seine Schlosskirche auch als deren Gotteshaus zugebilligt. Der Kurfürst nutzte die Aufbruchstimmung im Reich und im nicht viel mehr als 2.000 Menschen zählenden Wittenberg, um seine Territorialmacht gegen kaiserliche Zentralgewalt und Papsttum auszubauen. Gerade so ist seine Aufgeschlossenheit gegenüber den gesellschaftlichen Umbrüchen der folgenden Jahre zu verstehen, die ihren Anfang an der Theologischen Fakultät nahmen, an der Martin Luther 1508 studierte und seit 1512 die Bibelauslegung lehrte. Wann genau Cranach d. Ä. in diesem Spannungsfeld eine aktive Position einnahm, ist unbekannt.

Eindeutiger Beleg für die Partnerschaft der beiden Männer, die zur engen Freundschaft wurde, ist nicht erst das reformatorische Bildprogramm, das sie gemeinsam ab Ende der 1520er Jahre entwickelten. Spätestens mit dem ersten Lutherbildnis - das nicht etwa im Auftrag des zu Porträtierenden, sondern auf Veranlassung des Kurfürsten entstand - setzte Cranach Luther in Szene, musste er wissen, welche Botschaften mit diesen Bildern zu verknüpfen waren. Bis zum Tod des Reformators besaßen nur er und seine Söhne dieses Privileg, Luthers biografischen Werdegang im Porträt festzuhalten und zu verbreiten.

Lutherstube auf der Wartburg, © Wartburg-StiftungAnfang der 1930er Jahre hatte der Hallenser Kirchenhistoriker Johannes Ficker eine "Lutherbildnisausstellung" im heutigen Museum für Vor- und Frühgeschichte organisiert und bei deren Vorbereitung die bekannten Bildnisse Luthers aus der Cranach-Werkstatt und ihrem Umkreis erfasst. Er trug knapp 500 Porträts zusammen, die er in sieben Typen zwischen 1520 und 1546 schied. Dieser Systematisierung wird auch heute im Wesentlichen noch gefolgt.

Nach Lucas Cranach d. J.  Martin Luther, nach 1546, © Wartburg-StiftungDas erste authentische Porträt des Augustiner-Eremiten, der sogenannte "kleine Luther", entstand 1520 in der Cranach-Werkstatt als Kupferstich. Bei seitenverkehrter Ansicht ergibt sich die größte realistische Nähe. Seine Bekanntmachung fiel der Zensur des kursächsischen Hofes zum Opfer. Sein erstes verbreitetes Bildnis ist das "Nischenporträt" aus demselben Jahr, das als frühestes Beispiel einer Luther-Inszenierung gelten kann. Der sogenannte "große Luther", das Bildnis mit dem Doktorhut, wurde 1521 ebenfalls noch vor dem Reichstag in zwei Varianten vor zuerst hellem, dann dunklem Hintergrund geschaffen. Die Darstellung als Doktor der Theologie diente dem Nachweis der Wissenschaftlichkeit seiner Lehre.

Mit den Porträts als Junker Jörg 1522 setzte auch das gemalte Bildnis Luthers ein. Zeitgleich entstanden sowohl das Gemälde in Weimar und dessen Nachfolger, als auch der große Holzschnitt sowie weitere Bildnisse Luthers ohne Bart. Ehebildnisse von Martin und Katharina Luther gehörten zum bevorzugten Programm der Cranach-Werkstatt zwischen 1525 und 1529. Sie lassen sich in vier aufeinanderfolgende Gruppen gliedern, dienten der Dokumentation der Priesterehe und richteten sich gegen Zölibat und Konkubinat der Geistlichen. Der Typus des Reformators oder Kirchenvaters - Luther im fünften Lebensjahrzehnt - setzte in der Malerei 1532 ein. Dabei wurde das Pendant der Katharina aufgegeben und bei den Doppelbildnissen oder "Freundschaftsbildern" durch Philipp Melanchthon ersetzt. Vermutlich hat der älteste Sohn Hans Cranach bis zu seinem Tod 1537 den größten Teil der Bilder dieses Typus geschaffen. Lucas Cranach d. Ä. / Werkstatt (Lucas Furtenagel?) Martin Luther im Sterbehemd, 1546, ©  Kunstbesitz der Universität LeipzigDruckgrafische Entsprechungen der Diptychen zu Luthers Lebzeiten gibt es nicht. Seit 1539 wurde er als gealterter Mann, barhäuptig mit Mantel, weißem Hemd und roter Weste porträtiert. Vermutlich geht diese Darstellung allein auf Lucas Cranach d. J. zurück. Die Totenbildnisse schließlich lassen sich in drei Gruppen gliedern, die auf zwei oder drei unterschiedlichen, verlorenen Bildnisvorlagen von zwei Malern, einem ungenannten aus Eisleben und Lucas Furtenagel aus Halle, basieren. Die im Berliner Kupferstichkabinett aufbewahrte Zeichnung kann nicht dazu gehören, hier fehlt das Brustbild mit dem Kittel, das sich auf allen Gemälden gleich oder ähnlich wiederfindet.

Luthers grafische Porträts aus der Werkstatt Cranachs d. Ä. weisen vom Standpunkt des Betrachters immer nach links. Luther ist seitenverkehrt wiedergegeben. Das ist ein Werkstattprinzip und kann als Faustregel dienen. Eine gelegentliche Änderung der Richtung erfolgt erst in der Werkstatt Cranachs d. J. und bei anderen Künstlern frühestens ab 1530. Zeitgenössische gemalte Porträts des lebenden Luthers entstanden ausschließlich in der Cranach-Werkstatt. Das ist ein Werkstatt-Privileg. Bei Cranach d. Ä. weisen sie vom Betrachter aus immer nach rechts. Einzige Ausnahme bildet der Typus der Totenbildnisse, die, soweit sie aus Wittenberg stammen, Lucas Cranach d. J. zuzuschreiben sind, der das bisherige Werkstatt-Prinzip aufgab und postume Bildnisse Luthers nach links gewendet schuf.

Christoph Wetzel, Martin Luther, 1999, © Ev.-Luth. Kirche WeißenstadtAlle Porträttypen dienten propagandistisch-dokumentarischen und somit werbend lehrhaften Zwecken. Es kam nicht darauf an, ein im heutigen Verständnis ästhetisch und anatomisch befriedigendes künstlerisches Meisterwerk zu schaffen, sondern eine Botschaft im Sinne der Wahrhaftigkeit und Richtigkeit der lutherischen Theologie zu vermitteln. In diesem reformatorischen Programm übernahm das in der Cranach-Werkstatt geschaffene Porträt Luthers als lückenlose Illustration seines biografischen Werdegangs eine wesentliche Funktion.

Bis heute ist unser Lutherbild von den Porträts der Cranach-Werkstatt geprägt. Dies spiegelt sich selbst in der zeitgenössischen bildenden Kunst wider. So reicht die Ausstellung mit Luthers Charakterköpfen weit über das 16. Jahrhundert hinaus bis in die Gegenwart.

 

Günter Schuchardt

 

Wartburg-Stiftung, Eisenach
Privileg und Monopol - Die Lutherporträts der Cranach-Werkstatt
Sonderausstellung 2. April bis 19. Juli 2015 täglich geöffnet

AsKI KULTUR lebendig 1/2015

.

xxnoxx_zaehler